iOS 18 und Co.: Apples KI-Katze ist aus dem Sack – oder doch nicht?

Apple macht in Sachen KI scheinbar so viel wie möglich, aber manches auch nur so wenig wie nötig. Wird die Gleichung aufgehen? Eine Analyse der WWDC-Keynote.

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Tim Cook und Craig Federighi begrüßen die Gäste im Apple Park

Apple-Chef Tim Cook (links) und Software-Chef Craig Federighi begrüßten die Gäste im Apple Park in Kalifornien.

(Bild: mki / heise online)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Man kann Apple schon verstehen, dass Chefetage und Mitarbeiter im Hauptquartier im kalifornischen Cupertino mächtig stolz auf ihren Apple Park sind. Der gewaltige ringförmige Bau inmitten einer mit Hügelchen und vielen Baum- und Pflanzenarten durchsetzten Parklandschaft spricht anders als Teile des umgebenden Silicon Valleys zweifellos Auge und Sinne an. Zum Auftakt der Entwicklerkonferenz WWDC am Montagabend deutscher Zeit hatte der iPhone-Hersteller bei knackigen 27 Grad Außentemperatur wieder sein riesiges Tor geöffnet – ein gewaltiges Stück der mehrstöckigen Hausfassade wird dann zur Seite gerückt und das Mitarbeiter-Café ragt dann in den Park hinaus, wo eine große Zeltdachkonstruktion über Stuhlreihen gespannt wurde.

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Dieser imposante und große Schauplatz, an dem sich am Montag hunderte ausgewählte App-Entwickler und Medienvertreter aus aller Welt die Eröffnungskeynote auf Großleinwand anschauten, wäre eigentlich eine hervorragende Bühne für eine Livepräsentation, wie es sie vor Corona gab. Doch Apple geht bei seiner großen Bühne weiterhin auf Nummer sicher und verzichtet auf eine Liveshow, in der es Pannen geben könnte. Einige wenige persönliche Worte von Apple-Chef Tim Cook und Software-Chef Craig Federighi gibt es für die Angereisten zur Einleitung – dann heißt es „Playback ab“ und der Film geht los, in dem nichts dem Zufall überlassen bleibt.

Eine Analyse von Malte Kirchner

Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.

Auf Nummer sicher geht Apple auch bei seiner angekündigten KI-Offensive, die in Form von iOS 18, iPadOS 18 und den anderen Software-Updates, die jetzt vorgestellt wurden, allmählich Gestalt annimmt. Der Grundsatz „So viel wie möglich, aber so wenig wie nötig“ scheint hier Pate gestanden zu haben.

Wie erwartet, setzt Apple auf Datenschutz als Unterscheidungsmerkmal zu den Vorlagen, die Google und OpenAI geliefert haben. Ein zweiter Punkt, der Apple wichtig ist, soll die Einfachheit in der Benutzung zu sein. Nutzer müssen keine pfiffigen Prompts erlernen, um etwa schöne KI-Bilder zu zaubern. Apple geht aber auch auf Nummer sicher bei der Auswahl der Funktionen, die es zumindest im ersten Wurf für die Nutzer gibt. Und dass die Bilder-KI offenbar nur sehr Cartoonhaftes auswerfen soll, dürfte kein Versehen, sondern Absicht sein, wohl um Fakebildern vorzubeugen – da bleibt Apple dann doch sehr kontrolliert.

Unter dem Oberbegriff Apple Intelligence versammeln sich künftig Funktionen zum Überarbeiten von Texten, eine schlaue Sortierung von Nachrichteneingängen nach Priorität und Emojis, die passgenau zur Ansage des Nutzers erstellt werden. Mehr als über konkrete Funktionen sprach Apple aber über die Potenziale seines Ansatzes. Ausprobieren können das vorerst nur Nutzer der US-englischen Sprachvariante der Software. Anders als sonst, wenn im Herbst die neue Software für alle erscheint, wird hier vor allem in Europa länger Geduld gefragt sein.

Nach altbekannter Art erfindet der iPhone-Hersteller das Rad nicht komplett neu, sondern hat sich offenbar angeschaut, was von den vielen Ideen für KI der vergangenen zwei Jahre wirklich Nutzwert bringt und in der Realität der Nutzer mehr als ein Effektschauspiel ist. Das zu erkennen und bestenfalls noch etwas pfiffiger darzubieten, war schon häufiger das Erfolgsrezept, nach dem in Cupertino gekocht wurde. Die Vision Pro im Vorjahr, als Apple das Schwert der Innovation selbst in die Hand nahm, war da eher ein Ausreißer. Und diese Wette auf die Zukunft zum Erfolg zu machen, daran arbeitet man in Kalifornien immer noch. Aktuell mit der Expansion in neue Märkte und visionOS 2.

Beim Thema KI ist alles etwas einfacher. Wer etwas im Vergleich zum Wettbewerb völlig Neuartiges erwartet hat, mag zwar enttäuscht sein. Und ja, natürlich wird im Netz längst wieder geätzt über mangelnde Innovationskraft. Aber das kann Apple relativ egal sein, weil das Unternehmen in seinem Ecosystem als einziger den direkten Zugang zu den Apple-Nutzern hat. Aber genau an dieser unmittelbaren Nahtstelle wird KI besonders schnell im Alltag ankommen. Im Herbst wird Apples KI-Offensive sich über Millionen von Geräten ergießen. Apple wird damit unweigerlich zum großen KI-Player werden und unzählige Menschen erstmals mit dem Thema in Berührung bringen, die bislang noch einen Bogen darum gemacht oder schlichtweg sich nicht aufgerafft haben, sich damit zu beschäftigen.

Die Reaktionen unter den Zuschauern im Apple Park fielen gemischt aus: Viele, vor allem die Medienvertreter, hatten im Anschluss an die Keynote Fragen. Erste Antworten darauf sollte ein von Apple selbst ausgerichtetes Interview geben, das Apple auf der Bühne des Steve-Jobs-Theaters stattfinden ließ. So euphorisch wie beim Taschenrechner fürs iPad waren auch die Reaktionen der Developer nicht. Diese jubelten vor allem, als sie hörten, dass die Entwicklungsumgebung Xcode endlich KI-Unterstützung bietet. Ein Schritt, der längst als überfällig erachtet wurde.

Doch wie geht es jetzt weiter?

Nach der WWDC ist bekanntlich vor der WWDC: Die Gerüchteköche werfen bereits wieder eifrig neue Zutaten in ihre Töpfe. Apple wolle das ganze Bedienkonzept überarbeiten, heißt es. Sprache solle eine bedeutend größere Rolle spielen, jetzt, wo Siri einen endlich verstehe – und Apps sollen in den Hintergrund rücken. Solche Voraussagen klingen im Moment genauso überbordend wie die Propheten, die Googles Suche vor einem Jahr schon in die Mottenkiste verfrachten wollten, weil angeblich bald alles nur noch im Chatbot geklärt wird. Aber Apple leistet dem selbst auch ein wenig Vorschub, spricht von einer neuen Ära und davon, dass da noch viel kommen soll.

Für Google ist die Suche genauso eine wichtige Einnahmequelle wie für Apple die Apps – folglich dürften beide gar kein so großes Interesse daran haben, das Bestehende unnötig radikal umzuwerfen, sofern sich nicht ein neues lukratives Geschäft abzeichnet. KI kostet aber aufgrund von Rechenpower und Datenmaterial zum Lernen erstmal eine Menge Geld. Allenfalls die Nutzerzufriedenheit sorgt dann für einen Gegenwert. Ginge es nach Apple, dürften die Umwälzungen durch KI vermutlich gerne einen Gang runtergeschaltet werden. Schließlich hatte Apple das Thema KI schon vor längerem unter dem Begriff Machine Learning für sich entdeckt – nur in einem weitaus gemächlicheren eigenen Tempo und weniger schrill und laut als OpenAI und seine Mitbewerber.

In diese Komfortzone kann man in Cupertino sicher nicht mehr zurückkehren. Und man will es auch nicht, wie KI-Chef John Giannandrea am Nachmittag sagte: KI sei keine Taktik, sie werde Teil des Betriebssystems. Für den unberechenbaren Teil, der auch mal halluzinieren kann, integriert Apple ChatGPT von OpenAI in die Software. Mit einem vorgeschalteten Warnhinweis kann sich Apple davon reinwaschen, für allzu abstruse Ergebnisse verantwortlich zu sein.

Das ist auf den ersten Blick schlau, weil Apples eigene Sprachmodelle vermutlich zu sehr auf Nummer sicher gehen. Dennoch wird Apple wohl nicht umhinkommen, künftig auch mehr Risiken eingehen zu müssen, um technologisch den Anschluss zu halten und zeitnah ebenbürtige Funktionen anbieten zu können. Dann, aber nur dann, kann Apple auch mit seinen Werten wie Privatsphäre und Einfachheit punkten. Die Frage ist am Ende nur, ob jährliche Updates wie aktuell dafür ausreichen – so schnell, wie die KI-Firmen das Thema in den letzten zwei Jahren vorangetrieben haben.

(mki)