"... und das sollte alle glücklich machen"

Eigentlich kennt man Amazon nur als E-Commerce-Giganten. Inzwischen vermietet das Unternehmen aber auch IT-Ressourcen. Im Interview mit Technology Review erklärt Firmenchef Jeff Bezos, welche Strategie dahintersteckt.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Wade Roush

Der US-Konzern Amazon setzte 2006 gut zehn Milliarden Dollar in 35 Produktkategorien um – vertrieben an fast 60 Millionen registrierte Kunden auf der ganzen Welt. Damit das alles bei dem E-Commerce-Riesen technisch auch reibungslos funktioniert, betreibt er Dutzende von Datacentern auf der ganzen Welt, die täglich Millionen von Transaktionen und Terabytes an Daten verarbeiten müssen.

"Wir arbeiten hart daran, dass der technische Aufwand, der bei Amazon betrieben wird, unseren Kunden und Händlern nicht auffällt", meint Amazon-CEO Jeff Bezos. Doch ganz so sehr stimmt dieses Versteckspiel mit der eigenen Infrastruktur inzwischen nicht mehr: Seit dem vergangenen Jahr begann der E-Commerce-Anbieter, Teile seiner IT- und Internet-Ressourcen an andere Unternehmen zu vermieten – in Form von Web-Services.

So können etwa Start-ups aus dem Bereich Social Networking oder Media Sharing praktisch auf Zuruf Dienste wie "Amazon S3" nutzen, um ihre Multimedia-Daten auf der hochverfügbaren Serverinfrastruktur des Konzerns abzulegen, ohne selbst groß in Hardware investieren zu müssen. Ein weiterer Dienst, die so genannte "Elastic Compute Cloud", kurz "EC2", bietet temporäre Rechenkapazitäten in Amazons Datacentern an – Kunden können sich dort virtuelle Server kaufen. Im September kamen nun noch zwei weitere Web-Services hinzu: "Webstore by Amazon" und "Amazon Fulfillment", mit denen Web-Verkäufer ihre gesamte E-Commerce-Infrastruktur inklusive Logistik und Warenhaltung bei Amazon unterbringen können.

Die Idee bei all diesen Initiativen ist einfach: Amazon will seine Soft- und Hardwareinfrastruktur, die man in den letzten elf Jahren aufgebaut hat, zu Geld machen. "Es gibt bei vielen Firmen ein großes Bedürfnis an guter Back-End-Infrastruktur", meint Bezos. Dies seien vor allem Dinge wie verlässliches Server Hosting, Bandbreiten-Management und andere komplexe Abläufe, die mit dem Hauptgeschäft vieler Unternehmen nichts zu tun hätten. Amazon wolle mit seinen Web-Services nun anderen helfen, diese Bereiche zu stemmen.

Technology Review sprach mit Bezos am Rande der Emerging Technologies Conference, bei der der Amazon-Chef die Keynote hielt.

Technology Review: In Ihrer Rede sprachen Sie über die Vorteile von "S3", "EC2" und anderen Amazon-Web-Services, die kleinen Firmen helfen sollen, die kein Geld in große Datacenter investieren können. Doch hilft das alles nicht auch Amazon? Sie lasten damit ihre gigantische Rechen- und Speicherkapazität auf der ganzen Welt aus, die sonst vielleicht unbenutzt bliebe, und verdienen damit auch noch Geld. Es dürfte Zeiten geben, in denen Sie nicht einmal die Hälfte Ihrer Ressourcen brauchen.

Jeff Bezos: Manchmal brauchen wir sogar weniger als 10 Prozent unserer Kapazität. Und genau das ist einer der Vorteile unserer neuen Vorgehensweise – wir können so unsere Hardware besser ausnutzen. Wir steigern die systemweite Effizienz – und das sollte alle glücklich machen.

Unser Gedankengang war aber ein anderer. Es ging uns weniger um die reine Effizienz, sondern mehr um unsere eigenen Entwickler, die dadurch Werkzeuge erstellen können, mit denen der Abstimmungsbedarf sinkt. Anwendungen fürs Web lassen sich im Kleinen bereits recht schwer verlässlich betreiben – und das wird auch im größeren Rahmen nicht einfacher. Bei der Größe eines Unternehmens wie Amazon geht es dann etwa darum, die Anwendungsentwicklungsabteilung mit den Netzwerkinfrastrukturleuten im Datacenter abzustimmen.

Wenn Sie beispielsweise ein Teamleiter waren, der für Amazons Personalisierungsdienst zuständig ist und da Verbesserungen vornehmen will, dann mussten sie planen, welche Server sie brauchen. All das war dann wieder mit dem Infrastrukturteam abzustimmen – und das kann mehrere Wochen, Monate oder sogar ein Jahr im Voraus notwendig sein. Die Kosten für diese Abstimmung untereinander konnten sehr hoch sein.

Die erste Web Services-Anwendung, die wir vor drei Jahren herausgebracht haben, stellte nur Transaktions- und E-Commerce-Daten wie unseren Produktkatalog zur Verfügung. Als wir in diesem Bereich weiter voranschritten, wurde uns klar, dass selbst die primitiveren Dienste, die wir eigentlich für uns selbst gebaut hatten, für die Verwendung durch Drittentwickler und andere Firmen interessant sein könnten. Wir mussten nur noch die Rechnungslegung ergänzen.

TR: Bei Ihrer Rede sprachen Sie vor allem von Infrastrukturservices, aber wie Sie erwähnt haben, hatten die anfänglichen Amazon-Web-Services eher mit dem Zugriff von Entwicklern und Webmastern auf Ihre Datenbank zu tun. Damit ließen sich dann beispielsweise Produktinfos auf der eigenen Homepage anzeigen. Wie geht es in diesem Bereich weiter?

Bezos: Wir haben ein großes Team, das sich um die Erweiterung und Verbesserungen dieser Dienste kümmert, und das ist ein Bereich, durch den wir viele Kunden für Amazon werben. Das alles ist mit unserem Affiliate-Programm verknüpft, über den Menschen, die diese Web-Services nutzen, eine Provision verdienen können, wenn ein Kunde über ihre Seiten bei uns einkauft. Da gibt es rasche Fortschritte. Einer der jüngsten Initiativen, die wir angekündigt haben, ist "Webstore by Amazon", mit dem Firmen ihre eigenen Marken-Online-Shops auf Amazons Infrastruktur aufbauen können.

TR: Ebenfalls neu ist "Fulfillment by Amazon". Wie funktioniert das? Es erinnert ein bisschen an einen Zustelldienst, wobei die Produkte in Ihren Warenhäusern lagern, bevor sie die Kunden erreichen.

Bezos: Das funktioniert so – die Kunden schicken uns eine Kiste oder eine Palette mit Produkten, die wir vertreiben sollen. Das könnte für Firmen interessant sein, die derzeit noch ein Ladengeschäft betreiben und in den E-Commerce-Bereich expandieren wollen. Dazu schickt man uns dann eine Lieferung an Produkten, die dann in einem unserer Fulfillment-Center lagern. Dafür werden 45 US-Cent pro Monat pro Kubikfuß Lagerfläche fällig, also ungefähr fünf Dollar pro Kubikfuß pro Jahr. Wir haben das Programm so austariert, dass damit etwa ein Antiquariat sehr profitabel Geschäfte machen kann. Bezahlt wird nur für die Lagerfläche, und wenn das Produkt dann ausgeliefert werden soll, erfolgt im Grunde nur ein Web-Services-Aufruf – schon geht die Ware an den Kunden.

TR: Amazon, Google, eBay und sogar Microsoft bieten inzwischen diverse Web-basierte Infrastrukturdienste verschiedener Arten an. All dies baut darauf auf, was sie in den letzten Jahren beim eigenen Geschäftsbetrieb gelernt haben. Es könnte eines Tages so sein, dass wir die meisten IT-Aufgaben auf diesen Plattformen abwickeln. Können Sie sich vorstellen, dass Amazon irgendwann einmal für solche Web-Dienste berühmt wäre und nicht mehr für den E-Commerce?

Bezos: Nein. Wir haben es hier mit einem vollständig eigenen Geschäftsfeld zu tun, das auf seine Art wachsen wird. Amazon besteht eigentlich aus drei Firmen: Der für den Endkunden, der für die Händler und Verkäufer und der für die Entwickler. Natürlich interagieren alle drei miteinander – die Händler-Firma versorgt die Endkunden-Firma, wenn etwa ein Antiquariat über Amazon.com mit seinen Kunden in Berührung kommt. Aber so, wie wir das organisiert haben, steckt der Web-Services-Bereich in einer eigenen Tochter, der Amazon Web Services LLC. Das Team dahinter kümmert sich einzig und allein um unsere externen Kunden aus dem Entwicklerbereich.

Das Ziel ist es, das Retail-Geschäft von sich aus weiter wachsen zu lassen und das Entwickler-Geschäft von sich aus weiter wachsen zu lassen. Sie helfen sich natürlich untereinander. Heute ist Amazon selbst der größte Nutzer von Diensten wie "EC2" und "S3". Wir waren unsere eigenen Beta-Tester. Aber was Ihre Frage nach der Zukunft anbetrifft: Ich hoffe, dass Amazon eines Tages einer von vielen großen Infrastrukturanbietern sein wird, aber nicht "der" große Anbieter.

TR: Auf lange Sicht, also beispielsweise über 50 Jahre hinweg, können sich Unternehmen aber deutlich verändern – auf eine Weise, die niemand vorhersehen kann. IBM war früher für seine Bürotechnik bekannt, dann für Großrechner und schließlich PCs. Inzwischen setzt man sehr stark auf Consulting. Auch Sie experimentieren mit Technologien, die sich in ähnlich unvorhersehbare Richtungen entwickeln könnten.

Bezos: Ich erwarte diese Veränderungen nicht, weil unsere Geschäftsfelder für sich genommen erfolgreich sein können. Das Retail-Geschäft läuft global gut, und so ist es beim Händler-Geschäft. Vielleicht ist das alles nur eine Frage der Semantik, aber ich sehe Amazon Web Services als Erweiterung von dem, was wir tun, nicht als der Anfang eines Wandels der gesamten Firma.

TR: Also wäre es wohl kaum fair, Sie danach zu Fragen, was Sie in 50 Jahren erwarten?

Bezos: Dann werden wir wahrscheinlich unsere Gehirne in Microchips übertragen haben!

Übersetzung: Ben Schwan. (wst)