15 Jahre Raumstation ISS: "Diese Gefühle lassen sich nicht sofort verarbeiten"

Zehn Deutsche schwebten bisher durchs All. Thomas Reiter war länger dort als die restlichen neun zusammen. 1993 war er als Astronaut ausgewählt worden – 20 Jahre später spricht er über den Alltag auf der Raumstation ISS und über Heimweh im Kosmos.

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Von
  • Wolfgang Jung

Thomas Reiter hat insgesamt fast ein Jahr im All verbracht: 171 Tage auf der Internationalen Raumstation ISS und 179 Tage auf der mittlerweile versenkten russischen Station Mir. Der gebürtige Frankfurter ist heute Direktor für bemannte Raumfahrt bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa. "Ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen einen Blick von außen auf unseren Planeten werfen könnten", sagt der 55-Jährige der dpa in Moskau anlässlich des 15. Jahrestags der ISS.

Was erkennt man eigentlich von der ISS aus mit bloßem Auge?

Reiter: Kontinente, damit fängt es an. Nach einigen Erdumrundungen beginnt man, sie zu identifizieren. Später ordnet man die Länder ungefähr zu. Irgendwann erkennt man auch sein Heimatland, dann lassen sich Siedlungsgebiete orten, besonders nachts anhand der Beleuchtung. Was man nicht erkennt: Grenzen. Es gibt sie einfach nicht.

Thomas Reiter (6 Bilder)

Reiter 1995 auf der Raumstation Mir (Bild: ESA)

Hat die Raumfahrt die Sicht auf unseren Planeten verändert?

Reiter: Der Blick auf unseren wunderschönen Planeten, das Erkennen dieser dünnen Schicht von Atmosphäre, regt wohl jeden Besucher auf der ISS zum Nachdenken darüber an, wie wir auf der Erde miteinander umgehen – und wie wir mit den vorhandenen Ressourcen umgehen. Die Erkenntnis, dass es da unten noch viel zu tun gibt, wird aus dieser Perspektive noch verstärkt. Diese Einsicht verbindet alle, die am Projekt ISS arbeiten, nicht nur Astronauten. Tausende Ingenieure und Wissenschaftler sind an diesem größten Technologieprojekt der Menschheit beteiligt. Das geht nur, wenn man sich versteht.

Wie bewusst haben Sie im All die Weite des Universums erlebt?

Reiter: Der Blick aus dem Weltraum und in die Tiefen des Alls erzeugt Eindrücke, für deren Verarbeitung man viel Zeit benötigt, insbesondere nach einem Außenbordeinsatz. Nur ein dünner Raumanzug trennt einen da von einer lebensfeindlichen Umgebung. Schaut man auf die Erde, ist der Anblick für jede Sekunde fesselnd. Blickt man in die andere Richtung, bekommen die Farbe Schwarz und die überwältigende Anzahl von Sternen eine völlig neue Bedeutung. Das lässt sich nur beschreiben mit den bekannten Worten "unendliche Weiten". Leider hat man aufgrund der vielen Aufgaben im All aber kaum Zeit, diese neuen Sichtweisen wirklich zu genießen.

Hatten Sie Heimweh?

Reiter: Natürlich gab es Momente, in denen ich an meine Familie gedacht habe. Heimweh würde ich das aber nicht nennen. Wie auf der Erde gibt es während einer solchen Mission Momente, in denen es nicht so gut läuft. Dafür hat man dann seine Kollegen, die einen stützen. Auf der ISS ist es heute auch bedeutend einfacher, mit der Familie Verbindung aufzunehmen – sei es per Mail oder sogar per Telefon.

Wie lautet Ihr Fazit von 15 Jahren ISS? Wie geht es weiter?

Reiter: Die ISS hat alle Erwartungen erfüllt. Sie ist das ideale Labor sowohl für Forschung in der Schwerelosigkeit als auch für die Erprobung neuer Technologien. Deutschland gehört mit fast 100 Experimenten zu den intensivsten Nutzern der ISS. Und mit Blick auf den Kalten Krieg sollten wir nicht vergessen, dass die Zusammenarbeit im Orbit nicht immer so problemlos war. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie es nach 2020 hinaus weitergehen wird. Das Interesse der Wissenschaftler an Kontinuität ist jedenfalls groß.

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(anw)