20 Jahre Comdex: Und ewig balzt das Gürteltier

20 Jahre Comdex in Las Vegas: Das sind verrückte Parties, leichte Mädchen und Glücksspiele ohne Ende. Aber nicht nur...

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers

20 Jahre Comdex in Las Vegas. Das sind verrückte Parties, leichte Mädchen und Glücksspiele ohne Ende. Nicht ganz. Las Vegas ist auf dem Wege von einer Zockerstadt der leichten Freuden zum touristischen Allroundangebot, in dem die Mafia streng kontrolliert, dass es sauberer und sicherer zugeht als in Orlando, wo Disney Hof hält. Das Sands, das verrückte Hotel, in dem die Gang um Dean Martin und Frank Sinatra einen Mythos begründete, ist längst verschwunden, gewichen einem Riesenklotz namens Venetian, der Italien nach bestem Gewissen imitiert, trällernde Gondolieri inklusive. In diesem Bau hält Bill Gates heute seine Eröffnungsrede.

Das Sands gehörte einst Bill Adleman, der im Jahre 1978 die West Coast Computer Fair in Las Vegas besuchte. Diese Messe sollte eigentlich in San Francisco stattfinden, fand aber keine Räume. Adleman kaufte die Rechte an der Messe und nannte sie in Comdex um. In den ersten Jahren residierte die Comdex kreuz und quer in der gesamten Stadt in den Ballsälen der Hotels und einem winzigen Convention Center in Form einer grossen Suppenschüssel. 1985 mussten neun Hotels abgeklappert werden, um "die Messe" zu sehen. In jenem Jahr wurde eifrig über eine "echte Orgie" getratscht, die Philippe Kahn, Chef der Firma Borland, im Jahr zuvor gefeiert hatte. Unzählige Erzählungen gibt es von Philippe Kahns Toga-Party, fast alle mit diesem verklärenden Lächeln vorgetragen: Was waren wir doch für tolle Hunde, damals. Der Sage nach war es ein Fest am Pool, bei dem sämtliche Beteiligten am Ende angetrunken in Bettlaken gewickelt tanzten, bei der der damalige Borland-Chef Philippe Kahn wie Kaiser Nero über Rom auf einem Sprungbrett thronte und Saxophon spielte.

Seltsam nur, das einer, der dabeigewesen ist, etwas ganz anderes erzählt. Der frühere Borland-Manager Michael Hyman erinnerte sich: "Wir hatten damals im Jahre 1984 gerade Sidekick fertig und die Show war für uns ein riesengroßer Erfolg. Also beschlossen wir zu feiern. Eigentlich waren keine Räume frei, aber die Firma, die den Geschenkeladen im Foyer der Messe gemietet hatte, erschien nicht. Kurzerhand mieteten wir die Ladenfläche für 2500 Dollar den Abend und wollten dort die Party schmeißen. Unsere Leute fuhren zum nächsten Safeway-Supermarkt und kauften alles, was sie finden konnten. Dann druckten wir einen Handzettel und luden zur kostümierten Toga-Party ein, auf der 'Pecan and the Nuts' Turbo-Jazz spielen sollten. Das war natürlich Philippes Band. Der langweilige Laden wurde mit Turbo-Pascal-Code und Bettlaken aus dem Hotel dekoriert. Wir dachten, es würden 200 Leute kommen, es wurden aber 2000. Dauernd fuhren Autos los und holten irgendwelchen Nachschub. Es war sehr improvisiert und sehr lustig, alle Mann in Bettlaken, selbst diese steifen IBMer. Aber es gab dort weder einen Swimming-Pool noch volltrunkene Leute. Dazu war einfach nicht genug zu Trinken da. Und den Boden haben wir auch nicht ausgebuddelt."

Fast alle spektakulären Comdex-Geschichten lassen sich ähnlich unspektakulär auflösen. Am Stand von Inprise, wie Borland heute heißt, erinnert sich heute niemand mehr. Man ist vollauf damit beschäftigt, sich als Linux-Company zu präsentieren. Tatsächlich ist die Comdex bei den Einheimischen nicht sonderlich beliebt: Sie bringt zwar eine Menge Besucher und Aussteller in die Stadt, doch saufen die Computerleute nicht, auch ist das Glücksspiel nicht ihr Ding. Die Besucherströme der Comdex lassen jedenfalls seit Jahren so wenig Geld an den Spieltischen, dass sie von den großen Casinos als echte Plage angesehen werden. Dies war bei den früheren Ausgaben der Messe anders, als sich die ersten abenteuerlustigen Computerhändler und Programmierer ein Plätzchen zum Entspannen suchten. So erzählt Paul Terell von Computermania, der die erste Computerkette Kaliforniens aufbaute, immer wieder gerne davon, wie er besagte Kette zweimal am Spieltisch in Las Vegas verlor und wieder zurückgewinnen konnte. Ein anderer Besucher versoff sein Patent an einer optoelektisch gesteuerten Maus, trampte nach Hause und kehrte zwei Jahre später mit neuartigen Cache-Steuerungen für den Festplattenzugriff zurück -- die er ebenfalls unter Wert in einem einschlägigen Etablissement versetzen ließ. Aus seinen Ideen entstand die Firma DPT Technologies, die gerade von Adaptec gekauft wurde.

Ein Kennzeichen der Comdex ist es, dass die Messe nicht das Wesentliche ist. An die 500 Privatsuiten in den besseren Hotels rings um die Messe sind mit irgendwelchen "streng geheimen" Neuerungen vollgestellt, um die Gerüchteküche auf Touren zu bringen. Für Journalisten, Analytiker und Alkoholiker gibt es dann gegen Abend hin Parties und Empfänge bis zum Abwinken, mit denen der Abend gefüllt werden muss -- der Nachrichtenfluss ist damit sichergestellt. Der Journalist, der händeringend seinen Messetrend sucht, findet zuverlässig seinen "Analytiker", der diesen frei Büffet liefert. Die schiere Masse der Plaudertaschen in dieser Glitzerstadt sorgt dafür, das die Comdex tatsächlich als Trendfilter für das Frühjahr funktionieren kann.

Ein normaler Messebesucher erfährt davon so gut wie nichts. Er ist vollauf damit beschäftigt, nach dem Messeschluss den abendlichen Verkehrsinfarkt von Las Vegas zu erleben und ihn morgens ebenso unverzagt wieder herbeizuführen. Die katastrophale Infrastruktur von Las Vegas hält ihn in Atem, vom Kampf um den Restaurantplatz bis zum tapferen Warten auf ein freies Taxi hat er genug zu tun. "100.000 Leute auf der Suche nach einem Taxi", so definierte der amerikanische Journalist Guy Kawasaki vor einigen Jahren die Vegas-Messe. Bereits 1989 veröffentlichte Marketing-Guru Regis McKenna ein Buch ("Who's afraid of Big Blue"), in dem er der Industrie zwei wichtige Ziele setzte: IBM zu zerschlagen und die Comdex aufzulösen. Die Dynamik dieser Gerüchteküche, so McKenna, sei nicht mehr zu steuern und produziere Meldungen, für deren Reparatur die Firmen jeweils ein Jahr bräuchten -- bis zur nächsten Comdex. Bis heute hat niemand seine Forderung gehört -- doch das Internet macht mit ihr Ernst.

Nun ist das Fussvolk beileibe nicht ausgeschlossen vom munteren In-Group-Treiben. Für etwa 150 DM Spende (an den amerikanischen Suchdienst für vermisste Kinder) kann es sich den Zutritt zu einem Chili-Fressen erkaufen und die scharfen Bohnen verköstigen, die die Top-Leute der Branche mit ein paar Helfern in munterer Konkurrenz anrichten. Auch hier zeigt sich das Management von seiner kämpferischen Seite: Die besten Köche werden prämiert und müssen zum Schluß ein Gürteltier über eine Kriechstrecke von 20 Metern ins Ziel pusten. Auch so kann man seine Firma am Markt etablieren. Immerhin wird so ein Chilimeister-Titel in der Szene höher gehandelt als die Messepreise, die von diversen Fachzeitungen vergeben werden. Als "Best of Show" prämieren da Journalisten oftmals Neuerscheinungen, die sie nicht verstehen können, da sie ohnehin noch nicht funktionieren. Funktionieren sie, so müssen auch die Journalisten funktioneren: Der Druckerhersteller Kyocera verschenkte vor Jahren komplette Spiegelreflex-Ausrüstungen -- und prompt gewann der neu eingeführte Öko-Drucker der Japaner seinen Preis. Ein anderer großer Druckerhersteller flog ausgewählte deutsche Journalisten im Jet durch den nahegelegenen Grand Canyon, auf dass sie das Jet-Gefühl bei den Druckern besser wahrnehmen können. Auch das ist im Zeitalter des Internet in Gefahr. (Detlef Borchers)/ (jk)