20 Jahre 'lektronisch verbunden

Heute vor 20 Jahren wurde die WELL, ausgeschrieben die "Whole Earth 'Lektronic Link", auf einem Hausboot in Sausalito als Mailbox für die Unterstützer des Whole Earth Catalog (Slogan: Access to tools) für den öffentlichen Login geöffnet.

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Von
  • Detlef Borchers

Am heutigen Freitag vor 20 Jahren wurde die WELL, ausgeschrieben die "Whole Earth 'Lektronic Link", auf einem Hausboot in Sausalito als Mailbox für die Unterstützer des Whole Earth Catalog (Slogan: Access to tools) für den öffentlichen Login geöffnet. Nach dem Willen des Gründers Steward Brand sollte die Mailbox eine Mischung aus Bestellsystem und Downloadstation für Bau- und Bastelanleitungen arbeiten, doch schon bald entwickelten sich durch die Hippie-Kultur von San Francisco eigene Diskussionsthreads zum alternativen Leben, Conferences genannt. Von der Kinderaufzucht über Entwöhnungstherapien von diversen Suchtmitteln bis zur Benutzung derselben reichte das Spektrum der örtlichen Mailbox, die 8 Dollar im Monat Grundgebühr und 5 Cent pro Minute Onlinezeit verlangte.

Die Situation änderte sich grundlegend, als am 1. März 1986 die Grateful Dead-Conference (gd88) eröffnet wurde. Die Conference verschaffte der WELL nationale Berühmtheit: Erstmals kauften sich Deadheads und andere "ganz normale Menschen" Computer und Modem, nur um an einer Online-Diskussion teilnehmen zu können. Von 70 Gründungsmitgliedern stieg die Zahl der WELL-Teinehmer schlagartig auf 500, ein Jahr später gab es bereits 2000 WELLbeings. Dies auch deswegen, weil die WELL ab 1986 über das Netzwerk Compuserve des amerikanischen Steuerberater-Unternehmens H&R Block und damit auch über internationale Netze wie das deutsche Datex-P erreicht werden konnte.

Neben allgemeinen öffentlichen "Confs" entstanden geschlossene Konferenzen. So zog das internationel Diskussionforum der Computerjournalisten 1987 zur WELL um, als die Heimat-Mailbox "The Source" geschlossen wurde. Als in einem dieser geschlossenen Diskussionsforen das amerikanische FBI anarcho-terroristische Konspirationen vermutete und in einer landesweiten "Operation Sun Devil" Computer und Disketten beschlagnahmte, wurde auf der WELL die Gründung der Electronic Free Frontier Foundation (EFF) betrieben, die sich für den Schutz der Bürgerrechte im Cybespace einsetzt.

Auf der WELL entwickelte sich eine eigene Etikette des Umgangs miteinander, die in dem Begrüßungs-Login "You're on your own words" zusammengefasst war. Diskussionen wurden nicht moderiert, waren häufig sehr scharf, endeten aber meist friedlich mit dem Austausch von "beams", freundlichen Wünschen für das Kharma des Gegenüber. Im Unterschied zu anderen Mailbox-Systemen konnte auf der WELL im so genannten Picospan-BBS ursprünglich kein einziger Thread gelöscht werden: Die Diskussionen der Community sollten für die Ewigkeit erhalten bleiben. In einer beispiellosen Löschungsaktion auf Unix-Betriebssystem-Ebene (die WELL, anfangs auf einer VAX, später eine Zeitlang auf einem Stratus-System zu Hause, lief jahrelang unter BSD 4.3 und galt als bestes System zum Lernen von Unix) durchbrach der sehr streitbare US-Journalist Tom Mandel diese Regel: Er löschte kurz vor seinem Krebstod im Jahre 1995 alle seine Beiträge und hinterließ große Lücken.

Zum Zeitpunkt, als Mandel starb, hatte die WELL etwa 15.000 Mitglieder und war bankrott. Das System wurde durch den Multi-Millionär Bruce Katz gerettet, der den Vertrieb seiner Rockport-Schuhe über die WELL aufgebaut hatte. Aus der WELL-Mailbox wurde WELL Engaged, ein Web-Dienst, der schließlich von Salon.com aufgekauft wurde.

Zu den bekanntesten Teilnehmern, die die Kultur der WELL prägten, zählten Howard Rheingold, Mitch Kapor, Perry Barlow, aber auch der spätere Edelhacker Kevin Mitnick. Steve Jobs, auch er ein häufiger Besucher der WELL, benutzte das System gerne, um zu demonstrieren, wie lausig Unix als Betriebssystem ist. (Detlef Borchers) / (jk)