20C3: Jubiläums-Hackertreff startet mit Bugs

Die Chaosjünger erwartete zu Beginn des 20. Chaos Communication Congress Schlangen vor dem neuen Berliner Hackertempel, wenig Internet und zahlreiche Rück- sowie Ausblicke.

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Der Chaos Computer Club (CCC) will mit seinem zum 20. Mal stattfindenden Jahrestreffen für Freunde der schöpferisch-kritischen Technikgestaltung vor allem auf die Fortschritte und Auswüchse der automatischen Überwachung der Gesellschaft hinweisen. Gemäß des Mottos des diesjährigen 20. Chaos Communication Congress (20C3), das da lautet "Not a Number", wurden am Einlass nicht etwa die Teilnehmer, sondern nur ihre Hardware als Form der Diebstahlsicherung mit papierenen "Nummernschildern" ganz ohne Hightech versehen. Da aber auch die Menschen Pässe als Einlasskriterium erwerben und dafür standardmäßig 30 Euro löhnen mussten, startete das Treffen für die meisten Club-Chaoten mit einer gut halbstündigen Warterei in der Schlange vor dem Berliner Congress Center am Alex.

Schlechte Nachrichten gab es nach Erledigung der Formalitäten bei der Begrüßung durch die Congress-Leitung. Leider sei der Rückgriff auf die Lagerbestände an Routern eines freundlichen Cisco-Unterhändlers dieses Jahr nicht möglich gewesen, sodass der Aufbau einer Festnetzverbindung via Ethernet im Konferenzgebäude in den Sternen stehe. Ersatzgeräte seien zwar kurzfristig zu bekommen gewesen, aber noch nicht in Betrieb gegangen. Bleibt zumindest den mit Funkkarten ausgerüsteten Hackern zwar theoretisch der Rückgriff auf das installierte WLAN. Doch auch das läuft bislang mit halber Leistung und es ist eine Frage von Glück oder Zufall, ob eine drahtlose Verbindung zum weltweiten Datennetz mit den gedrosselten Ressourcen gelingt. Vom ursprünglichen Plan, WLAN nur über das sichere IPsec laufen zu lassen, nahm das Network (Dis-)Operation Center rasch Abstand.

Wenigstens das inhaltliche Congress-Programm konnte halbwegs pünktlich mitten im obligatorischen Chaos starten, nachdem der "Fahrplan" für die Vorträge und Workshops im Laufe des späten Vormittags nach ewiger Verspätung den einigermaßen stabilen Status "1.0" erreichte. Da konnten sich die Chaosjünger gleich "Erste-Hilfe"-Tipps -- angepasst an das "Nerddasein" -- abholen und eine Art Überlebenstraining für den Congress absolvieren anhand von Fragen wie der richtigen Dosierung von Rauchware oder koffeinhaltiger Cola und Hackerbrause. Hacken ist nach Auffassung des Clubs eben eine Frage des Lebensstils.

Dazu gehört auch eine gewisse politische, die Wirkungen von Computertechniken hinterfragende, Informationsfreiheit und Datenschutz hoch haltende Position, wie Gerriet Hellwig bei seiner Vorstellung der am 17. Dezember offiziell eingetragenen Wau Holland Stiftung deutlich machte. Demnach will die Organisation nicht nur Archivmaterial mit Bezug zu dem vor zweieinhalb Jahren verstorbenen CCC-Mitgründer und Alterspräsidenten Wau Holland in einem "Datengarten" sammeln, sondern auch gezielt das politische Sendungsbewusstsein ihres Namensgebers in "Gesetzesarbeit" umsetzen. "Wir schlagen die Brücke zwischen intelligenten Hackern und der Welt da draußen", erklärte Hellwig die Lobbylinie. Es sei nötig, stärker in die Debatte über die Zukunft der Informationsgesellschaft einzugreifen.

Die in der Stiftung am Leben gehaltenen Grundsätze der CCC-Veteranen prägen den Club bis heute. "Die Welt wird immer mehr automatisiert und (fremd-)gesteuert durch Maschinen, Computer und Roboter", ließ sich bereits in der "Datenschleuder 5+6" 1984 nachlesen, in der sich auch ein Ausblick auf den anstehenden ersten Chaos Communication Congress findet, der am Ende des "Orwell"-Jahres 1984 im Hamburger Bürgerhaus Eidelstedt über die Bühne ging. "Die Hauptthemen waren damals der Eigenbau von Modems und Akustik-Kopplern", erinnert sich Steffen Wernéry, eines der ersten Club-Mitglieder. "Es gab ja nichts dergleichen zu kaufen", weshalb der CCC als Alternative das "Datenklo" entwickelt hat. Daneben ging es um die Vernetzung von Mailboxen und Dienste wie Datex P sowie nach dem legendären Hack des Btx-Auftritts der Hamburger Sparkasse, bei dem die Hacker unter Ausnutzung einer Sicherheitslücke "testweise" an einem Wochenende über 100.000 Mark "abhoben", am Rande auch um den Bildschirmtext der Bundespost.

Waren es anfangs nur 250 Chaoten, die in Hamburg über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Computerei debattierten, erwartet die Congress-Leitung dieses Jahr über 2000 Besucher. Viele ihrer ursprünglichen Ziele haben die Hacker bereits erreicht. Mussten sie damals erst Wege finden, sich über die VAX-Großrechner von Forschungsorganisationen oder Konzernen ins Internet einzuklinken, gehört heute das Surfen im Netz und die Bereitstellung von Informationen online zum Medienalltag. Jetzt gehe es darum, gibt der Hacker Andreas Bogk, der nach dem Mauerfall 1990 auf dem legendären Ost-West-Treff "KoKon" im Haus der jungen Talente mit dem CCC in Kontakt kam, als Losung aus, die Netzvision auszugestalten. Dabei wolle der Club sein Gewicht stärker gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen öffentlich in die Waagschale werfen. Vorbild sei die gemeinsam mit Organisationen wie dem Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) oder attac koordinierte Kampagne gegen Softwarepatente in der EU, die zumindest im Europäischen Parlament zu einem Teilerfolg der Graswurzel-Lobbyisten führte. (Stefan Krempl) / (ciw)