31C3: Hacker sollen wieder das Netz regieren

Nach dem Schock der NSA-Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden sehe die Hackergemeinde einer "neuen Morgendämmerung" entgegen, hieß es bei der Eröffnung des 31. Chaos Communication Congress.

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31C3: Hacker sollen wieder das Netz regieren

(Bild: Torsten Kleinz)

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Langsam überwindet die Hackergemeinde die Schockstarre nach dem Offenbarwerden der Details zur massiven Internetüberwachung durch mächtige Spionagebehörden im vergangenen Jahr. "Nicht schäbige Geheimdienste regieren das Internet, sondern wir", betonte ein unter dem Pseudonym "Erdgeist" firmierender Vertreter des Chaos Computer Clubs (CCC) am Samstag bei der Eröffnung des 31. Chaos Communication Congress (31C3) in Hamburg.

Zwar seien die Geheimdienste nach wie vor weitgehend "außer Kontrolle", führte Erdgeist im überfüllten Hauptsaal des Congress Center Hamburg (CCH) aus. Ein rosigerer Ausblick sei aber spätestens gerechtfertigt, seit Google-Ingenieure der NSA den Mittelfinger gezeigt und eine Verschlüsselungslücke zwischen den Rechenzentren des kalifornischen Internetkonzerns dicht gemacht hätten.

Der Hacker räumte ein, dass viele kryptographische Anwendungen nach wie vor schwer zu bedienen oder generell kaum zu gebrauchen seien, wenn sie nicht bereits im Design-Prozess unterwandert wurden. Im Lauf des nächsten Jahres würden aber im Verschlüsselungsbereich viele Verbesserungen kommen, an denen in den vergangenen Monaten gearbeitet wurde.

Über die Jahre hinweg seien der CCC und Hacker allgemein immer wieder scharf angegangen worden, weil sie nicht dem "Mainstream" angehörten, so Erdgeist weiter. Sie könnten aber stolz darauf sein, was sie erreicht hätten. Ein Erfolgsrezept sei es, unabhängig vom ethnischen Hintergrund oder von der sexuellen Orientierung miteinander zu kommunizieren und Wissen auszutauschen. "Wir sind nicht mehr die Underdogs, wir werden der Mainstream", ergänzte Moderatorin Geraldine de Bastion: "Wir müssen als Vorbild dienen."

In der anschließenden "Keynote" benötigte Musikproduzent Alec Empire eine gute Stunde, um auf den Punkt zu kommen, dass elektronisch beförderte Kultur stärker für politische Kämpfe eingesetzt werden sollte und dabei Hacker wie Künstler intensiver zusammenarbeiten müssten. Der Frontmann der Gruppe Atari Teenage Riot, der mit Unterstützervideos bereits Spenden für Anonymous und WikiLeaks eingetrieben und bei 1.-Mai-Demos in Berlin aufgespielt hat, warb dafür, Autoritäten zu misstrauen und die Dezentralisierung voranzutreiben.

Das System bevorzuge die Lautesten, kritisierte Empire, der zum Aufrütteln selbst nicht gerade die leisesten Techno-Töne anschlägt. Mit dem Erfolg der Distributionsmaschine Internet hätten viele gedacht, es sei ein goldenes Zeitalter des freien Ideenausdrucks angebrochen. Doch mittlerweile verwandeln Algorithmen, die "meistgehörte Songs" nach oben spülen oder "geschmacksbezogene Vorschläge" machen, aktive Nutzer wieder in passive Verbraucher.

Hinzu komme, dass sich auch globale Akteure wie der Streaming-Dienst Spotify bereitwillig nationalen Zensurregimes unterwürfen, wetterte der Produzent. So habe die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien beim Musik-Service interveniert, dass eines seiner Alben dort nicht zur Verfügung gestellt werden dürfe. Es war 2002 auf dem Index gelandet. Vereine wie der CCC verleihen in diesem Umfeld Hoffnung, unterstrich der Musiker. Die Hacker verteidigten nicht nur das Recht auf freien Informationszugang, sondern auch das auf Privatsphäre. Diese Aspekte seien für Kreative sehr wichtig.

Insgesamt sollen auf dem 31C3 bis Dienstag etwa 200 Redner und Panelteilnehmer gut 150 Vorträge und Diskussionsrunden bestreiten. Parallel laufen etwa 200 Versammlungen ("Assemblies") für die Projektarbeit und den Spaß am Gerät.

Der CCC hofft auch in diesem Jahr auf das von Snowdens Enthüllungen erzeugte Interesse der Allgemeinheit und rechnet mit rund 10.000 Kongressbesuchern. Bei der Jubiläumskonferenz voriges Jahr waren über 9000 Teilnehmer am Start. Das gestiegene Interesse an Hackerfragen bemerkt der Club auch am direkten Zulauf: In den vergangenen beiden Jahren konnte er die Menge seiner zahlenden Mitglieder um 35 Prozent auf 5700 erhöhen. Ein kostenloser "Junghackertag" soll am Sonntag mehr Nachwuchs anziehen. (ghi)