32C3: Gegen Gated Communities - "Facebook muss seine Mauern einreißen"
Facebook müsse gezwungen werden, die Mauern seiner geschlossenen Gemeinschaft einzureißen und sich zu öffnen, forderte die Aktivistin Katharina Nocun auf dem Hackerkongress. Sonst hätten Alternativen wie Diaspora kaum eine Chance.
Soziale Netzwerke seien an sich hervorragende Plattformen für Kommunikation, Interaktion und Kampagnen, konstatierte die frühere politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Katharina Nocun, auf dem 32. Chaos Communication Congress (32C3) in Hamburg. Aufgrund der mit ihnen verknüpften ökonomischen Strukturen neigten sie aber dazu, sich in geschlossene Gemeinschaften mit Monopolcharakter nebst allen damit verknüpften unerwünschten Folgen zu verwandeln.
Gated Communities
Facebook ist für Nocun ein Paradebeispiel für eine der "Gated Communities" im Netz, die das diesjährige Motto der Hackerkonferenz bildeten. Geheime Algorithmen wählten auf der US-Plattform den Nachrichtenstrom nach Beiträgen mit dem meisten Klickpotenzial aus kommerzieller Hinsicht aus und sorgten für Filterblasen. Dazu komme Zensur, wobei Gewalt noch eher akzeptiert werde als nackte Haut. Datenschutz sei weitgehend Fehlanzeige, da die Nutzer im Interesse der Werbekunden ausgespäht werden müssten.
Sich selbst verstärkende Netzwerkeffekte für Teilnehmer und App-Entwickler sowie gängige Skaleneffekte ließen Facebook immer weiter wachsen, erklärte die studierte Ökonomin. Zugleich erhöhten sie die Gefahr für die Nutzer, in das geschlossene System immer mehr eingeschlossen zu werden. Spannende neue Funktionen alternativer Plattformen würden sofort kopiert, um einem Wechsel entgegenzuwirken. Dazu komme das Streben, mit Bündelangeboten die Marktmacht auf benachbarte Bereiche wie Dienste für Videos oder zur Echtzeit-Kommunikation zu übertragen.
Mit kostenfreien Zugangsofferten zum Internet etwa in Indien hebele Facebook auch die Netzneutralität aus, monierte die Mitarbeiterin des Kampagnennetzwerks Campact. So würden "immer mehr Teile der Internetgemeinde" insgesamt vereinnahmt, was "verheerende Folgen" haben dürfte: "Die Offenheit des Netzes wird systematisch bedroht, wenn Gated Communities sich immer weiter ausdehnen."
"Marktversagen"
Nocun konstatierte so ein "Marktversagen", das es alternativen sozialen Netzwerken wie der dezentralen Open-Source-Lösung Diaspora verunmögliche, mit Facebook in einen fairen Wettbewerb zu treten. Diaspora habe über die Jahre hinweg mit insgesamt rund 500.000 Mitgliedern zwar eine "stabile Nutzerbasis" gefunden, von denen sich 20.000 bis 25.000 mindestens einmal pro Monat einloggten. Dazu gekommen seien Verbündete wie die Plattformen Red Matrix oder Friendica, die auf dem gleichen Protokoll basierten. Der offene Variante, die mit Auswahl, Freiheit und Datenschutz werbe, sei es aber bisher nicht gelungen, Facebook vom Thron zu stoßen.
Die Ex-Piratenanführerin sieht daher nur eine Lösung: Facebook müsse "die Mauern einreißen". Da der Gründer des Netzwerks, Mark Zuckerberg, sicher nicht aus freien Stücken auf offene Standards umschwenken werde, müsse er dazu eben gezwungen werden. Nocun hat dabei offenbar vor allem die Kartellwächter im Blick, aber auch die Hacker. Diese erinnerte sie daran, dass es ein "politischer Akt" sei, Code zu schreiben und die Welt so in eine Richtung zu steuern, "wie wir sie haben wollen".
Datenportabilität vs. Offenheit
Auf das in der neuen Datenschutz-Grundverordnung vorgesehene Instrument der Datenportabilität, das Diensteanbieter künftig beachten müssen, mag Nocun dagegen noch nicht recht vertrauen. Sie sei noch nicht überzeugt, ob in den zu liefernden Dateien auch alle persönlichen Informationen und Inhalte enthalten sein müssten, die für einen reibungslosen Wechsel zu einem anderen Betreiber nötig seien.
Die Datenreisenden hält Nocun schon jetzt prädestiniert für Diaspora, da dort Themen wie Linux, Politik oder Hackernews im Vordergrund stünden. Nach Gesprächen mit Entwicklern konnte sie ankündigen, dass bald auch eine Chat-Erweiterung auf XMPP-Basis in das Netzwerk integriert werde. Damit könnten die Tüftler endlich auch Kontakte von dem in ihren Kreisen beliebten Jabber-Messenger hinzufügen. Diaspora dürfe aber nicht zu einer geschlossenen Gemeinschaft für Hacker werden, sondern müsse sich auch etwa für Aktivisten und vergleichbare Gruppen attraktiver machen. Nutzer, die unter staatlicher Facebook-Zensur litten, bräuchten die Alternative schon jetzt dringend. (jk)