40 Jahre GNU: Grundsatzfragen zu KI, Red Hat und Co.

Nach 40 Jahren fragt sich die GNU-Bewegung für freie Software unter anderem, wie radikal man sein kann, ohne die Zukunft zu verlieren. Ein Bericht aus Biel.

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Foto der GNU-Community in Biel

40 Jahre GNU: Community trifft sich in Biel

(Bild: gnu.org, Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Soll die Free Software Community sich auf das Thema KI einlassen oder dem Hype die kalte Schulter zeigen? Die Meinungen dazu und zu weiteren Themen gingen bei der Feier 40 Jahre GNU in Biel auseinander. Einen Tag lang diskutierten 150 GNU Entwickler samt dem eigens angereisten GNU-Vater und Gründer der Free Software Foundation, Richard Stallman, über das Erreichte und die nächsten Ziele. Als Geburtstagsgeschenk gab es Releases von GNU Health und dem Key Backup Package Anastasis.

Happy Hacking: GNU Gründer Richard Stallman, der wegen einer Krebsbehandlung seine Haarmähne verloren hat, dankte seiner Community in Biel für das in vierzig Jahren Geschaffte.

In seiner Geburtstagsansprache äußerte sich Stallman erst einmal zum Strategiewechsel von Red Hat. Das Unternehmen hatte die Einschränkung des Zugriffs auf den Quellcode seiner Enterprise-Linux Distribution RHEL angekündigt. Er habe keine abschließende Antwort dazu, ob Red Hat die GNU Public License mit ihrem Vorgehen verletze. Klagen könne man wohl kaum, schätzt er. Die Drohungen gegenüber Nutzern, deren Supportverträge zu kündigen, wenn sie Red Hat Software distributierten, sei aber auf jeden Fall antisozial. "Damit sollten sie aufhören", so Stallmans Appell.

Abgesehen von diesem "hässlichen Streit" steht die Free Software Community laut Stallman vor der Frage, wie sie mit dem Hype-Thema KI umgehen sollte. "Bullshit Maschinen" nennt Stallman, der die Arbeiten an GNU während seiner Zeit am MIT Lab für KI begann, die Large Language Models. "Das Einzige, was sie können, ist geschmeidig formulierte Sätze auszuspucken. Wer ihnen glaubt, ist verloren", ist Stallmans Auffassung. Durchaus sinnvollen Anwendungen, etwa bei der medizinischen Diagnostik, stünden gesellschaftlich gefährliche, manipulative gegenüber. Dringend verboten werden müssten Empfehlungsmaschinen, die Menschen regelrecht abhängig machten. Diese Technologie durch Lizenzen einzuschränken, werde nicht funktionieren.

Die Skepsis gegenüber Large-Language-Modellen (LLMs) teilt auch Björn Schießle, der erste externe Gratulant beim GNU Geburtstagstreffen. Der Mitbegründer von Next Cloud sieht aber zugleich eine Chance in der Entwicklung. Die Sorge vor dem Abfluss von Firmendaten durch Cloud-LLMs mache das Thema Souveränität auch für solche Unternehmen attraktiv, die bislang kein Problem mit dem Einsatz proprietärer Software gehabt hätten. "Wir können mit einer guten Antwort auf der Basis von freier Software aufwarten und können eine ganz neue Nutzergruppe gewinnen" erklärte Schießle.

Für eigene KI-artige Anwendungen, etwa die Chance, sich Zusammenfassungen langer Mail Threads ausspucken zu lassen, verwendet Next Cloud freie Modelle, etwa eines der Universität von Helsinki, und begutachtet jeweils die Transparenz verwendeter Trainingsdaten.

Wie weit sich die Freie-Software-Bewegung auf "unfreie" technologische Entwicklungen einlassen soll, ist eine Grundsatzfrage. GNU Revolutionär Stallman warnt so beispielsweise vor der Nutzung von Smartphones, die er als Spionagegeräte "Snoop Phones" nennt. Ihre Betriebssysteme durch vollständig freie Varianten zu ersetzen, hält er für praktisch unmöglich.

Zudem sei es kaum möglich, der Schwemme von Tausenden Apps, die die "Snoop Phones" für Nutzer attraktiv machten, jeweils freie Varianten entgegenzusetzen. "Auf die Frage nach einer erfolgversprechenden Strategie zur Befreiung dieser Geräte muss ich passen. Ich persönlich habe die Konsequenz gezogen, gar kein Mobilfunktelefon zu verwenden. Wenn man frei sein will, bleibt einem nichts anderes übrig", sagte Stallman im Gespräch mit heise online.

Bei der europäischen Schwester der FSF hat man sich dagegen einer anderen Antwort verschrieben: FSFE Präsident Matthias Kirschner berichtete von den Anstrengungen der FSFE, in regelmäßigen Flashing-Parties Smartphone Nutzern zumindest einen Teil der Hoheit über die Geräte zurückzugeben. Kirschner verwies gegenüber heise online überdies auf die Arbeiten verschiedener Gruppen für alternative Mobilfunkbetriebssysteme. Lineage OS, Replicant oder PureOS sind drei der entsprechenden Aufschläge. Als Alternative zu den App-Stores der Großen versucht sich F-Droid.

Ginge es nach Kirschner, muss an diesen Projekten weiter gearbeitet werden. Zugleich will die FSFE in den kommenden Jahren die Offenheit von Geräten, die "Device Neutrality", auch als politische Forderungen voranbringen. Nutzern müsse es ohne extra Erlaubnis eines Geräteherstellers erlaubt sein, das Betriebssystem und die App-Stores zu wählen, die sie wollen. "Das ist auch eine Frage der Nachhaltigkeit und des Wettbewerbs", sagte Kirschner.

FSFE und FSF diskutierten am Rande des Treffens auch, wie man künftig zusammenarbeiten will. "Wie könnten FSF, FSFE und die GNU-Maintainer enger zusammenarbeiten", lautete die Frage des spanischen GNU-Entwicklers und Oracle Mitarbeiters Jose Marchesi an Kirschner.

Wenig Hoffnung auf rasche Veränderungen in der Politik – oder gar Implementierungen von Freier Software als Default – machte den Teilnehmern der Schweizer Abgeordnete Jörg Mäder. "Unser politisches System ist nicht schnell genug", sagte er mit Blick auf die Frage nach entsprechenden Weichenstellungen in staatlichen Digitalisierungsstrategien.

Mäder, der der GNU Bewegung ausdrücklich für ihre Arbeit dankte und Stallmans Emacs als seinen Lieblingseditor bezeichnet, rief die 150 Teilnehmer ausdrücklich auf: "Sprechen Sie nicht nur mit den Nerds! Wenn die Gesellschaft nicht lernt, sich in der digitalen Welt zu bewegen, steht zu befürchten, dass große Unternehmen und Regierungen diese Welt nach ihren Vorstellungen gestalten. Das ist nicht die Welt, in der wir leben wollen." Videos der Vorträge vom Geburtstagsfest finden sich hier.

(mack)