AKW Brokdorf wegen Unfall abgeschaltet

E.on-Atomkraftwerk in Schleswig-Holstein muss nach ungeklärtem Vorfall an einem der Trafos heruntergefahren werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Atomkraftwerk (AKW) Brokdorf musste nach einem Vorfall an einem Maschinentransformator am Sonntagmorgen vom Netz. Betreiber E.on meint offensichtlich, ein dürrer Fünfzeiler reiche vollkommen als Information der Öffentlichkeit. Demnach sei es in einem von zwei Transformatoren zu Problemen gekommen. Man habe die Aufsichtsbehörden informiert, heißt es lapidar.

Beim zuständigen Justizministerium in Kiel ist man ein wenig auskunftsfreudiger. Nach dem Ausfall des Transformators sei es zu einer sogenannten Turbinenschnellabschaltung (TUSA) gekommen. Laut Wikipedia bedeutet das, dass die Turbine schlagartig vom Netz genommen wird und in den Leerlauf übergeht. Offenbar ist der Lastabwurf vollständig gewesen, denn nach der TUSA ist gemäß Betreiberangaben der Eigenbedarf auf ein Reservenetz umgestellt worden. Der Reaktor sei anschließend herunter gefahren worden, aber nicht im Rahmen einer Reaktorschnellabschaltung, wie es im schleswig-holsteinischen Justizministerium heißt.

Die näheren Ursachen des Vorfalls werden noch untersucht. Offenbar hatte ein Messfühler in der Nähe des Maschinentrafos Schadgase registriert und daraufhin die Abschaltung eingeleitet. Derzeit sind sowohl Fachleute des Betreibers als auch von der Atomaufsicht bestellte Experten dabei, die näheren Umstände zu ergründen. Das AKW soll entsprechend vorerst nicht wieder hochgefahren werden.

Brennpunkt der Anti-AKW-Bewegung

Das AKW Brokdorf liegt an der Unterelbe in Schleswig-Holstein, nordwestlich von Hamburg. Erst vor gut zwei Wochen war es wieder ans Netz gegangen, nachdem es zuvor über einen Monat lang zur jährlichen Revision und zum Brennelementwechsel stillgestanden hatte. Es handelt sich um einen Druckwasserreaktor mit einer Nettoleistung von 1410 Megawatt. Sein Bau war in den 1970ern und 1980ern einer der Brennpunkte der westdeutschen - und übrigens auch der dänischen - Anti-AKW-Bewegung gewesen. 1976 und 1977 gab es nach einer ersten Besetzung des Bauplatzes und nachfolgender gewaltsamen Räumung durch die Polizei mehrere zum Teil sehr militante Großdemonstrationen gegen den Bau, der schließlich aufgrund einer gerichtlichen Verfügung für mehrere Jahre eingestellt werden musste.

Anfang 1981 hob das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg den Baustopp auf, weil es Fortschritte in der Lösung der Endlagerfrage gegeben habe. Daraufhin kam es zur bis dahin größten Demonstration am Bauzaun. Rund 100.000 Menschen hatten sich trotz Verbots und eines der massivsten Polizeiaufgebote in der Geschichte Westdeutschlands auf den Weg gemacht. Vier Jahre später stellte der Bundesgerichtshof fest, dass das dreitägige Demonstrationsverbot für den ganzen Landkreis verfassungswidrig gewesen war.

Im Sommer 1986, am 7. Juni, nach dem GAU in Tschernobyl und kurz vor der Inbetriebnahme des AKW Brokdorfs, kommt es erneut zu einer Demonstration der Superlative. Wieder kommen Zehntausende und treffen sowohl am Bauzaun als auch schon bei der Anfahrt auf exzessive Polizeigewalt ( hier ein Augenzeugenbericht). Ein PKW- und Buskonvoi mit 10.000 AKW-Gegnern aus Hamburg wird im schleswig-holsteinischen Kleve von der Polizei aufgehalten. Die Beamten gehen schon bald dazu über, Reifen zu zerstechen und die Scheiben der Fahrzeuge einzuschlagen, was zu mehreren schweren Augenverletzungen bei Insassen führt. Wer vor den Schlägen aus den Fahrzeugen flieht, wird durch die Kolonne gejagt. Hamburger Demo-Sanitäter zählen später über 100 oft Schwerverletzte, die sich ärztlich behandeln lassen mussten.

Als Reaktion auf die Ereignisse in Kleve kam es am darauf folgenden Tag auf dem Heiligen-Geist-Feld in Hamburg zu einer spontanen Demonstration, die schon bald von der Polizei eingekesselt wurde. Über 800 Menschen wurden im berüchtigten "Hamburger Kessel" über viele Stunden festgehalten. Gerichte bestätigten später Innensenator und Polizeiführung, dass ihr Vorgehen gesetzwidrig war, dennoch entwickelte sich der Kessel in den Folgejahren bis heute zu einem beliebten Instrument polizeilicher Taktik. Vor 25 Jahren war derlei auch innerhalb der Polizei noch umstritten, wovon heute nicht mehr die Rede sein kann.