ALG II: 9 Euro mehr und alle Fragen offen

Außer Kontrolle

Die ALG-II-Leistungen sollen um einige Euro angehoben werden. Doch die grundsätzliche Kritik an der Berechnung der Leistungen bleibt weiterhin bestehen – und wird von der Politik ignoriert.

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Das Kabinett hat es beschlossen: Ab Januar 2014 wird es für ALG II-Bezieher eine Erhöhung der Leistungen geben. Der Regelsatz für Alleinstehende wird von 382 auf 391 Euro angehoben werden, Bedarfsgemeinschaften können sich auf eine Erhöhung um 8 Euro einstellen. Bereits im vergangenen Jahr waren die Regelsatzleistungen um 8 bzw. 7 Euro angehoben worden.

Auch wenn für ALG-II-Bezieher jeder Euro zählt, sind die geringfügigen Erhöhungen weder geeignet um grundlegende Problematiken aus der Welt zu schaffen, die durch die Pauschalierung der Regelsätze entstanden sind, noch um angemessen auf die Kritik des Bundesverfassungsgerichtes zu reagieren, das im Jahr 2010 die Berechnung der ALG-II-Regelsätze beanstandet hatte. Im Kern hatte das Gericht geurteilt, dass die Transparenz der Berechnungen nicht gegeben sei und eine Neuregelung gefordert, ohne konkrete Beträge vorzuschlagen. Die Regierung hatte daraufhin zwar die Regelsätze neu berechnet, doch blieben weiterhin viele Fragen offen. So war im BVerfG-Urteil explizit auf ein menschenwürdiges Existenzminimum eingegangen worden. Auch wurde gerügt, dass Kinder als "kleine Erwachsene" angesehen wurden, so dass man für sie nicht extra berechnete, welche Beträge adäquat sind, sondern lediglich die Erwachsenenregelsätze prozentual auf Kinder umrechnete.

Die Reaktion der Regierung (vornehmlich in diesem Fall der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen) auf das Urteil des BVerfG war durchaus interessant: Während es sieben Monate dauerte, bis neue Regelsätze festgelegt waren, wurde in dieser Zeit auf anderen Gebieten eine umfassende Novellierung vorgenommen. Das Ziel war, die Regelungen des Sozialgesetzbuches II und XII dem anzupassen, was CDU/CDU sich diesbezüglich überlegt hatten: Nämlich zum einen weitere sprachliche Veränderungen vorzunehmen, und zum anderen weitere Verschärfungen in das Gesetz aufzunehmen. Die sprachlichen Veränderungen schienen auf den ersten Blick eher banal – so wurde aus dem Regelsatz der Regelbedarf, der Hilfeempfänger wurde zum Leistungsbezieher und "geschlechtersensible" Bezeichnungen ersetzen die bisherigen Formulierungen. Gerade die Umbenennung der Hilfeeempfänger in Leistungsbezieher folgte einem Prinzip, das mit der Umbenennung des Arbeitsamtes in Arbeitsagentur und später Jobcenter begonnen hatte – alles soll weniger nach Behörde und Hilfe klingen, sondern dynamisch und flexibel, der Hilfeempfänger bzw. -beantragende wird zum Leistungsempfänger, was es auch einfacher macht, die Logik zu vertreten, dass der Leistung Gegenleistungen folgen müssen.

Eine weitere Änderung: Musste vorher noch explizit auf die Möglichkeit der Sanktionierung hingewiesen werden, reichte es von jetzt an, anzunehmen, dass der Leistungsbezieher darüber informiert ist. Das Bildungspaket sollte die Kritik an dem nicht kinderspezifischen Regelbedarf abfedern, entpuppte sich jedoch mehr und mehr als bürokratisches Monstrum.

Eine neuerliche Berechnung von ALG II, die tatsächlich den Vorgaben des BVerfG entsprechen würde, nahm das Arbeitsministerium bis jetzt noch nicht vor. Die demnächst stattfindende Erhöhung ist letztendlich somit wieder nur eine banale Geste in Richtung der ALG-II-Empfänger, die das außer Acht lässt, was auch das BVerfG feststellte: Es geht nicht um 3,4 oder 8 Euro mehr, es geht insbesondere um transparente, nachvollziehbare Berechnungen der einzelnen Regelsätze. Gerade diesen Aspekt ignoriert die Bundesregierung jedoch weiterhin.