Alte Werte

Es ist nicht viel geblieben vom Glanz der so genannten Neuen Ökonomie. Neuerdings legen Unternehmer Wert darauf, sich davon zu distanzieren. Ihr Credo: Es gibt nur eine Wirtschaft - es ist genau die gleiche wie immer - und in der zählen das Geschäftsmodell und Gewinne.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Frank Rohse

Mit der Dot.com-Krise beschäftigten sich auch die Referenten beim Deutschen Wirtschaftskongress (www.ofw.de), dem größten von Studenten organisierten Kongress der Welt. Die rund 400 Besucher aus 70 Nationen mussten sich für die Teilnahme mit einem Essay qualifizieren. Der Veranstalter sorgte dann für Anreise und Unterkunft.

Je nach Sichtweise der Vortragenden ist das Internet eine Technik, ein Werkzeug oder ein Vertriebskanal, aber es begründet keine neue Form des Wirtschaftens. Das ist die meist gehörte Botschaft. Seit der Start-up-Krise gibt es Analysen, Rückblicke, Erklärungen statt unkritischer Euphorie.

Martin Varsavsky etwa, als Gründer des Application Service Providers Einsteinet selbst ein Start-up-Unternehmer, verglich das Dot.com-Sterben mit den Tulpen-Spekulationen im 17. Jahrhundert. Das Zusammentreffen von großer Nachfrage und begrenztem Angebot hatte die Preise für einzelne Zwiebeln damals in unvorstellbare Höhen getrieben, zu Spekulationen verführt und mit dem Platzen der Blase schließlich etliche Spekulanten ruiniert.

Finanzmärkte sind aus seiner Sicht kein guter Indikator für den tatsächlichen Wert eines Unternehmens. Zu groß und praktisch unerfüllbar seien die Erwartungen an die Start-ups gewesen. Deren grundsätzliches Problem sei, dass sich Pageviews nicht ohne weiteres zu Geld machen lassen. Weil aber in einer kapitalistischen Welt nicht alles kostenlos sein sollte, empfiehlt Varsavsky, Werbung als eine mögliche Form von Erpressung einzusetzen. Wie sich bei Shareware oder dem Bezahlfernsehen gezeigt habe, seien Kunden sehr wohl bereit, für werbefreie Angebote zu zahlen.

Als weiteren Grund für das Scheitern vieler Internet-Start-Ups machte Deutsche-Bank-Chef Breuer fehlendes Vertrauen aus. Viele Kunden misstrauten Unternehmen, die sie nicht persönlich an der nächsten Straßenecke aufsuchen könnten. Maurice Lévy, der mit seiner Werbagentur Publicis Marken schafft und pflegt, stimmte der Bedeutung von Vertrauen im Internet zu. Wer etwa Nachrichten und Informationen aus dem Internet nutze, müsse der Seriosität seiner Quelle vertrauen können. Marken hätten traditionell die Aufgabe, vertrauenswürdige Produkte oder Dienstleistungen anzuzeigen und Kunden seien bereit, für diese Sicherheit zu zahlen, so Lévy. Nach seiner Erfahrung ist Zeit der wichtigste Faktor, um eine Marke zu etablieren. Zeit, die viele der gescheiterten Start-ups einfach nicht hatten.

Daneben warf Werbeagentur-Chef Lévy als einziger die Frage auf, welches Recht ein Unternehmen überhaupt habe, Kundendaten zu sammeln und auszuwerten, was er zutiefst verabscheue. Er verzichte auf zielgerichtete Werbung, personalisierte Webangebote und Dienstleistungen, aus Angst vor dem kurzen Schritt in Richtung Missbrauch und Polizeistaat. Diese Entscheidung müsse dem Nutzer stets offen bleiben, forderte Lévy.

Eine Entscheidung, die Jahn Wennerholm von Ericsson offensichtlich leicht fällt. Sein Lieblingsthema ist der Erfolg des mobilen Internetdienstes i-mode in Japan. Vor allem Jüngere nutzen den Dienst für Spiele, E-Mail und das Herunterladen von Comic-Bildern, die, hochauflösend und farbig, nur noch wenig mit den auch bei uns bekannten Handy-Logos gemein haben. Die Veränderungen, die in der nächsten Stufe mit einem ständig verfügbaren mobilen Netzzugang kommen, werden nach Wennerholm größer sein als erwartet und vielleicht sogar größer, als heute von vielen akzeptiert würde. Dem ständen aber Vorteile in Form von persönlicher Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität gegenüber. Damit meint er etwa personalisierte Dienste, die den Weg weisen können oder auch die Möglichkeit, die Software in einem computerisierten Auto per Funk-Update stets auf dem neuesten Stand zu halten.

Joseph Weizenbaum beim VIII. Deutschen Wirtschaftskongress

Kritische Worte kamen von Joseph Weizenbaum, Erfinder des Programms ‘Eliza’ und bis 1988 Lehrer und Forscher am MIT. Der neo-liberale ökonomische Beschleunigungsprozess nach der Formel technologischer Fortschritt plus Individualisierung plus Deregulierung gleich Wohlstand habe gravierende gesellschaftliche und moralische Folgen. Wenn es etwa Paaren nur noch schwer möglich sei, einen Arbeitsplatz am gleichen Ort zu finden und Kommunikation immer mehr per E-Mail oder in Chats stattfinde, könne das zu Vereinsamung führen, die dann in Kaufsucht ein Ventil fände. Ihm sei es wichtig, seinem Gesprächspartner in die Augen schauen zu können. (fro)


Die Zukunft der Musiktauschbörse Napster ist weiterhin ungewiss. Richterin Marylin Hall Patel drohte mit der Schließung, sollte das Internet-Unternehmen den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Musiktiteln weiter nur unzureichend blockieren. Die bestehenden Filter seien ‘erbärmlich’, meinte Patel, die Anfang März die einstweilige Verfügung erlassen hatte, nach der Napster verhindern muss, dass nicht lizenzierte Songs über den Dienst getauscht werden. Vor einem endgültigen Urteil über die weitere Zukunft von Napster will das Gericht aber noch einen technischen Sachverständigen anhören.

Doch auch wenn das Gericht Napster nicht schließt, steht die Zukunft des Bertelsmann-Dienstes in den Sternen. Zwar hat sich Napster-Konzernmutter Bertelsmann zur Stärkung seiner Internet-Musiktauschbörse mit starken Partnern zusammengetan. Gemeinsam mit den Plattenlabels EMI und Warner Music sowie mit Real Networks gründete die Bertelsmann Music Group die Firma MusicNet (www.musicnet.com). Diese soll nicht exklusive Lizenzen ihrer Musiktitel vertreiben - Napster ist der erste Lizenznehmer von MusicNet.

MusicNet hat aber einen Schönheitsfehler: Die zwei größten Labels, Sony Music und Vivendi Universal, wollen sich nicht beteiligen. Sie haben mit Duet eine Konkurrenzplattform gegründet und wollen sie gemeinsam mit Yahoo unter music.yahoo.com vermarkten. Frank Sarfeld, Sprecher der Bertelsmann E-Commerce Group, war in einem Interview mit dem Online-Dienst des ZDF aber trotzdem zuversichtlich, dass sich in Kürze auch Universal und Sony bei MusicNet beteiligen werden.

Im selben Interview sagte er aber auch, dass die Napster-Benutzer im neuen Abrechnungsmodell der Musiktauschbörse die heruntergeladene Musik nicht mehr auf CD werden brennen können - fraglich, ob Anwender diese Einschränkung in Kauf nehmen und nicht zu Gnutella und Co. abwandern. (jo) (jo)