An der Grenze der Theorien: Einsame Galaxie hat sehr früh Nachbarn verschlungen

Galaxienhaufen enden bisweilen, wenn eine davon alle anderen geschluckt hat. Nun wurde eine entdeckt, der das sehr früh gelungen ist – zu früh für die Theorien?

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Aufnahme der einsamen Galaxie

(Bild: X-ray: NASA/CXC/Univ. of Torino/V. Missaglia et al.; Optical: NASA/ESA/STScI & International Gemini Observatory/NOIRLab/NSF/AURA; Infrared: NASA/ESA/STScI; Radio: NRAO/AUI/NSF)

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Es wurde ein ungewöhnlich weit entferntes Galaxienfossil entdeckt, das unser Verständnis von der Entwicklung von Galaxien und Galaxienhaufen "an seine Grenzen bringt". Das erklärt jetzt die US-Weltraumagentur NASA, mit deren Weltraumteleskop Chandra das Objekt gefunden wurde. Die einsame Galaxie mit der Bezeichnung 3C 297 hat demnach offenbar bereits all ihre Nachbarn verschlungen und das, obwohl sie mehr als neun Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Eigentlich müssten sich dort viele Galaxien befinden, alleine mehrere Dutzend der Größe unserer Milchstraße, "stattdessen sehen wir nur eine", erklärt Studienleiterin Valentina Missaglia von der Universität Turin. Die Frage sei, was all den Galaxien passiert sei.

Missaglia und ihr Team haben drei Indizien gefunden, die eigentlich auf einen dicht bevölkerten Galaxienhaufen hinweisen. So sei die einsame Galaxie von großen Mengen an Gas umgeben, das Dutzende Millionen Grad heißt ist, so etwas sehe man normalerweise in Galaxienclustern. Außerdem habe das supermassive Schwarze Loch in deren Zentrum eine intensive Röntgenquelle geschaffen, die darauf hindeute, dass es in das umgebende Gas eingedrungen ist. Schließlich ist ein sogenannter Jet gekrümmt, auch das deute auf Interaktionen hin, die für einen Galaxiencluster sprechen. Trotzdem gebe es in der Nähe keine Galaxien und das deute darauf hin, dass alle längst verschlungen wurden.

Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass es sich bei dem Objekt um eine Galaxie in ihrem Endstadium handelt. Zwar habe man bereits mehrere solche "Fossilien" entdeckt, aber keine in so großer Entfernung. Immerhin würden wir 3C 297 in ihrem Zustand 4,6 Milliarden Jahre nach dem Urknall sehen, nicht viel Zeit für das Durchlaufen des kompletten Entwicklungszyklus. "Das stellt unsere Vorstellungen der Kosmologie infrage, aber es beginnt, die Grenzen dafür zu verschieben, wie schnell sich sowohl Galaxien und Galaxienhaufen gebildet haben müssen", erklärt Mischa Schirmer vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Co-Autor der Analyse. Selbst wenn um 3C 297 noch Zwerggalaxien gefunden würden, könnten die das Fehlen der großen Nachbarn nicht erklären.

Der in The Astrophysical Journal vorgestellte Fund reiht sich jetzt ein in die Reihe mehrerer Entdeckungen, die mit bestehenden Modellen nicht so einfach oder gar nicht erklärt werden können. Dafür sorgte zuletzt vor allem das neue Weltraumteleskop James Webb. Das entdeckt seit der Aufnahme des Forschungsbetriebs vor einem halben Jahr unter anderem viele besonders frühe Galaxien. So wurde vor einigen Tagen der Nachweis "unmöglicher Galaxien" im frühen Universum publik gemacht, für deren Bildung das verfügbare Gas mit einer Effizienz von 100 % in Sterne umgewandelt worden sein muss. Das galt zumindest bisher als unmöglich.

(mho)