Analyse: Streit in der Nix Community – geht alles den Bach runter?

Es gibt Streit im Nix-Projekt. Worum geht es dabei und welche Folgen hat das? Ein Überblick vom Nix-Experten Jacek Galowicz.

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NixOS-Desktop auf Laptop auf Tisch

Es rumort im Nix-Projekt.

(Bild: Screenshot / Foto dmk)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jacek Galowicz
Inhaltsverzeichnis

Im Nix-Projekt rumort es, Stiftung, Vorstand und Community streiten sich. Auslöser sind unter anderem ausgebrannte Contributors, die sich nicht gehört fühlen, die Auswahl eines Geldgebers aus dem Militärisch-Industriellen Komplex für die Nixcon, mit der sich viele Beitragende aus der Community nicht wohlfühlten, und zunehmende politische Diskussionen.

Das Nix- und NixOS-Projekt beschäftigt sich seit über 20 Jahren (ursprünglich als Eelco Dolstras Doktorarbeit) mit reproduzierbaren und portablen Paket- und Systembuilds und hat sich mittlerweile zur größten verfügbaren Paketsammlung entwickelt. Es hat insbesondere Stärken in der Abhängigkeitsverwaltung und beim Deployment. Nix wird auch in großen Unternehmen eingesetzt. Mittlerweile handelt es sich um eine große Community und zugehörige Stiftung, die monatlich tausende von Einsendungen integriert.

Die Auswüchse des Streits reichen hin zu Befürchtungen, dass das Nix-Projekt bald am Ende sei. Es gab schon im vergangenen Jahr Konflikte, die für Außenstehende kaum sichtbar waren, die im April in einem bösen offenen Brief gipfelten, in dem die Autoren eine lange Liste an Vorwürfen persönlich gegen Eelco (dargestellt als "Benevolent Dictator for Life", BDFL), aber auch gegen die Stiftungsleitung erheben. Die Vorwürfe sind teilweise wahr, jedoch extrem überspitzt dargestellt – von frustrierten Community-Mitgliedern, die sich seit Jahren nicht gehört fühlen, nachdem sie bereits enorm viel Arbeit und Energie in das Projekt gesteckt haben. Ein Beitrag bei LWN geht auf die Probleme ein und erörtert, was an den Vorwürfen dran ist. Seitdem hat Eelco seinen Rücktritt aus dem Vorstand angekündigt und es wurde eine verfassungsgebende Versammlung ernannt, deren Auftrag ist, eine neue Verwaltungsstruktur zu entwickeln.

Die langen Diskussionen, die sich gerade im NixOS Discourse-Diskussionsforum, sowie auf Reddit und anderen Plattformen ergeben, stellen die Community vor eine weitere Herausforderung: Diejenigen, die das Projekt und seine Infrastruktur am Laufen halten, ermüden an den extrem politisierten Diskussionen, die teilweise wegen einzelnen Formulierungen völlig ausarten, und geben auf. Es bleibt bei einigen ein Ohnmachtsgefühl, dass jetzt einige "Laute" mit übertriebener politischer Korrektheit als Waffe die Richtung diktieren. Andere sehen in den Diskussionen einen Unterwanderungsversuch der Community-Werte von "anti-woken" (Selbstbezeichnung) und Libertären. Parallel sind Forks von Nix (dem Tool) und Nixpkgs (der Paketsammlung) entstanden, die ebenfalls von vielen als das Ergebnis gescheiterter Verhandlungen gesehen werden.

Aus Gesprächen mit Graham Christensen, Jonas Chevalier, piegames, Valentin Gagarin und einigen anderen Community-Mitgliedern ergibt sich ein ambivalentes Lagebild.

Die Stiftung sah sich bisher eher als Verwalter für Finanzen und rechtliche Fragen sowie als Brückenglied zwischen Industrie und Open-Source-Community. Eelco ist zwar ein fähiger Software-Ingenieur, der das ganze Projekt ins Leben gerufen hat, in der Rolle des "BDFL" sieht er sich jedoch nicht. Während es bis jetzt "noch irgendwie so" geklappt hat, schwierige Entscheidungen aufzuschieben – unter anderem die Frage, ob Sponsorengeld aus der Verteidigungsindustrie akzeptabel ist – oder das einfach durch unkoordinierte Einzelentscheidung zu lösen, ist das für die Zukunft in dieser Form nicht tragfähig.

Die NixOS-Community und die Stiftung müssen die Herausforderungen mangelnder Führung und ineffektiver Kommunikation bewältigen. Zugleich müssen sie die Schwächen der technischen Infrastruktur angehen und eine inklusive, gut moderierte Gemeinschaft fördern. Nun gibt die Stiftung Gelder und Mittel her, um die Dokumentation, Führung und Kommunikation des Projekts zu verbessern.

Die neue verfassungsgebende Versammlung erzeugt bei manchem Misstrauen, weil sie auch als Versuch interpretiert werden kann, wichtige Entscheidungen weiterhin nur aufzuschieben. Es gibt zudem Befürchtungen, dass dies ein Wandel von einem Projekt, in dem jahrelang freundschaftlich zusammengearbeitet wurde, hin zu einer bürokratischen Entscheidungsmaschine wird und am Ende Komitee-basierte Entscheidungsprozesse sämtliche Experimente und Innovation im Keim ersticken.

Bei anderen weckt die Neustrukturierung die Hoffnung, dass Teams mit sauber definierten Aufgaben und klaren Kommunikationsstrukturen die Projektteilnehmer unterstützen, innovativ zu bleiben und nicht in die Bürokratie abzudriften. Viele sind sich sicher, dass das eigentliche Problem eine Kultur der "Verantwortung ohne Autorität" ist und Projekt und Community sich entscheiden müssen, wofür sie stehen, was sie wollen und wie die Regeln für ein gemeinsames Vorwärtskommen und konsistente Moderation aussehen sollen.

Die Community ist auf einem guten Weg zu einer verbesserten Organisation und Skalierbarkeit. Dabei führt kein Weg an "Wachstumsschmerzen" vorbei. Einige Maintainer werden sich sicher verabschieden – allerdings nicht, ohne damit den Platz für neue freizumachen, die mit anderen Ideen einen frischen Wind ins Projekt bringen. Die Diskussionen scheinen gerade im Nix-Projekt heftiger zu sein als in anderen Projekten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Nix(OS) derart einzigartig ist, dass abgesprungene Teilnehmer in keinen alternativen Projekten Unterschlupf finden.

Der Großteil der Forks wird aller Voraussicht nach wieder absterben und diejenigen, die übrig bleiben, Entwicklern eine Alternative bieten, die sich im originalen Nix-Maintainer-Team nicht wohlfühlen. Am Ende werden sich konkurrierende Nix-Implementierungen gegenseitig befruchten, ähnlich, wie es bei Clang und GCC der Fall war. Das Projekt wird daher wahrscheinlich weiter wachsen. Der technische Blick darauf: Wer Nix einfach nur benutzt und die politischen Diskussionen ignoriert, findet seit Jahren ein gut funktionierendes Ökosystem vor.

Jacek Galowicz

(Bild: 

Jacek Galowicz

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Jacek Galowicz ist Software-Engineering-Berater unter anderem mit Schwerpunkten Software-Entwicklung, Software-Architektur, Interface-Design sowie Continuous Integration & Deployment (CI/CD, DevOps). Er bietet als Nix-Experte zudem Trainings zu Nix und NixOS an. Zu seinem Fachgebiet gehört auch die Strukturierung, Integration und das Testen von Projekten zur performanten Softwarebereitstellung.

(dmk)