Apple Vision Pro im ersten Test: Ein Wunderwerk! Aber wofür?

Seit Freitag ist es in den USA erhältlich: Das Spatial-Computing-Headset Apple Vision Pro. Wir haben eins gekauft und sind be- und entgeistert.

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(Bild: Pascal Schewe)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen
Inhaltsverzeichnis

Nach Jahren des Gemunkels und der Gerüchte ist sie nun wirklich da: Seit Freitag kann man in den USA Apples erste digitale Brille kaufen, von der einige sagen, sie sei einfach ein teures AR/VR-Headset, andere wiederum behaupten: So etwas gab es noch nie. Apple selbst nennt das Ganze "Spatial Computer" ("Räumlicher Rechner") und meidet die Begriffe Virtual, Augmented und Mixed Reality so gut es geht. Regisseur James Cameron meint sogar, durch die Brille ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt zu haben. Kurz: Der Hype ist groß.

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Dieser erste Test (siehe auch das 3003-Video oben) soll versuchen, zumindest ein bisschen zu klären, was die 3500 US-Dollar teure Vision Pro denn jetzt genau darstellt – und ob sie wirklich so beeindruckend ist. Dafür haben wir zwei Vision-Pro-Headsets in New York gekauft und direkt vor Ort angetestet. Der Flug in die USA war für uns die schnellste Möglichkeit, uns selbst ein Bild von der Technik zu machen – die vorerst ausschließlich in den USA erhältlich ist. Ob und wann die Vision Pro nach Europa kommt, ist bislang noch vollkommen unklar.

Der heise-online-Redakteur Malte Kirchner hatte im Juni auf Einladung von Apple bereits die Möglichkeit, ein Vorserienmodell des Headsets, unter Idealbedingungen in Cupertino auszuprobieren – und war sehr angetan. Dieser erste Test zeigt jetzt, ob das Gerät auch in der echten Welt überzeugt: die Betonung liegt auf "erster". Wir haben die Vision Pro zwar einen Tag intensiv genutzt, aber das reicht nicht für einen vollständigen Test. Dieser folgt später.

Zuerst muss aber der einigermaßen komplexe Kauf- und Konfigurationsaufwand über die Bühne gebracht werden. Um das Headset online zu bestellen, ist etwa zwingend ein Face-ID-fähiges Apple-Gerät erforderlich (iPhone ab X oder iPad). Damit wird die Gesichtsform gescannt, und der Webshop sucht dann eine von (nach ersten Erkenntnissen) 28 Lichtdichtungen aus ("Light Seal") sowie eines von drei Kopfbandlängen (S, M, L). Bei unseren Tests mit über 20 heise-Mitarbeitern tauchten nach der Messung in der Store-App lediglich vier unterschiedliche Lichtdichtungs-Größen auf; noch auffälliger war allerdings, dass bei über der Hälfte die gleiche Größe ausgemessen wurde (21W, Band M).

Das ist drin im Vision-Pro-Karton. Rechts ist das alternative "Dual-Loop-Band" zu sehen, links daneben die externe Akkubox (silberfarben).

(Bild: Pascal Schewe)

Die Entscheidung, mit so vielen unterschiedlichen Konfigurationen zu arbeiten, macht es theoretisch unmöglich, Headsets zu teilen — ärgerlich für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die Möglichkeit zum Ausprobieren geben, aber nicht für alle ein eigenes Headset kaufen wollen. Eine zusätzliche Lichtdichtung kostet 199 US-Dollar, ein Kopfband 99 US-Dollar.

Wer kurzsichtig ist, muss, zumindest sieht das Apple so, zwingend Kontaktlinsen benutzen oder für 149 Dollar magnetische Zeiss-Korrekturlinsen mitbestellen. Weil die Linsen ausschließlich mit US-Augenarzt-Verschreibung bestellbar sind (Apple überprüft das wirklich), haben wir uns für die Variante mit Kontaktlinsen entschieden. Das ging problemlos. Brillen passten bei unseren Tests tatsächlich nicht unters Headset, ausprobiert haben wir das mit zwei Köpfen und zwei Brillen.

Quest-3-Korrekturlinse in der Vision Pro.

Interessant: Beim Versuch, Quest-3-Korrekturlinsen von VR Optiker in der Vision Pro zu verwenden (lediglich wackelig hineingelegt), fragte das Headset sinngemäß: "Linsen erkannt, wollen sie diese aktivieren?" Leider klappte dies dann nicht, weil man dazu einen Code abscannen muss, den man nur mit den offiziellen Zeiss-Linsen bekommt. Die Auswahl "Ohne Korrekturlinsen fortfahren" funktionierte kurzzeitig, bei der Eye-Tracking-Kalibrierung brach die Vision Pro den Prozess dann aber ab.

Hat man dann endlich alles konfiguriert und eingerichtet (es wird übrigens zwingend ein US-amerikanischer Apple-Account benötigt), kann es losgehen: Der erste Bildeindruck ist phänomenal; und das schreibt jemand, der in den letzten zehn Jahren alle relevanten VR- und AR-Headsets auf dem Kopf hatte. Die beiden Mikro-OLED-Displays vor den Linsen sind so hoch aufgelöst, dass man keine Pixel mehr wahrnehmen kann. Apple spricht von insgesamt 23 Millionen Pixeln, das entspricht pro Display mehr als 4K-Auflösung.

So sehen die Headsets ein Smartphone-Display: Links Meta Quest 3, rechts Apple Vision Pro.

(Bild: J.-K. Janssen)

Ebenfalls beeindruckend: Die Darstellung der echten Welt, die mit Kameras eingefangen und auf den OLED-Displays dargestellt wird. Diese "Passthrough"-Technik kann prinzipbedingt nie so echt aussehen wie der Blick durch ein Fenster, aber sie kommt nah dran: Wenn die Umgebung gut beleuchtet ist, zeigt die Vision Pro ein sehr originalgetreues Bild an. Wir haben eine Meta Quest 3 im direkten Vergleich ausprobiert und der Unterschied ist riesig: Nicht nur war das Vision-Pro-Bild höher aufgelöst, sondern vor allem besser belichtet. Auf der Quest 3 konnten wir ein Smartphone-Display zwar meist ablesen, aber immer wieder waren hier Bildteile überbelichtet.

Aber auch bei der Vision Pro fällt immer wieder auf, dass man hier ein Kamerabild betrachtet: Bei Kopfbewegungen ist ein Nachzieheffekt zu beobachten, außerdem wird das Bild bei dunklerer Umgebung grobkörnig.

Hier darf man vielleicht wirklich von "Wie Zauberei" sprechen: Auch wenn man noch nie ein Vision-Pro-Headset auf dem Kopf hatte, versteht man intuitiv, wie man es bedient: Irgendwo hingucken, Daumen und Zeigefinger zusammendrücken, Klick. Als ob man einen Mauszeiger mit den Augen bewegt.

Besonders beeindruckend ist, dass man die Hände auch entspannt auf den Schoß legen kann – das Vision-Pro-Kameraarray erkennt die Klick-Geste meist trotzdem. Das Augentracking ist ebenfalls ordentlich, hatte aber während unseres Tests manchmal einen kleinen Knick in der Optik und verortete unsere Blickrichtung eine Idee zu weit oben oder unten. Das nervt, lässt sich aber durch kurzes Ab- und Wiederaufsetzen schnell beheben.

Etwas verstörend: Per "Persona" kann man mit sich selbst videotelefonieren.

Positiv überrascht waren wir vom Soundsystem: Die Richtung Ohr strahlenden Lautsprecher klingen angenehm satt, beschallen aber auch den ganzen Raum. Wer es diskreter mag, kann beliebige Bluetooth-Kopfhörer koppeln. Außen am Headset ist ein Display eingebaut, das die Augen der Trägerin oder des Trägers darstellt. Leider ist das Display nicht nur sehr grobpixelig, sondern auch dunkel. Die Quelle für die Augendarstellung ist die sogenannte "Persona": Das ist ein 3D-Modell des Benutzers, das das Headset selbst erzeugt. Dafür muss man es abnehmen, umdrehen und das eigene Gesicht abscannen lassen. Dieses 3D-Modell kann man auch für Videotelefonate verwenden, Augen- und Mundbewegungen werden in Echtzeit erfasst und auf die Persona übertragen. Das sieht manchmal lustig aus – und manchmal geradezu gruselig.

Die Vision Pro sieht schick aus und fühlt sich toll an, die edlen Materialien fordern aber Tribut: Sie sind schwer. Obwohl der Akku in eine verkabelte Box ausgelagert wurde, wiegt das Headset immer noch 600 bis 650 Gramm (je nach Lichtdichtung). Die Akkubox bringt über 350 Gramm auf die Waage. Zum Vergleich: Die Quest 3 wiegt inklusive Akku 515 Gramm. Trotz des hohen Gewichts trägt sich die Vision Pro erstaunlich angenehm. Auch nach mehreren Stunden Benutzung empfanden wir das Headset nicht unangenehm aufs Gesicht drückend; und das, obwohl wir fast nur das "Solo Knit Band" verwendet haben. Mit dem ebenfalls mitgelieferten "Dual Loop Band" verteilt sich das Gewicht noch angenehmer, sieht aber nicht mehr so elegant aus.

Virtuelle Fenster kann man überall in der echten Umgebung platzieren.

Es gibt zwar bereits hunderte Apps für die Vision Pro, bei den meisten handelt es sich aber um "flache" Software, die keine der räumlichen Funktionen des Headsets nutzt. Aber: Man kann man die Fenster beliebig im Raum anordnen, sie bleiben dabei auch an Ort und Stelle, wenn man den Raum verlässt und später wiederkommt. Man kann sich so einen Arbeitsplatz mit etlichen "Monitoren" einrichten.

Was das Headset wirklich kann, zeigt am eindrucksvollsten die vorinstallierte "Encounter Dinosaurs"-Demonstration von dem bekannten Filmemacher John Favreau. Da öffnet sich dann auf einmal der halbe Raum und einige nette (und weniger nette) Urzeitbewohner kommen zu Besuch. Das sieht fantastisch aus und beweist, dass der integrierte M2-Chip genug Reserven hat, um zwei 4K-Display mit Echtzeit-Renderbildern zu versorgen. Auch toll: Die Disney+-App, die dutzende aktuelle 3D-Filme wie "Avatar: The Way of Water" stereoskopisch aufs Headset holt; entweder in der eigenen Umgebung schwebend oder in komplett virtuellen Räumen wie einem Kinosaal.

"Encounter Dinosaurs"-Demo: Und auf einmal steht das Urvieh im Raum.

Die Vision Pro ist ein technisches Wunderwerk, das im Prinzip das Gleiche macht wie andere VR-/AR-Headsets auch – aber in einer so noch nicht dagewesenen Qualität. Das Gerät fühlt sich nicht wie die nächste Gerätegeneration an, sondern, als wären gleich mehrere Generationen übersprungen worden. Die Vision Pro hat also viel Potenzial, aber zurzeit noch ein riesiges Problem: Es ist unklar, wozu sie gut ist. Klar, man kann darauf Filme gucken oder auf beliebig im Raum angeordneten Fenstern arbeiten, aber das dürfte für die meisten Menschen nicht ausreichen, um sich täglich ein iPad-schweres Gerät ins Gesicht zu schnallen. Vermutlich weiß Apple selbst nicht, was die Vision-Pro-Killer-App sein soll. Vielleicht inspiriert ja die technische Magie, die das Gerät zweifellos ausstrahlt, Entwickler zu ganz neuen Anwendungen. Wer weiß. Sicher ist auf jeden Fall: 4000 Euro sind sogar für ein technisches Wunderwerk extrem viel Geld – so viel kostet das Headset nämlich ungefähr, wenn man es korrekt versteuert nach Deutschland einführt.

(jkj)