Arbeitsbedingungen in der chinesischen IT-Zulieferindustrie am Pranger

Eine Forschergruppe aus Hongkong hat zwei Computer-"Sweatshops" in China unter die Lupe genommen und gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation WEED ein Umdenken bei Abnehmern wie Dell, Fujitsu Siemens und Lenovo gefordert.

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Die Forschungsgruppe Students & Scholars Against Corporate Misbehavior (SACOM) aus Hongkong und die Nichtregierungsorganisation Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) haben schwere Vorwürfe gegen internationale Abnehmer von IT-Produkten aus "Sweatshops" in China erhoben. Markenhersteller wie Dell, Fujitsu Siemens oder Lenovo spielten die "alarmierenden" Berichte über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der Halbleiterindustrie Chinas herunter oder verschleierten ihre Lieferbeziehungen, monierte WEED-Projektreferent Florian Butollo am heutigen Montag in Berlin und rügte die PC-Fabrikanten für ihre Doppelmoral: Einerseits bedauerten sie in Hochglanzbroschüren zu "Corporate Responsibility" die Zustände in der Zulieferindustrie, kauften andererseits aber zu "schlechten Bedingungen" für die chinesischen Arbeiter weiter Bauteile zu.

Für die Studie "The Dark Side of Cyberspace" wurden zwei Halbleiterproduktionsfirmen in Guangdong untersucht. Die chinesische Provinz gilt als größter Hersteller von IT-Bauteilen in der Welt. Dort befinden sich ein Drittel der rund 130 Millionen chinesischen Wanderarbeiter. Die Untersuchung beruht auf einer zwischen Juni und September durchgeführten Befragung von 45 Mitarbeitern aus den Fabriken Excelsior Electronics in Dongguan und Compeq Technoloy in Huizhou. Excelsior gehört zum Konzern PC Partner in Hongkong und beschäftigt rund 4000 Angestellte. Die Zentrale der etwa 7000 Arbeiter zählenden Compeq-Fabrik ist in Taiwan. Zu den Abnehmern beider Firmen gehören laut SACOM der deutsch-japanische Konzern Fujitsu Siemens, der Excelsior 2007 den Status eines "bevorzugten Zulieferers" zuerkannt habe, sowie Dell, Lenovo, Apple, Sony, Intel, AMD, Motorola und Nokia.

In den Fabriken wird laut SACOM-Koordinatorin Jenny Chan internationales wie nationales Arbeitsrecht missachtet. Demnach werden Arbeitsverträge nicht ausgehändigt, der gesetzliche Mindestlohn in Guangdong von 770 Yuan (etwa 78 Euro) pro Monat durch zahlreiche erzwungene Überstunden unterlaufen. Die Arbeitszeiten betrügen bis zu 70 Stunden pro Woche und dauerten faktisch gerade in den Hochproduktionsmonaten Juli bis Dezember von etwa 8 Uhr morgens bis in den späten Abend hinein. Die Wanderarbeiter seien in Schlafsälen mit bis zu 14 Personen direkt auf dem Fabrikgelände untergebracht, sodass es zu einem fließenden Übergang zwischen Arbeit und Schlafen komme. Freizeit gebe es praktisch nicht. Bei der Fertigung kämen die Fließbandarbeiter mit giftigen Chemikalien wie Schwefel- und Salpetersäure in Berührung. Die Angestellten unterlägen ferner autoritären Verhaltensvorschriften. So schreibe Compeq einen militärischen Haarschnitt und das Exerzieren auf dem Fabrikgelände vor.

Chan berichtete von einer 19-Jährigen, die sich beschwert habe: "Ich arbeite wie eine Maschine und mein Gehirn ist eingerostet." Durch die globale Finanzkrise werde die Situation verschärft, da in der ganzen Region Tausende der modernen Fabriksklaven von heute auf morgen entlassen und entgegen der Vorschriften mit einem Hungergeld abgespeist würden. Es komme daher verstärkt zu spontanen Protestkundgebungen, wobei schon die amtliche Statistik von mindestens einem Streik pro Tag mit mehr als 1000 Beteiligten in Guangdong ausgehe. Die Arbeitsbedingungen sähen zwar nicht in allen Fabriken genauso aus, schloss Chan ihre Darstellung, sie seien aber mit verschiedenen Fertigungsstätten in der Halbleiterindustrie in der Provinz vergleichbar.

Butollo fordert, dass die westlichen Fabrikanten mehr Transparenz in ihre Belieferungsketten bringen und Audits bei ihren Partnern durchführen lassen. Ein Markenunternehmen habe Compeq zwar im Mai bereits überprüfen lassen, die Ergebnisse sowie die eventuell daraus gezogenen Konsequenzen aber nicht zugänglich gemacht. Ferner sollten die PC-Größen ihre Zulieferer zu Mitarbeiterschulungen verpflichten. Staatliche Beschaffer von IT-Produkten in Behörden sollen nach Meinung von Butollo Nachweise über die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien bei der Rechnerfertigung einfordern. WEED will dazu im Januar einen Leitfaden veröffentlichen.

Auf einer Tour durch die Städte Berlin, Dresden, München, Warschau, Prag und Brno wollen die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen auf die Schattenseiten der IT-Produktion hinweisen. Ein den Endverbraucher ansprechendes Gütesiegel halten sie derzeit nicht für sinnvoll, da kein Zulieferer zu empfehlen sei und der öffentliche Druck erst wachsen müsse. Das vom Bundestag derzeit beratene neue Vergabegesetz sehe solche Möglichkeiten vor. Butollos Kollegin Sarah Bormann bemängelte, dass Fujitsu Siemens zwar inzwischen einen Zuständigen für soziale Unternehmensverantwortung eingestellt, sich aber nicht der Electronic Industry Citizenship Coalition (EICC) und ihrem Verhaltenskodex angeschlossen habe. Zugleich empfahl sie die Verwendung freier Software, um die Zyklen der Neuanschaffung von Computern hinauszuzögern und so den Fertigungsdruck herunterzuschrauben. (anw)