Aserbaidschan: Großer Sprung in den Cyberspace

Mit einem Vermögen aus dem Ölgeschäft will das zentralkaukasische Land den Weg in die Informationsgesellschaft bahnen und in den IT-Sektor investieren. Mittelfristig will man zum Exporteur von Software werden, so etwas wie das "Bangalore des Kaukasus".

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Von
  • Wolfgang Kleinwächter

Ali Abbasow, Minister für Kommunikations- und Informationstechnologie von Aserbaidschan, nutzte die erste Vollversammlung der "Global Alliance for ICT & Development" (GAID) im kalifornischen Santa Clara, um für internationale Unterstützung des geplanten großen Sprunges seines Landes in den Cyberspace zu werben. Laut Abbasow hat das am Kaspischen Meer gelegene zentralkaukasische Land, das seit Jahren dank seiner explosionsartig steigenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts im zweistelligen Bereich vorweisen kann, in den letzten zehn Jahren einen Überschuss von rund 80 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Mit diesem Vermögen im Rücken will das Land den Weg in die Informationsgesellschaft bahnen und großflächig vor allem in den IT-Sektor investieren. In Baku geht man davon aus, dass der an das Öl gebundene Geldsegen irgendwann in den nächsten 15 Jahren zu Ende geht. Bis dahin müsse das Land wirtschaftlich umgebaut werden. Unter dem Motto "From Black Gold to Human Gold" hat man dazu nach langer Diskussion einen 5-Jahr-Plan für eine nationale E-Strategie entwickelt, die weiträumig auf das Jahr 2025 zielt.

Ausgangspunkt des Fünf-Jahr-Plans 2004 bis 2008 waren laut Abasow die Eindrücke, die Aserbaidschan-Präsident Ilya Aljew auf dem UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) gesammelt hat. Als erste Reaktion auf den Gipfel veranlasste der Präsident die Schaffung eines neuen Ministeriums für Kommunikations- und Informationstechnologie, das die Aufgabe erhielt, gemäß den WSIS-Empfehlungen eine nationale E-Strategie auszuarbeiten. Seither schwärmen Mitarbeiter des Ministeriums in alle Welt aus, um die großen nationalen Pläne zu verkünden und Investitionen in die entstehenden IT-Industrie des Landes einzuwerben.

In der Tat hat das Land, in dem nicht mehr als rund acht Millionen Menschen leben, in den letzten fünf Jahren bereits eine bemerkenswerte IT-Entwicklung aufzuweisen. Zwar liegt die Internet-Durchdringungsrate noch erheblich unter 20 Prozent der Haushalte, aber bei der Mobiltelefonie hat es seit dem UN-Gipfel einen rasanten Zuwachs gegeben. 1997 hatte der nationale Marktführer Azercell, ein mittlerweile privates Unternehmen, das vor zehn Jahren als Joint Venture zwischen dem türkischen Provider Turkcel und dem Telekommunikationsministerium von Aserbaidschan gegründet wurde, nicht mehr als 20.000 Kunden. Bis 2002 war die Zahl auf 600.000 angewachsen. Gegenwärtig beläuft sich die Zahl der Azercell-Kunden auf 2,3 Millionen, was einer Telefondurchdringung pro Haushalt von nahezu 100 Prozent entspricht. Das von Azercell vorfolgte Geschäftsmodell, vorrangig auf Prepaid-Karten zu setzen, hat sich offensichtlich bewährt. 98 Prozent der Kunden bevorzugen diesen Dienst. Seit dem 1. Januar 2007 ist auch Voice-over-IP offiziell lizenziert. Um die weitere IT-Entwicklung zu fördern, hat sich Präsident Alijew beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2007 der Unterstützung von Intel, Microsoft und Cisco versichert, die offensichtlich planen, im Land zu investieren.

Dabei sieht die Regierung in Baku in dem weiteren Ausbau der nationalen Infrastruktur nur ein Mittel zum Zweck. Die Öl-Milliarden sollen vor allen in Ausbildung, Forschung und Entwicklung fließen. Mittelfristig will man zum Exporteur von Software werden, so etwas wie das "Bangalore des Kaukasus". Dabei hat man nicht nur die Erfahrungen von Indien studiert, sondern vor allem auch die von Malaysia. Dort hatte der damalige Ministerpräsident Mahatir mit dem Großprojekt "Muti-Media-Korridor" eine gesonderte Wirtschaftszone geschaffen, die ausländischen Investoren für zehn Jahre Steuerfreiheit zusicherte. Wer heute nach Kuala Lumpur kommt, kann sich davon überzeugen, dass diese Strategie aufgegangen ist: In der "Cybercity" der malayischen Metropole gibt es praktisch kein Silicon-Valley-Unternehmen, das keine Filiale hat. Mit solchen Sonderzonen wolle man punktuell an die Spitze kommen, sagt Abbasow.

Man orientiere sich auch an den in der IT Branche führenden skandinavischen Ländern, die bezogen auf die Bevölkerung etwa ähnlich groß seien wie Aserbaidschan. "Kleinere Schiffe sind flexibler als große Tanker", meinte Abbasow in Santa Clara. Das Beispiel Estland, wie Aserbaidschan eine ehemalige Sowjetrepulik, zeige, dass man es binnen 15 Jahren schaffen könne, ein E-Land zu werden. Estland hat seit 1991 eine durchgängige informationstechnische Ausrüstung des Landes betrieben und bietet als eines der ersten Länder in der Welt dieses Jahr E-Voting auch bei nationalen Parlamentswahlen an.

Vor wenigen Monaten hat das Parlament in Baku eine flexible Rahmengesetzgebung für E-Commerce geschaffen, mit der man ausländische Investoren anlocken will. Bis 2008 sollen alle Schulen des Landes einen Internet-Zugang erhalten. Die Gesetzgebung zum Schutz des geistigen Eigentums wurde den WTO- und WIPO-Richtlinien angepasst.

Keine wesentlichen Lockerungen haben jedoch bislang die Gesetze zur Informationsfreiheit gefunden. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und Human Rights Watch stuften die letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2003 als problematisch ein. Das Land wird im Wesentlichen wie eine Präsidialdiktatur regiert, in der es kleine Unternehmen und zivilgesellschaftliche Gruppen nicht einfach haben. Ohne mehr Freiheit und Demokratie, das wurde auch in Santa Clara dem Minister mit auf den Weg gegeben, wird es aber schwierig, die hochgesteckten Ziele beim großen Sprung in den Cyberspace zu erreichen.

Hilfreich in diesem Prozess könnte dabei sein, das Land stärker politisch aus der Isolation zu führen und in die globale Debatte einzubinden. Erst jüngst wurde Aserbaidschan in den neuen UN-Menschenrechtsrat gewählt. Um die wirtschaftliche Internationalisierung weiter zu fördern, versucht das Land sich momentan auch als Gastgeber großer IT-Konferenzen anzubieten. Eine damit einhergehende Öffnung kann durchaus positive Effekte für eine schrittweise Liberalisierung des politischen Überbaus haben. Für 2010 hat sich Baku als Ausrichter für das Internet Governance Forum (IGF) der UN beworben. Man bemühe sich momentan auch darum, eine ICANN-Tagung in das Land zu holen. In Santa Clara bot nun Abbasow an, ein Regionalbüro der Global Alliance in Baku zu eröffnen und eine der nächsten GAID-Vollversammlungen am Kaspischen Meer durchzuführen. Um zu demonstrieren, dass das Land mit seinen Ölmilliarden schon längst aus der reinen Nehmerecke heraus sei, überwies der Minister auch gleich 100.000 US-Dollar aufs Konto der auf freiwillige Beiträge angewiesenen Global Alliance – das ist mehr, als die Bundesrepublik Deutschland bisher für GAID gespendet hat.

Zur Global Alliance for ICT & Development siehe auch:

(Wolfgang Kleinwächter) / (jk)