Astronomietagung EWASS: Mit den Beatles nach Alpha Centauri

Auf die Frage, ob es Leben im Alpha-Centauri-System gibt, kann die EWASS in Liverpool keine Antwort geben. Wie es herauszufinden wäre, dafür haben Wissenschaftler einige Ansätze parat und wollen mit den Beatles mehr Menschen für Astronomie begeistern.

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Astronomietagung EWASS: Mit den Beatles nach Alpha Centauri

Eine per Laser angetriebene Raumsonde mit Sonnensegel soll zum Alpha-Centauri-System reisen.

(Bild: Planetary Habitability Laboratory, Univesity of Puerto Rico at Arecibo)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Wer in Liverpool eine große Konferenz zur astronomischen Forschung veranstaltet, darf die irdischen Sterne offensichtlich nicht aus dem Blick verlieren. Da sind zum einen die Fußballstars des FC Liverpool, die am Mittwoch zum Viertelfinale gegen Manchester City antreten – woraufhin die Organisatoren der European Week of Astronomy and Space Science (EWASS) die Tagungsteilnehmer warnten, dass dadurch die Hotelzimmer knapp und teuer werden könnten. Und dann gibt es natürlich die Beatles.

Den Ruhm dieser Popstars will Viviana Ambrosi von der Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati in Triest nutzen, um die Beobachtung der Sterne am Himmel und die Erforschung des Universums einem großen Publikum näherzubringen. Nach den Pilzköpfen sind mehrere Asteroiden benannt worden, wiederholt wurde die Besatzung der Internationalen Raumstation mit ihren Songs geweckt und auf dem Merkur gibt es den Krater "Lennon". Wie das helfen soll, mehr Menschen für die spektralen Signaturen komplexer Moleküle in protostellaren Wolken oder die Dualität der Milchstraße zu interessieren, erschließt sich jedoch nicht ohne weiteres.

Interessanter ist da schon der Ansatz, die Musik des Alls auf die Erde zu bringen. Martin Archer (Queen Mary University of London) hat ihn maßgeblich entwickelt. Dabei geht es darum, Plasmawellen und ihre Interaktion mit dem irdischen Magnetfeld zur künstlerischen Inspiration zu nutzen. Hierfür würden Daten des Magnetometers an Bord eines GOES-Satelliten, die über sieben Jahre aufgezeichnet worden waren, in Audiosignale umgewandelt. Ein Datenjahr resultierte in sechs Minuten Sound, erklärt Archer. Dieser Sound wiederum war Grundlage eines Kurzfilmwettbewerbs, bei dem an die Teilnehmer keine weitere Anforderung gestellt wurde, als diese Klänge aus dem All zu verwenden. Die Sieger des Wettbewerbs wurden erstmals im vergangenen September beim SSFX Short-Film Festival in London gezeigt.

Von Drohnen aufgenommene Infrarotbilder sollen dabei helfen, Wilderer aufzuspüren.

(Bild: LJMU)

Als recht bodenständige Anwendung astronomischer Beobachtungstechnik lässt sich auch das von Claire Burke (Liverpool John Moores University) vorgestellte Projekt einstufen: Aufbauend auf der Software Astropy und in Verbindung mit Verfahren des maschinellen Lernens sollen mithilfe von Infrarotsensoren und Drohnen gefährdete Tierarten beobachtet werden, die häufig nachtaktiv sind. "Da Tiere und Menschen in thermalen Frequenzbereichen ähnlich ‚glühen‘ wie Sterne und Galaxien im Weltraum, konnten wir die technische Expertise von Astronomen mit dem Wissen von Naturschützern kombinieren, um ein System zu entwickeln, das die Tiere oder auch Wilderer automatisch findet", erklärte Burke. Ein erster Test in Südafrika, bei dem die stark gefährdeten Buschmannhasen beobachtet wurden, war erfolgreich. Nun soll das System weiter verbessert werden und im Mai Orang-Utans in Malaysia beobachten, gefolgt von Flussdelphinen in Brasilien im Juni.

So sinnvoll die Übertragung astronomischer auf irdische Belange sein mag – um das Interesse des Publikums für den Weltraum zu gewinnen, ist sie nicht notwendig. Das schaffen die Sterne auch ganz alleine. Auf eindrucksvolle Weise zeigte sich das bei der EWASS-Konferenz, als sich der für die Forschungen zum Alpha-Centauri-System reservierte Raum als bei weitem zu klein herausstellte und die Teilnehmer der Sitzung sich kurzerhand entschließen mussten, ins Foyer des Arena and Convention Center (ACC) umzuziehen und ihre Vorträge auf den Monitoren ihrer Laptops zu präsentieren.

Infrarotspektrometer wie das VISIR des VLT könnten zur Beobachtung des Alpha-Centauri-Systems benutzt werden.

(Bild: ESO)

Alpha Centauri genießt diese besondere Aufmerksamkeit, weil es mit einer Entfernung von 4,3 Lichtjahren das der Sonne am nächsten gelegene Sternsystem ist. Es besteht aus drei Sternen, von denen die beiden größeren α Cen A und α Cen B in etwa mit der Sonne vergleichbar sind. Sie umkreisen sich in etwa 80 Jahren einmal und bilden das Zentrum des Systems. Der erheblich kleinere rote Zwergstern Proxima Centauri wiederum umkreist dieses Zentrum einmal alle 550.000 Jahre und ist mit einem Abstand von 4,2 Lichtjahren derzeit der nächste Stern. Bei ihm wurde im August 2016 ein Planet (Proxima b) entdeckt, der von der Größe her der Erde entspricht und seinen Mutterstern in einem Abstand umkreist, der Temperaturen möglich erscheinen lässt, bei denen Wasser flüssig sein könnte. Damit ist Proxima b nicht nur der erdnächste extrasolare Planet, sondern könnte auch Leben beherbergen. Kein Wunder, dass Astronomen sich verstärkt Gedanken darüber machen, wie sich über diesen Planeten und das gesamte System mehr erfahren lässt.

Eine Möglichkeit sind Bedeckungen anderer, weiter entfernter Sterne, vor denen Alpha Centauri vorbei wandert. Bis zum Jahr 2040 gebe es mehrere solcher Gelegenheiten, sagte Pierre Kervella (Observatoire de Paris). Im Mai 2028 könne eine solche Konjunktion durch die Schwerkraft von Alpha Centauri womöglich sogar einen Einsteinring erzeugen und die Entdeckung weiterer Planeten ermöglichen.

Bislang werden extrasolare Planeten vornehmlich durch Messung der Radialgeschwindigkeit eines Sterns nachgewiesen: Der Planet erzeugt durch seine Schwerkraft beim Umkreisen des Sterns bei diesem eine leichte Taumelbewegung, die sich in dessen Spektrum als Dopplereffekt beobachten lässt. Mit dieser Methode ließe sich in der habitablen Zone von α Cen A oder α Cen B derzeit aber kein erdähnlicher Planet nachweisen, hat Nikolaos Georgakarakos (New York University Abu Dhabi) mit Simulationsrechnungen nachgewiesen.

Es müssen also neue Instrumente her: Hans-Ulrich Käufl vom European Southern Observatory (ESO) setzt auf das Infrarotspektrometer VISIR des Very Large Telescope (VLT). Die Beobachtungen sollen Mitte 2019 beginnen. Derzeit stehen α Cen A und α Cen B ohnehin zu nahe beieinander, um ihre Spektren getrennt voneinander beobachten zu können. Franck Marchis (SETI Institute) will im Rahmen des Project Blue ein 50-cm-Teleskop in einem 800-Kilometer-Orbit stationieren, um damit einen erdähnlichen Exoplaneten optisch nachzuweisen. Die Mission soll mit 70 Millionen US-Dollar realisierbar sein, meint Marchis. Das von Svetlana Berdyugina (Leibniz-KIS, Freiburg) vorgeschlagene Teleskop ExoLife Finder (ELF) soll dagegen 12 Meter Durchmesser haben, auf der Erde errichtet werden und in der Lage sein, Strukturen wie etwa Kontinente auf Exoplaneten zu erkennen.

Mit Beobachtungen aus der Ferne will sich René Heller vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung auf Dauer nicht zufriedengeben. Er hat die Machbarkeit von interstellaren Raumsondenmissionen erforscht und beschrieb in Liverpool, wie ein zehn Quadratmeter großes Lichtsegel mit einer Masse von einem Gramm durch einen 100-Gigawatt-Laser innerhalb von fünf Minuten auf 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden könnte. Mit diesem Tempo wäre es etwa 20 Jahre bis Alpha Centauri unterwegs, hätte dort aber nur etwa 13 Sekunden Zeit, um das System zu untersuchen – es sei denn, die Sonde ließe sich abbremsen. Genau das sei mithilfe des Lichtes des Zielsterns möglich, vermutet Heller. In einem Video hat er das Prinzip verdeutlicht.

Auf diese Weise ließe sich Alpha Centauri innerhalb von 75 Jahren erreichen, wenn eine günstige Konstellation von α Cen A und α Cen B zu Beginn der 2090er-Jahre ausgenutzt werden könnte. Die Reise zum weiter entfernten Sirius A ginge mit 68,9 Jahren sogar schneller, weil die höhere Leuchtkraft des Sterns ein stärkeres Abbremsen ermögliche.

Es seien allerdings noch erhebliche technische Probleme zu lösen, räumte Heller ein. So sei es bislang noch nicht möglich, das erforderliche Segel zu konstruieren. Als aussichtsreichster Kandidat für das Material gilt Graphene, das mit 0,00076 Gramm pro Quadratmeter extrem leicht, dabei aber sehr stabil ist. Auch müsse in der Beschleunigungsphase äußerst genau gezielt werden. Und selbst wenn es gelänge, das ferne Sternsystem zu erreichen, sei fraglich, wie das Segel den Beschuss mit Protonen und anderen Plasmateilchen des Sterns überstehen könne. "Wahrscheinlich müssen wir tausend starten, damit eins ankommt", vermutet Heller. (olb)