Atomkraft: Deutsche Wirtschaft kritisiert Ausstieg aus der Kernenergie

Am kommenden Samstag werden die letzten deutschen AKW abgeschaltet. Vertreter der Wirtschaft und Politiker sehen das skeptisch.

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Atomkraftwerk Neckarwestheim.

(Bild: EnBW)

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Die deutsche Wirtschaft ist mit dem Atomausstieg in Deutschland, der am kommenden Wochenende endgültig vollzogen werden soll, nicht einverstanden. "Trotz gesunkener Gaspreise bleiben die Energiekosten für die meisten Betriebe in Deutschland hoch. Zugleich sind wir beim Thema Versorgungssicherheit noch nicht über den Berg", sagte Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der Rheinischen Post.

Deutschland sei auf alle verfügbaren Energieträger angewiesen, sagte Adrian der Zeitung. "Nur so können wir in den kommenden Monaten Versorgungsengpässe und eine erneute massive Steigerung der Energiepreise vermeiden oder zumindest abmildern."

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnt davor, dass der CO₂-Ausstoß nach dem Atomausstieg zunehmen könne. Die Entscheidung zum Atomausstieg sei gefallen. Die Bundesregierung solle sich jetzt mit aller Kraft den notwendigen schnellen Entscheidungen für eine kurz- und langfristig sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung widmen, forderte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

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"Um die Versorgungssicherheit künftig jederzeit gewährleisten zu können, brauchen wir wasserstofffähige Gaskraftwerke, die gesicherte, regelbare Leistung als Partner der Erneuerbaren Energien bereitstellen", sagte Andrae der Rheinischen Post. Wenn sie nicht rechtzeitig in Betrieb gehen könnten, hätte das hohe Klimagasemissionen zur Folge, denn Kohlekraftwerke müssten dann länger laufen.

Die AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 hätten eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise ordnete Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Oktober 2022 an, dass die drei letzten AKW über den Winter noch weiter laufen. Wenn sie am kommenden Samstag heruntergefahren werden, endet nach mehr als 60 Jahren die Stromgewinnung aus Atomkraft in Deutschland. Als erstes kommerzielles Kernkraftwerk war das AKW im unterfränkischen Kahl im November 1960 in Betrieb gegangen.

Der DIHK begrüßte im Oktober 2022 Scholz' Entscheidung für den Weiterbetrieb der AKW. Das Thema Kernkraft sei in der Wirtschaft zwar umstritten, doch in der aktuellen Krisenstuation werde der Weiterbetrieb breit unterstützt, hieß es seinerzeit.

Nach dem Atomausstieg und dem für 2030 im Westen und möglicherweise 2038 im Osten angepeilten Kohleausstieg könne die Versorgungssicherheit gefährdet sein, heißt es nun von den Wirtschaftsverbänden. Die ohnehin hohen, zuletzt aber gesunkenen Industriestrompreise könnten wieder steigen. Hinzu kommen die Gesamtkosten für Stilllegung und Rückbau der AKW sowie die Transporte und die Lagerung der Abfälle, die höher ausfallen könnten als bislang angenommen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält den bevorstehenden Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie trotz aller Widerstände für unumkehrbar. Die drei letzten Kraftwerke würden nach der Abschaltung am 15. April "früher oder später in den Rückbau gehen", sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Und ein Neubau von Atomkraftwerken hat sich immer als ökonomisches Fiasko dargestellt – ob in Frankreich, Großbritannien oder Finnland." Daran hätten die Betreiber auch gar kein Interesse.

In der Ampel-Koalition hatte sich die FDP vehement gegen die Abschaltung der letzten Kraftwerke gestemmt. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hält den Schritt weiterhin für falsch. Aus Sicht der FDP wäre zur Energiesicherheit und zum Verzicht auf Kohlestrom ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke notwendig. "Es ist bedauerlich, dass die Grünen blockieren und kein Einsehen haben. Wir sollten auch die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung und Kernfusion ergebnisoffen diskutieren", sagte Djir-Sarai der dpa.

"Notsituationen wie zuletzt infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine lassen sich nicht zuverlässig prognostizieren", erläuterte der FDP-Politiker. "Deshalb müssen wir wegkommen von einer Energiepolitik, die auf Kante genäht ist."

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte, die Tür für die Weiternutzung der Kernenergie offen zu lassen. Es gebe jetzt noch die Möglichkeit, für die drei verbliebenen AKW neue Brennstäbe zu bestellen, um sie dann im kommenden Winter bei hohem Energiebedarf wieder ans Netz gehen zu lassen. "Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, die notwendige Entscheidung zur Brennstoffbeschaffung zu treffen, damit wir im nächsten Winter keine Blackouts erleben", sagte Dobrindt.

Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, kritisierte im Fernsehsender ntv, Habeck lasse lieber Kohlekraftwerke laufen als klimaneutrale Kernkraftwerke. Er sieht in dem Atomausstieg einen "schwarzen Tag für den Klimaschutz". An die FDP appellierte Spahn, in der Bundesregierung den Atomausstieg zu verhindern. Es gebe dort Stimmen, die eine Einsatzreserve für zwei bis drei Jahre und einen späteren Rückbau der Kraftwerke forderten. Neue AKW zu bauen hält Spahn nicht für sinnvoll, das würde zu lange dauern.

Habeck betonte dagegen, die Energieversorgung sei sicher. "Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein", sagte er. "Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien."

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sagte der dpa, jüngere Studien zeigten, dass erneuerbare Energien in der Produktion viermal weniger als Atomstrom kosteten und langfristig vor absehbar steigenden Preisen für Öl oder Gas schützten. "Mit dem klaren Fokus auf erneuerbare Energien, auf Wind und Solar, auch auf Wasserstoff, stärkt die Ampel die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland und schafft zukunftssichere Jobs."

(anw)