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Attentat 1942 durchgespielt: Spielen und erinnern

Andreas MĂŒller
Attentat 1942: Spielen und erinnern

(Bild: Charles University, Czech Academy of Sciences)

Das historische Serious Game "Attentat 1942" erzÀhlt in eindringlichen Szenen von den GrÀueltaten der Nazis in der besetzten Tschechoslowakei.

Bei Attentat 1942 dĂŒrfte jeder Kritiker von Hakenkreuzen in Computerspielen verstummen. Kein stumpfes Geballer, keine lockeren SprĂŒche und keine Killstreaks: Die tschechischen Entwickler der Karls-UniversitĂ€t Prag und der Akademie der Wissenschaften der tschechischen Republik widerlegen das Klischee vom Videospiel als gewalttĂ€tiges Spaßprodukt. Ihr Spiel wirft einen emotionalen und lehrreichen Blick auf die Nazi-Verbrechen des Zweiten Weltkriegs.

1942 töten tschechische FallschirmjĂ€ger den hochrangigen Nazi und Reichsprotektor Reinhard Heydrich und lösen einen Vergeltungsschlag aus: Mehrere tausend Tschechen werden verhaftet oder in Konzentrationslager deportiert. Als die Nazis die Spur bis zu den StĂ€dten Lidice und LeĆŸĂĄky verfolgen, werden die Einwohner ermordet und die HĂ€user niedergebrannt. Die beiden AttentĂ€ter sterben nach einem mehrstĂŒndigen Gefecht mit den Nazis.

Dieses Attentat und seine Folgen bilden den Hintergrund fĂŒr ein Familiendrama: Ein unschuldiger BĂŒrger wird 1942 von den Nazis verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Jahrzehnte spĂ€ter versucht sein Neffe, die HintergrĂŒnde durch Interviews mit Freunden und WeggefĂ€hrten seines Vorfahren aufzuklĂ€ren

Attentat 1942 ist spielerisch betrachtet nicht der Rede wert. Die Spieler fĂŒhren lange Interviews mit den Zeitzeugen, schalten durch die richtigen Fragen neue Informationen frei oder klicken sich durch GegenstĂ€nde. Das Spiel besteht aus einer Mischung aus Videosequenzen mit Schauspielern, dĂŒsterer Comicgrafik und Dokumentarfilmaufnahmen. ErgĂ€nzend zum Spielgeschehen liefert eine ausfĂŒhrliche EnzyklopĂ€die das nötige Hintergrundwissen. Die Textsprache kann wahlweise in Englisch, Deutsch oder Tschechisch eingestellt werden.

Attentat 1943 angespielt (0 Bilder) [1]

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Dass dieses Spiel ĂŒberhaupt in Deutschland legal erhĂ€ltlich ist, liegt an einer verĂ€nderten Verwaltungspraxis der USK, die Hakenkreuze in Videospielen ermöglicht [3]. Die USK prĂŒft im Einzelfall, ob die Darstellung von Hakenkreuzen einem aufklĂ€rerischen Zweck dient. Im Fall von Attentat 1942 dĂŒrfte die Entscheidung leicht gefallen sein.

Indem die Macher nicht das Attentat in den Vordergrund rĂŒcken, sondern sich behutsam der Aufarbeitung eines Familienschicksals im Nazi-Regime widmen, schaffen sie die seriöse Distanz zum schwierigen Thema. Zusammen mit dem neugierigen Nachfahren decken die Spieler akribisch die Vergangenheit auf. Persönliche Schicksale und Fakten schaffen ein bedrĂŒckendes Spielerlebnis, das den historischen Hintergrund respektiert und nicht als spaßiges Abenteuer inszeniert.

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Computerspiele haben sich lange genug dagegen gestrĂ€ubt, Teil einer Erinnerungskultur zu sein. Das lag in Deutschland an rechtlichen Schranken, aber auch weltweit fĂŒhlten sich die Macher wohler, wenn sie das Nazi-Regime nur als klischeehafte Hintergrundkulisse fĂŒr Call of Duty & Co. benutzten. Da flogen zwar die Körperteile spektakulĂ€r durch die Gegend, aber das grausige PhĂ€nomen des Nationalsozialismus wurde nie ernsthaft hinterfragt.

Das Erinnern an die faschistische Vergangenheit Deutschlands ist aber heute wichtiger denn je. Es ist an der Zeit, dass dieses Erinnern und die Lehre daraus auch im Zentrum unserer popkulturellen Spaßkultur einkehrt – dem Computerspiel. Man kann nur hoffen, dass neben Attentat 1942, dem norwegischen Nachkriegsdrama My Child Lebensborn und dem demnĂ€chst erscheinenden Through The Darkest of Times [5] noch weitere Spiele das Dritte Reich als das zeigen, was es war: kein Abenteuerspielplatz und erst recht kein Vogelschiss, sondern das dĂŒsterste Kapitel der deutschen Geschichte.

Attentat 1942 ist als Download fĂŒr Windows und macOS auf Steam erhĂ€ltlich. Eine DRM-freie Version kann ĂŒber die Webseite des Entwicklers bezogen werden. Das Spiel kostet ca. 11 Euro. USK ab 12. FĂŒr unseren Artikel haben wir die Windows-Version gespielt. (dahe [6])


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[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/USK-kann-Hakenkreuze-in-Videospielen-zulassen-4132430.html
[4] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[5] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Aufhebung-des-Hakenkreuz-Verbots-Entwickler-wehrt-sich-gegen-DGB-Kritik-4142465.html
[6] mailto:dahe@heise.de