Ausblick: Was Big Tech, Mark Zuckerberg und Elon Musk 2023 bevorsteht

2022 war ein Horrorjahr für die Technologiebranche. Gelingt Big Tech das Comeback? Es gibt gute Gründe, die dafür, aber auch dagegen sprechen.

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(Bild: Skorzewiak/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Nils Jacobsen
Inhaltsverzeichnis

Die Erwartungen vor Jahresbeginn waren gedämpft: Nach mehr als 12 Jahren im Bullenmarktmodus würden auch für die erfolgsverwöhnte Techindustrie härtere Zeiten anbrechen, so der Tenor vor zwölf Monaten. Der Grund: Die Zinswende der US-Notenbank, die angedeutet hatte, an der Zinsschraube drehen zu wollen.

Ein Jahr später scheint jegliche Skepsis die Realität unterboten zu haben: 2022 hat sich für die Techbranche zu einem veritablen annus horribilis entwickelt, einem Horrorjahr – zumindest, wenn man die Börse als ersten Indikator zugrunde legt. Wie nicht mehr seit dem Dotcom-Crash nach der Jahrtausendwende haben Technologie- und Internetaktien verloren. Allein die sieben wertvollsten US-Technologiefirmen büßten 2022 rund fünf Billionen Dollar an Unternehmenswert an der Wall Street ein – mehr als das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik. Prozentual erinnert der Aderlass der größten und bekanntesten Techaktien an den Crash von Kryptowährungen:

• Apple: – 28 Prozent

• Microsoft: – 29 Prozent

• Alphabet: – 39 Prozent

• Amazon: – 50 Prozent

• Nvidia: – 50 Prozent

• Netflix: – 51 Prozent

• Meta: – 65 Prozent

Tesla: – 73 Prozent

Entsprechend angeschlagen geht die Techbranche ins neue Jahr, in dem die Vorwegnahme der schlechten Erwartungen der Wall Street in der realen Wirtschaft ankommen dürfte. Kündigungen dürften zum beherrschenden Thema der über eine Dekade erfolgsverwöhnten Industrie werden. Meta und Amazon haben bereits mehr als 10.000 Mitarbeiter entlassen, während bei Apple, Google und Microsoft bisher recht verhalten der Rotstift angesetzt wurde.

In der Gesamtheit dürfte der IT-Sektor in Zeiten anhaltender Inflation und mutmaßlicher Rezession mit einem lange nicht gesehenen Schrumpfkurs zu kämpfen haben. "2023 wird zum großen Reset", wird ein Start-up-CEO im Branchenmedium Digiday zitiert. Vor allem die Generation Z, die mit ihren verwöhnten Vorstellungen vom Arbeitsleben manche Personalabteilung vor den Kopf gestoßen haben dürfte, wird umdenken müssen. Fest steht: Die Zeit der Chai-Lattes vor den ersten Morning Meetings scheint ausgeträumt – nicht nur bei Meta.

Wie lang die Katerstimmung bei den sogenannten GAFAM-Konzernen anhält, hängt maßgeblich von der Performance an der Wall Street ab. Kurse machen schließlich Stimmung – nicht zuletzt als Motivation durch Mitarbeiteraktien. Analysten sind weitgehend uneinig darüber, ob die frühere Boom-Industrie 2023 an der Börse bereits wieder Comeback-Signale sendet.

Optimistisch ist etwa Dan Ives von Wedbush Securities. "Wir glauben, dass der Technologiesektor im Jahr 2023 insgesamt um etwa 20 Prozent gegenüber dem derzeitigen Niveau steigen wird, wobei Big Tech, Software und Semis (Halbleiter) trotz der zahlreichen Unwägbarkeiten auf Makroebene und durch die US-Notenbank die Führung übernehmen", erklärte der Geschäftsführer und Senior Equity Research Analyst Mitte Dezember gegenüber der Wirtschaftszeitung Financial Review. Ives ist der Meinung, dass die Kostensenkungsmaßnahmen von Big Tech maßgeblich dazu beitragen würden, "durch den bevorstehenden Wirtschaftssturm zu navigieren, die Margen noch intakt zu halten und gestärkt aus diesem Abschwung hervorzugehen."

Anderer Meinung ist dagegen Dan Niles, der den Hedgefonds Satori verwaltet. "2023 werden wir in eine klassische Rezession eintreten", prognostiziert der Wall-Street-Veteran gegenüber dem Anlegermagazin Barron’s. "Die Arbeitslosigkeit wird höher sein, und das Wachstum wird sich verlangsamen. Die Gewinnprognosen werden schrecklich ausfallen." Entsprechend würden Techaktien ihre Talfahrt fortsetzen – vor allem in den ersten Monaten des neuen Jahres. Auch eine Aufholjagd in der zweiten Jahreshälfte würde ein weiteres Minusjahr für Techaktien nicht verhindern. "Es wird ein hartes Jahr für alles in der Technologie", malt Niles schwarz.

Für die Großen Fünf beginnt 2023 damit fast in Tolstoischer Tristesse ("Jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise") – vereint sind die Big Techs höchstens mit ihren Sorgen, die jedoch recht ungleich verteilt sind. Apple etwa plagt sich nach Jahren im Selbstläufermodus erstmals seit einer Dekade wieder mit echten Wachstumsproblemen. Weil Apple die Lieferengpässe bei der iPhone-Produktion in China im November und Dezember Millionen Einheiten gekostet hat, rechnet etwa die Bank of America-Analyst Wamsi Mohan im Fiskaljahr 2023, das beim US-Konzern bereits im Oktober begonnen hat, erstmals seit einer Dekade wieder mit rückläufigen Umsätzen.

Produktseitig dürfte Apple 2023 den üblichen Upgradezyklus größtenteils erst wieder im Herbst mit dem neuen iPhone 15, der Apple Watch-Generation 9 und einem iPad Pro-Modell zünden. Ob Hardcore-Apple-Fans mit einem iMac-Revival in 27 Zoll ("iMac Pro") verzückt werden, erscheint zur Jahreswende ebenso fraglich wie der Launch eines VR/AR-Headsets, das seit Jahren als nächstes "one more thing" gehandelt wird. Nach Einschätzung des gut vernetzten Tech-Analysten Ming-Chi Kuo könnte Apples smarte Datenbrille frühestens im zweiten Halbjahr 2023 der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden.

In Lauerstellung zu Apple liegt der alte Rivale Microsoft, der zwar 2022 prozentual genauso viel wie Apple verloren hat, zuletzt aber etwas schneller als der iPhone-Konzern gewachsen ist. Zukünftiges Umsatzwachstum hängt nicht zuletzt an der geplanten, 69 Milliarden Dollar schweren Übernahme des Spieleherstellers Activision Blizzard, gegen die die US-Handelsbehörde FTC eine Klage eingereicht hat. Die Analysten der Privatbank Oddo bleiben "Microsoft gegenüber sehr optimistisch eingestellt. Grund ist die Fähigkeit des Konzerns, in Schlüsselsegmenten wie Teams, Cybersicherheit oder der Power Platform nachhaltig zu wachsen."

Alphabet hofft unterdessen nach dem schwächsten Börsenjahr seit der Finanzkrise auf eine Stabilisierung des Werbegeschäfts, das zwar nach Umsätzen weiter wächst, zuletzt aber gehörig an Profitabilität eingebüßt hatte. Wachstumschancen bietet nach Einschätzung des Evercore-Analysten Mark Mahaney dagegen das Cloud-Geschäft, während Alphabet die Kosten für seine Moonshot-Sparte "Other Bets" deutlich reduzieren dürfte. Die Konsequenz: Alphabet ist wie Amazon für Mahaney ein "Buffett Buy" – ein "Value"-Kauf nach dem Qualitätssiegel von Börsenaltmeister Warren Buffett, wie der Evercore-Analyst Barron’s verrät.

Einzelhandelsgigant Amazon wiederum befindet sich eineinhalb Jahre nach der Übernahme der Amtsgeschäfte von Andy Jassy als neuen CEO im größten Krisenmodus seit dem Platzen der Dot.com-Blase vor mehr als 20 Jahren. Die Aktie hat sich 2022 halbiert und Amazon beim Fall aus dem Börsenhimmel selbst als erster Konzern der Welt mehr als eine Billion Dollar an Börsenwert vernichtet.

Die Probleme reichen dabei durchaus bis in die Bezos-Ära zurück: Im Zuge des Corona-Booms hat der E-Commerce-Pionier seine Belegschaft massiv aufgestockt und Überkapazitäten geschaffen, die in Zeiten der Rezession an der Marge knabbern. "Sie sind in Schwierigkeiten", sieht der Marktkommentator James Cramer auch 2023 zunächst schwere Zeiten auf Amazon zukommen.

Nach Einschätzung des viel zitierten Marketing-Professors Scott Galloway könnte die anhaltende Amazon-Krise gar zum CEO-Comeback von Gründer Jeff Bezos führen, der erst im Juli 2022 seinen Chefsessel geräumt hatte. "Er wird aufwachen und sagen: 'Mein Vermögen ist um zwei Drittel geschrumpft‘", sagt Galloway, der auch monetäre Beweggründe für eine Rückkehr des langjährigen Vorstandschefs nach dem jüngsten Vorbild von Disney-CEO Bob Iger sieht. "Und ich denke, ein Typ wie er hat es schwer, so lange aus dem Spiel zu sein. Ich denke auch, dass er wohl, vielleicht mit Ausnahme von Tim Cook, der beste CEO der letzten 50 Jahre ist. Er hat noch viel Profil auf seinen Reifen", erklärte Galloway unlängst in seinem Pivot Podcast.

Ob Mark Zuckerberg das Jahr 2023 übersteht, hängt nur augenscheinlich vom brutal abgestürzten Börsenkurs ab – tatsächlich kann den Meta-CEO aufgrund seiner mehrheitlichen Stimmrechte im Aufsichtsrat niemand feuern. Dafür dürfte der Druck auf den 38-Jährigen trotzdem so groß sein wie nie in der bald 19-jährigen Firmenhistorie. Zuckerberg muss beweisen, dass er auch einen Turnaround einleiten kann: Zuletzt verbuchte Meta sowohl einen Umsatzrückgang als auch Gewinneinbruch. Besondere Bedeutung messen Analysten der Monetarisierung der vor neun Jahren zugekauften Messenger-Tochter WhatsApp bei, die 2023 endlich das Versprechen als "Super-App" nach dem Vorbild von Tencents WeChat einlösen könnte.

Noch mehr Druck verspüren dürfte unterdessen ein anderer illustrer Big-Tech-CEO. Vor genau einem Jahr konnte sich Elon Musk vom Time Magazine noch als "Person des Jahres" feiern lassen, musste seitdem jedoch einen beispiellosen Absturz hinnehmen – zumindest im Nettovermögen, das um 150 Milliarden Dollar schrumpfte. Für den höchst streitbaren Tesla-CEO geht es nach dem Horrorjahr 2022 um nicht weniger, als 2023 nicht sein Lebenswerk zu verspielen.

Musk ist bei Tesla nicht mehr unumstritten, weil er durch seine diversen Ablenkungen Aktionärswerte in Höhe von fast 700 Milliarden Dollar vernichtet hat. Der Aufsichtsrat oder aktionistische Investoren könnten das Wunderkind der Techbranche am Ende ähnlich zu Fall bringen wie Apple seinen Gründer Steve Jobs in den 80er-Jahren. Musks Zeit bei Twitter scheint ohnehin abzulaufen, seine Aufgabe hatte er von vornherein als Interims-CEO-Lösung definiert. Was aus dem 280-Zeichen-Dienst 2023 wird, erscheint so unklar wie Musk selbst – nur die Dauerpräsenz des "Technokings" ist wohl gesichert.

(mho)