BKA-Herbsttagung: Europa als Komplementärmacht zu den USA

Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio sieht für Europa die Chance, sich angesichts der Enthüllungen Edward Snowdens gegen die USA zu behaupten.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes hat der frühere Bundesverfassungsrichter und Staatsrechtler Udo Di Fabio eine bemerkenswerte Keynote gehalten. Er erinnerte vor rund 500 Strafverfolgern an den Widerstand gegen die Volkszählung in den 1980er Jahren und an das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das ausgelöst durch die Proteste vom Bundesverfassungsgericht festgehalten wurde.

"Ist dieses Recht im Facebook-Zeitalter nicht ein Ladenhüter aus der Zeit des C64?" fragte Di Fabio seine Zuhörer und bekannte, lange Zeit am Sinn dieses neuen Rechtes gezweifelt zu haben. Seit er sehe, wie junge Menschen mit ihren Geräten verschmelzen, verstehe er dieses Recht, das indes von der Technik des Netzes unterwandert werde. Verkehrsdaten zu speichern, um die im Internet mögliche Anonymität aufzuheben, sei zweifellos ein Grundrechtseingriff, aber einer von geringer Eingriffstiefe, wenn die Modalitäten beachtet würden.

Viel wichtiger sei das, was die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden an den Tag gebracht haben: "Ist das schon der Eisberg oder nur seine Spitze?" In jedem Falle habe die deutsche Regierung nur begrenzte Möglichkeiten, angemessen zu reagieren. Für Di Fabio hat Europa die Chance, sich mittels der NSA-Affäre aus dem "sanften Protektorat der USA heraus zu entwickeln" und eine eigenständige, widerständige Position zu entwickeln. Nur wenn Europa selbstbewusst als "Komplementärmacht" auftrete, gäbe es die Chance, ein Gegengewicht zu einer USA zu entwickeln, die überhaupt keine Probleme damit hat, dass ihre Dienste im Ausland Daten über jeden Nicht-US-Bürger speichern. Nur mit einem starken Europa könne unterschieden werden zwischen jenen, die die Freiheit im Netz lieben und denen, die diese Freiheit bedrohen.

Als Informatiker bemühte sich anschließend Sandro Gayken, "Director NATO SPS Program on National Cyberstrategies", das Thema einzuordnen: Was ist ganz gewöhnlicher Cybercrime, wo beginnt der politisch geprägte Cyberterror und wann lässt sich von der Eskalationsstufe eines Cyberwars sprechen? Für Gayken ist ein Überangebot auf einem "grauen Markt" von Hackern dafür verantwortlich, dass selbst "White Hacker" für Aufträge zu haben sind, die früher nur von gewissenlosen "Black Hackern" erledigt wurden.

Zwischen dem einfachen Cyberterror dieser eingekauften Truppen und dem Cyberwar von Staaten zog Gayken unter Verweis auf die My-NOC-Truppe des britischen GCHQ bei der Operation Socialist gegenüber Belgacom die Grenze. Wenn große Telekommunikationsanbieter und IT-Konzerne im Spiel sind, müsse von Cyberwar gesprochen werden. Allerdings sei Vorsicht angebracht. Vieles von dem, was heute als Cyberwar präsentiert werde, seien False Flag Operations. Der IT-Branche stellte Gayken ein vernichtendes Zeugnis aus. Im allgemeinen Vernetzungs-Irrsinn mitsamt der "Featureitis" in Monokulturen seien für ihn keine widerstandsfähigen Ansätze erkennbar. Die "Sphäre der Selbsttäuschung" nehme überhand, lautete sein Fazit. Glücklicherweise habe bisher kein Staat eine kohärente Strategie des Cyberwars entwickelt. Die größte Gefahr gehe von den Staaten aus, bei denen Nachrichtendienste massive Cyberwar-Startups förderten.

Wolfgang Bär

(Bild: BKA)

Am Ende des Tages, die Polizeiorchester machten sich schon bereit, referierte der bayerische Justiz-Ministerialrat Wolfgang Bär über die aktuelle Gesetzeslage. Er forderte, dass der Gesetzgeber den Begriff des "Datenspeichers" überarbeiten muss. Was einstmals für Disketten und CD-ROMs gedacht war und sich über die Zeit problemlos auf USB-Sticks und andere Technik erweitern ließ, müsse unbedingt um moderne Streaming-Angebote erweitert werden. Bär machte darauf aufmerksam, dass es keine richterliche Genehmigung brauche, um Datenspeicher zu durchsuchen, sofern der Betroffene bereits Kenntnis vom Zugriff der Strafverfolger hat. Er müsse dann jederzeit damit rechnen, dass ein Zugriff auf seine Daten möglich ist.

Für die Strafverfolger sah Bär auch Vorteile. Solange Anbieter wie Facebook keine Überprüfungsmechanismen bereit stellten, um die Identität der Nutzer festzustellen, sei es für die Polizei zulässig, nicht offen ermittelnde Beamte oder verdeckte Ermittler einzusetzen. Bär betonte auch, dass die so genannte Quellen-TKÜ notwendig sei, damit Skype und Twitter ausgewertet werden können. Für den Juristen ist der Einsatz von Trojanern nach Paragraf 100a der Strafprozessordnung zulässig, dennoch wünschte er sich, dass der Einsatz des wichtigen Ermittlungswerkzeuges gesetzlich klargestellt wird. (anw)