BKA kämpft gegen Internet-Kinderpornografie

Die Zahl der Internet-Seiten mit pädo-kriminellem Hintergrund ist laut der internationalen Organisation Innocence in Danger von 70.000 im Jahr 2001 auf 182.000 im vergangenen Jahr angestiegen.

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Von
  • Rolf Schraa
  • dpa

Den Fahndern dürfte der Atem gestockt haben: Bei der Durchsuchung einer Wohnung in Rheinland-Pfalz fanden sie Ende September Bilder vom sexuellen Missbrauch eines vier Monate alten Säuglings. "Operation Marcy", einer der weltweit größten Schläge gegen Kinderpornografie mit 530 Festnahmen allein in Deutschland, hat den Experten auch die Radikalisierung der Szene gezeigt.

"Die Bilder werden härter, die Tathandlungen gravierender", sagt BKA-Fahnder Holger Kind. "Vor allem die missbrauchten Mädchen sind immer jünger", sagt Dieter Schiffels, der beim Bundeskriminalamt die Zentralstelle Kinderpornografie leitet. Die Polizisten kämpfen gegen einen rasant wachsenden Kriminalitätszweig: Nach Schätzungen der internationalen Organisation Innocence in Danger ist die Zahl der Internet-Seiten mit pädo-kriminellem Hintergrund von 70.000 im Jahr 2001 auf 182.000 im vergangenen Jahr angestiegen. 1995 erfasste das Bundeskriminalamt (BKA) in 414 Fällen "Besitz und Verschaffung von Kinderpornografie", bis zum vergangenen Jahr stieg die Zahl auf über 2000.

Ein Grund für die Entwicklung ist die massenhafte Verbreitung von Digitalkameras. "Damit kann jeder relativ leicht kriminelle Bilder ins Netz stellen. Das Entdeckungsrisiko im Fotolabor fällt weg", sagt Fahnder Kind. Zur Anfangszeit der Pornografieverbreitung im Netz Mitte der 90er Jahre seien meist Magazine aus den 70er Jahren abgescannt worden, die missbrauchten Kinder waren meist zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Jetzt gebe es viele Bilder mit missbrauchten Kleinkindern und sogar Säuglingen.

Gefahr für Kinder und Jugendliche droht im Netz auch von eigentlich legalen Chat-Angeboten und Internet-Tauschbörsen, in denen die Pädophilen verdeckt Bilder tauschen und sich in das Vertrauen Minderjähriger schleichen können. Angeblich um dem Missbrauch einen Riegel vorzuschieben, schließt der US-Softwarekonzern Microsoft morgen die Chaträume seines Netzwerkes MSN in Europa, Asien und weiten Teilen Lateinamerikas. BKA-Fahnder Kind fürchtet, dass das die pädophile Szene kaum stören wird: "Es gibt genug andere Anbieter für offenen Chat, und auch bei Microsoft geht der Austausch in geschlossenen Gruppen weiter."

Dabei lässt sich theoretisch jede Bewegung im Netz nachverfolgen. Technisch sei die Rekonstruktion kein wirkliches Problem, sagt Kind. Die Internationalität der Szene belaste aber die Kapazitäten der Dienststellen, wo EDV-Spezialisten knapp sind. Allein bei der Operation "Marcy" wurden bundesweit 745 Computer beschlagnahmt, deren komplette Auswertung wohl noch längere Zeit dauern werde. "In vielen LKAs stehen die Keller voll", sagt Kind.

Werden Täter überführt, droht ihnen in Deutschland für den "Besitz kinderpornografischer Schriften" ohnehin nur maximal ein Jahr Haft. Damit bekommen Ersttäter nach Beobachtung des BKA in der Regel fast immer Bewährungsstrafen. "Es ist ein Skandal, dass solche Taten strafrechtlich auf der gleichen Stufe stehen wie Schwarzfahren in der U-Bahn", meint etwa der Magdeburger Justizminister Curt Becker. Das Bundesjustizministerium hat inzwischen eine Strafverschärfung angekündigt, die noch in diesem Jahr in Kraft treten soll.

Welche Spuren der Missbrauch hilfloser Kinder und das weltweite Zurschaustellen im Netz hinterlassen, erfahren die BKA-Ermittler gelegentlich hautnah. "Wir haben Anrufe von Leuten, die oft schon vor vielen Jahren missbraucht worden sind und erst jetzt darüber reden können", berichtet Schiffels. "Das angebliche Einverständnis der Opfer ist keins und das Erwachen, was einem angetan worden ist, kommt oft erst im späteren Leben." (Rolf Schraa, dpa) / (anw)