Bayern: Immer mehr Ermittlungserfolge dank Gesichtserkennung

(Bild: estherpoon/Shutterstock.com)
Mehrere Hundert StraftÀter wurden im vergangenen Jahr allein in Bayern dank Gesichtserkennung identifiziert. Die Zahlen steigen.
Allein in Bayern werden per Algorithmus zur Gesichtserkennung schon Hunderte KriminalfĂ€lle pro Jahr aufgeklĂ€rt â Tendenz weiter steigend. Nach Ansicht des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) könnte die Zahl der ErfolgsfĂ€lle noch viel höher liegen, wenn die bisherigen Möglichkeiten konsequenter ausgeschöpft wĂŒrden â ganz unabhĂ€ngig davon, was man in Zukunft dĂŒrfe oder machen könne.
"Das, was wir dĂŒrfen, nutzen wir nicht optimal aus", sagt Bernhard Egger, Leiter der Abteilung Zentrale Kriminalpolizeiliche Dienste/Cybercrime beim LKA, das sich in Sachen polizeiliche Gesichtserkennung in einer Vorreiterrolle sieht.
Immer mehr Identifizierungen
2019 kam die Polizei in Bayern per Gesichtserkennungsprogramm mehr als doppelt so vielen StraftÀtern auf die Schliche wie im Jahr davor. Insgesamt 387 TÀter wurden nach LKA-Angaben im vergangenen Jahr auf diese Art und Weise identifiziert. Im Jahr 2018 waren es nur 146 und 2010 sogar nur zehn FÀlle. Und es geht weiter nach oben: Allein im Januar 2020 wurden nach Angaben des Leitenden Kriminaldirektors Egger schon 55 IdentitÀten mithilfe eines Algorithmus geklÀrt.
Egger fĂŒhrt diese Steigerung vor allem auf bessere Technik zurĂŒck. 600.000 Euro hat das LKA seit 2018 in den Ausbau seiner Gesichtserkennung gesteckt. Das Programm könne heute viel schlechtere Fotos verarbeiten als frĂŒher. "Wir können jetzt Bilder auswerten, die wir uns vor zwei Jahren noch nicht einmal angeschaut haben."
Seit zwölf Jahren nutzt das LKA inzwischen schon die Möglichkeit, Bildmaterial, auf dem unbekannte mutmaĂliche TĂ€ter zu sehen sind, mit Fotos aus einer StraftĂ€ter-Datenbank des Bundeskriminalamtes (BKA) abzugleichen. Der Algorithmus misst dabei beispielsweise und unter anderem die AbstĂ€nde zwischen Nase und Mund und filtert so die Menschen aus der Datenbank heraus, bei denen es sich um den Gesuchten handeln könnte. Gesichtsexperten gleichen die Bilder dann noch einmal ab, um auf Nummer sicher zu gehen.
Unterschiedliche Einsatzformen
"Es gibt heute an jedem Tatort so viele Bilder wie FingerabdrĂŒcke", sagt Egger. "Das Finden von Bildspuren wird immer wichtiger." Es sei darum so wichtig, alle Ermittler dafĂŒr zu sensibilisieren: "Ich will, dass irgendwann jeder Kollege ĂŒberlegt: Wo ist relevantes Bildmaterial?"
Die einzelnen BundeslÀnder seien in der Sache sehr unterschiedlich weit, sagt Egger. Wie viele Vergleichsanfragen an die BKA-Datenbank es insgesamt im vergangenen Jahr gab, teilte das Bundeskriminalamt auf Anfrage nicht mit. Nach LKA-Angaben liegen die bundesweiten Zahlen immer erst spÀter im Jahr vor. Nach Angaben der Bundesregierung recherchierte allein die Bundespolizei im ersten Halbjahr 2019 rund 1200 Mal im Gesichtserkennungssystem des BKA und identifizierte dabei 219 Menschen.
Vergleichbar mit Ăberwachungssystemen wie der umstrittenen Software der Firma Clearview [1], die das Internet akribisch nach Fotos durchforstet, ist das, was die Polizei da bislang tut, nicht. Das sagt auch Bayerns oberster DatenschĂŒtzer Thomas Petri, der dem LKA-Verfahren seinen Segen gegeben hat. "Das ist eine konkrete Datenbank, die bei einem konkreten Tatverdacht durchsucht werden kann", sagt Petri. "Das ist etwas völlig anderes als das, was in Berlin diskutiert wurde [2] oder worum in Hamburg gestritten [3] wird."
Daten werden nicht immer gelöscht
Es entspreche "aus gutem Grund der stĂ€ndigen Rechtsprechung, dass so etwas wie eine flĂ€chendeckende, anlassfreie Massendatenerhebung als schwerwiegender Eingriff betrachtet wird, der im Widerspruch zu unserer Werteordnung steht", betont Petri. Es dĂŒrfe nicht sein, dass "jeder, der an einer Kamera vorbeilĂ€uft, sich kontrolliert fĂŒhlt und auch kontrolliert fĂŒhlen muss", betont er. "Wenn wir so etwas machen, ist es eine Frage der Zeit, bis wir chinesische VerhĂ€ltnisse kriegen."
Im Ăbrigen sei aber auch das LKA-System nicht ganz ohne Makel. "Die Polizei ist nicht frei von Fehlern. Wir haben so viele FĂ€lle, in denen die Polizei Leute, bei denen der Verdacht ausgerĂ€umt ist, immer noch in ihrer Kartei fĂŒhrt."
TatsÀchlich ist die Zahl der Fotos in der zentralen Polizeidatenbank in dreieinhalb Jahren um rund eine Million Fotos gestiegen, wie aus einer Ende Januar veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Innenexperten Andrej Hunko (Linke) hervorgeht. Im Mai 2016 waren demzufolge noch rund 4,86 Millionen Lichtbilder von 3,34 Millionen Menschen eingestellt, aktuell sind es mehr als 5,8 Millionen Bilder [4]. Hunko sah daraufhin bei der Polizei einen regelrechten "Datenhunger". (mho [5])
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4656706
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Bericht-US-Firma-sammelte-Milliarden-Fotos-fuer-Gesichtsdatenbank-4641569.html
[2] https://www.heise.de/news/Seehofer-verzichtet-auf-Software-zur-Gesichtserkennung-4645116.html
[3] https://www.heise.de/news/Urteil-Polizei-Hamburg-darf-weiter-mit-Gesichtserkennung-G20-Randalierer-jagen-4568289.html
[4] https://www.heise.de/news/Polizeibehoerden-Datenbank-mit-Gesichtsfotos-waechst-auf-5-8-Millionen-4649294.html
[5] mailto:mho@heise.de
Copyright © 2020 Heise Medien