Beeindruckend: Microsoft Flight Simulator 2020 probegeflogen

Microsoft hat eine neue Version seines Flugsimulators veröffentlicht. Dieser sieht spektakulär aus – und gibt sich mit relativ moderater Hardware zufrieden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 9 Kommentare lesen
Beeindruckend: Microsoft Flight Simulator 2020 probegeflogen

Hallo Berlin: Statt flacher Satellitenfotos bietet der Flight Simulator 3D-Modelle der ganzen Welt.

Lesezeit: 6 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

Ob der neue Microsoft Flight Simulator nun ein Spiel ist oder eher eine Weltsimulation: Darüber kann man lange diskutieren. Sicher ist: So spektakulär wurde die Erde von oben noch nie in Szene gesetzt. Möglich macht es die erstmals in einem solchen Spiel verwendete Cloud-Anbindung. Der FS2020 greift auf sage und schreibe zwei Petabyte dreidimensionale Welt- und Objektdaten von Microsofts Kartendienst Bing Maps zu, das entspricht 20.000 Blu-rays. Um die detaillierte Welt zu sehen, muss man beim Fliegen permanent mit dem Internet verbunden sein – und zwar ausreichend schnell: 20 MBit/s empfiehlt Microsoft, 50 MBit/s sind besser. Man kann auch offline spielen, allerdings leidet die Darstellungsqualität dann deutlich.

Interessant: Bei Bing Maps gibt es nur für vergleichsweise wenige Orte 3D-Modelle, weshalb eine KI die Lücken gefüllt und aus den Satellitenbildern räumliche Objekte generiert hat. Entwickelt hat die Technik dafür das österreichische Start-up Blackshark.ai. Das Resultat sieht zumindest auf den ersten Blick erstaunlich echt aus, deckt sich aber häufig nicht mit der Realität – zum Beispiel haben einige Häuser in der Simulation ganz andere Fassaden als in der echten Welt. Da Microsoft permanent an der Bildqualität von Bing Maps schraubt, kann sich das Aussehen der 3D-Objekte im Laufe der Zeit noch verbessern.

Die Simulation strotzt nur so vor Details. So flattern beispielsweise in Florida Flamingos, in der afrikanischen Savanne staksen animierte Giraffen herum. Wie bereits der 2006 erschienene Flight Simulator X zieht sich auch der neue Flugsimulator die aktuellen Wetterdaten aus dem Netz. Allerdings ist die Qualität der Wetterdarstellung erstmals annähernd fotorealistisch. Volumetrische, dreidimensionale Wolken brechen das Licht und werfen Schatten, Wind bringt das Flugzeug realistisch in Bewegung und Regentropfen prasseln an die Scheiben. Turbulenzen werden in Echtzeit in Abhängigkeit der Wetterverhältnisse und Terrain-Struktur (etwa hohe Berge) physikalisch korrekt berechnet. Spieler können in Echtzeit beobachten, wie sich Gewitter zusammenbrauen, Regenbögen entstehen oder Wolken sich auflösen.

Flamingos voraus! In der Flugsimulator-Welt lassen sich sogar hĂĽbsch animierte Tiere entdecken.

Den Flight Simulator gibt es in drei Editionen für 70 Euro (Standard), 90 Euro (Deluxe) und 120 Euro (Premium-Deluxe), die jeweils mehr Flugzeuge und mehr fein nachgebildete Flughäfen enthalten. In der Standardversion gibt es 20 Flugzeuge und 30 detaillierte Flughäfen, in der Deluxe-Variante sind es 25 Flugzeuge und 35 Flughäfen. Unter anderem finden sich der Bombast-Jet Boeing 787-10 Dreamliner und der Frankfurter Flughafen nur in der teuersten Version („Premium“), die insgesamt 30 Flugzeugmodelle und 40 Airports enthält. Neben den Online-Verkaufsversionen via Windows Store und Steam gibt es die Standard- und Premium-Ausgaben als Disc-Versionen mit zehn DVDs, die Aerosoft vertreibt. Die Standard-Edition ist auch in Microsofts Abo-Angebot Xbox Game Pass enthalten. Etliche Spieler kritisierten nach der Veröffentlichung, dass es deutlich teurer ist, Flugzeuge und Flughäfen nachzukaufen, als von vornherein die Premium-Version zu erwerben: Statt 120 Euro kostet ein komplettes Upgrade der Standardversion 250 Euro.

Wer abheben will, muss zunächst eine ganze Menge Platz auf seiner SSD freiräumen – auf einer herkömmlichen Magnetfestplatte sollte man den Flight Simulator nicht installieren. Bei der Installation müssen 150 bis 200 GByte frei sein, am Schluss belegt der Flight Simulator rund 100 GByte. Für Flugsimulator-Einsteiger ist die Flugschule quasi Pflicht. Dort lernt man das Fliegen einer Cessna 152 in acht Missionen. Von der grundlegenden Steuerung des Flugzeugs und der Bedienung des Cockpits über Starts, Landungen und Navigation bekommt man wahlweise auch in deutscher Sprache alles Notwendige beigebracht. Überraschenderweise geht die vergleichsweise komplexe Maus-Tastatur-Steuerung schnell in Fleisch und Blut über und erlaubt sogar feine Flugmanöver. Mit Spezialhardware wie einem Flightstick geht das alles noch genauer und immersiver, aber trotzdem: Der Flight Simulator macht auch ausschließlich mit Maus und Tastatur viel Spaß und ist gut bedienbar. Gerade das (optionale) Anklicken und Ziehen der vielen kleinen Schalter und Hebel im Cockpit macht mit der Maus Freude und gibt einem das Gefühl, eine komplexe Flugmaschine tatsächlich zu kontrollieren. Wer darauf keine Lust hat, kann so gut wie alle Aspekte vom Rechner steuern lassen und den Flugsimulator zum wunderschönen Bildschirmschoner machen.

Regen tropft ĂĽberaus realistisch die Cockpit-Fenster herunter.

Noch mal deutlich immersiver als am Monitor wird das Ganze sicher mit einem Virtual-Reality-Headset – Unterstützung dafür soll im Herbst kommen. Allerdings wird der Flugsimulator nicht von Anfang an mit allen VR-Headsets laufen: Zunächst ist nur die Unterstützung von Windows-MR-Headsets wie der in Europa noch nicht erhältlichen HP Reverb G2 angekündigt, die mit 4320  2160 Pixeln eine besonders hohe Auflösung bietet. Die Unterstützung der Headsets von Oculus, HTC und Valve soll später folgen.

Direkt bei den ersten Flugübungen beeindrucken die realitätsnahe Grafik und das plastisch wirkende Innenleben des Flugzeugs obwohl wir beim ersten Test bewusst keine High-End-Hardware benutzten. Eine GeForce GTX 1070 stellte das Spiel, getrieben von einem Core i7-3770K und 16 GByte RAM, problemlos in der zweithöchsten Detailstufe „hoch“ samt ordentlicher Kantenglättung (Temporal Anti-Aliasing) in Full HD dar. Der sichtbare Unterschied zur Ultra-Detailstufe ist gering. Mit höherer Auflösung steigen die Anforderungen allerdings beträchtlich – für 4K in „Ultra“ benötigt man außer einer schnellen CPU 32 GByte RAM und eine Grafikkarte der Nvidia-RTX-2080-Ti-Klasse.

Der erste Eindruck zeigt: Microsoft Flight Simulator ist ein gelungener Nachfolger des alten Flight Simulator X. Das offene SDK erlaubt zahlreiche Erweiterungen – etwa um kostenlose und kostenpflichtige Flugzeuge, Flughäfen und Missionen. Die Performance geht für die gebotene Bildqualität in Ordnung – das Spiel lässt sich im Unterschied zum damaligen FSX auch mit heutiger Mittelklasse-Hardware hübsch und flüssig spielen. Und die für Herbst angekündigte VR-Integration dürfte in Verbindung mit der hervorragenden Grafik für ein überaus immersives Flugerlebnis sorgen. Ganz klar: Für die nächsten Jahre ist dem Flight Simulator ein Platz im Simulations-Olymp sicher.

Dieser Artikel stammt aus c't 19/2020.

(jkj)