Belgien stehen weiter unsichere Zeiten bevor

Dem flämischen Wahlsieger ist eine Regierungsbildung nicht gelungen, weshalb es nun wallonische Sozialisten versuchen sollen

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Nun wird es einen erneuten Anlauf geben. In Belgien hat König Albert II. die frankophonen Sozialisten (PS) mit der Regierungsbildung beauftragt. Dem klaren Wahlsieger ist es nicht gelungen, nach den Wahlen am 13. Juni in der vorgeschrieben Zeit eine Regierung zu bilden. "Es gibt Überschneidungspunkte zwischen den Parteien, aber es sind nicht genügend, um eine Regierung zu bilden", erklärte Bart de Wever. Dessen Neue Flämische Allianz (N-VA) hatte deshalb den König aufgefordert, sie von der Regierungsbildung zu entbinden.

Der Separatist, der Belgien "verdampfen" lassen und mittelfristig "eine flämische Republik" aufbauen will, hatte dem König aber auch mitgeteilt, dass er die Situation für nicht reif genug hält, um einfach nun den wallonischen Sozialisten Elio Di Rupo damit zu beauftragen, einen neuen Versuch zu starten. Denn es ist klar, dass die PS und die N-VA nicht aneinander vorbeikommen. De Wever, der kein Interesse daran hat, Regierungschef und damit zur Zeit auch EU-Ratspräsident zu werden, will Di Rupo den Vortritt lassen. Doch dafür müsste der Sohn italienischer Einwanderer, der stets eine Fliege trägt, den Flamen bei der Frage einer stärkeren Autonomie entgegenkommen. Dann könnte Di Rupo der erste frankophone Regierungschef Belgiens seit 1974 werden.

Trotz völlig unterschiedlicher Meinungen, was die Frage der Teilung des Landes angeht, müssen beide Parteien versuchen, eine Regierung auf die Beine zu stellen. N-VA und PS wollen eine Krise vermeiden, wie es sie nach der letzten Wahl 2007 entstand, als das Land neun Monate ohne Regierung war. Derweil bleibt der Christdemokrat Yves Leterme geschäftsführend im Amt, womit er weiterhin geschäftsführend auch den EU-Vorsitz einnimmt. Der abgestrafte Christdemokrat hat keinerlei Aussicht darauf, wieder Regierungschef zu werden. Seine Koalition zerbrach am Sprachenstreit.

In ökonomischen Fragen sollen sich PS und N-VA näher gekommen sein. Es geht vor allem auch darum, wie die riesige Verschuldung abgebaut werden kann. Es ist erstaunlich, dass Belgien bisher weitgehend aus der Schusslinie geblieben ist, obgleich die Verschuldung des Landes deutlich höher als die Portugals ist, das wie Spanien gerne als Pleitestaat gehandelt wird. Belgien liegt hinter Italien und Griechenland bei der Staatsverschuldung auf dem dritten Platz in der EU und wird im laufenden Jahr die Marke von 100 % des Bruttoinlandsprodukts überschreiten.

Kaum Annäherung gibt es offensichtlich im Sprachenstreit um den Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV). Dieser gemischtsprachige Wahlkreis ist nach einem Urteil des obersten Verfassungsgerichts verfassungswidrig und müsste zerschlagen werden. Die Flamen fordern das, allerdings gibt es harten Widerstand der vielen Frankophonen, die sich in Brüssel und Umland niedergelassen haben. Vor allem an dieser Frage ist die Regierung Leterme zerbrochen. De Wever sprach davon, dass die "noch zu lösenden Fragen extrem schwierig sind". Ob es also alsbald eine neue belgische Regierung und einen neuen EU-Ratsvorsitzenden gibt, ist ungewiss.