Bericht: Russische Hacker kompromittierten das ungarische Außenministerium

Cyberangreifer russischer Geheimdienste sollen die IT des ungarischen Außenministeriums unterwandert haben. Auch Nato- und EU-Dokumente seien abgeflossen.

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(Bild: welcomia/Shutterstock.com)

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Das ungarische Investigativmagazin Direkt36 hat nach eigenen Angaben anhand von Regierungspapieren und Hintergrundgesprächen massive russische Geheimdienstoperationen gegen das ungarische Außen- und Handelsministerium sowie Unzulänglichkeiten der Spionageabwehr des Landes aufgedeckt. Entsprechende Cyberangriffe sollen schon seit mindestens zehn Jahren erfolgen, mit zunehmender Wucht seit 2016. Den Hackern sei es dabei gelungen, in das gesamte IT-System und die Netzwerke des Ressorts einzudringen.

Die Angreifer waren dem Bericht zufolge so erfolgreich, dass sie auch während des aktuellen Krieges in der Ukraine noch teils Zugriff auf einige der über die Netze des ungarischen Außenministeriums übermittelten Informationen haben könnten. Spätestens im zweiten Halbjahr 2021 sollen sie auch das interne Mailsystem des Ministeriums vollständig kompromittiert und sich in ein verschlüsseltes Netzwerk gehackt haben, das für die Übermittlung eingeschränkter und geheimer staatlicher und diplomatischer Informationen verwendet wird.

Das geschützte Auslandsnetz (Védett Külügyi Hálózat, VKH) kann nur von besonderen fensterlosen Räumen aus unter strengen Sicherheitsbedingungen genutzt werden. Eingesetzt werden spezielle Computer des Außenministeriums, die Nachrichten verschlüsseln und an die im Prinzip kein externes Gerät angeschlossen werden kann. Über das System werden auch vertrauliche Nato- und EU-Dokumente empfangen.

Russische Geheimdienste sollen dieses diplomatische Netz bereits bei einer ersten großen Angriffswelle in den Jahren seit 2010 erfolgreich gehackt haben, erklärte ein ehemaliger Beamter der Regierung Viktor Orbáns gegenüber dem Portal. Um das Jahr 2013 herum seien die Geräte in allen VKH-Räumen auf der ganzen Welt, also im Ministerium am Budapester Bem-József-Platz und in den ungarischen diplomatischen Vertretungen im Ausland, ausgetauscht worden sein. In den vergangenen Jahren sollen sich die Angreifer aber erneut Zugang dazu verschafft haben, sodass das VKH wieder als veraltet gilt.

Aus einem internen Dokument, das Direkt36 in Auszügen veröffentlicht hat, geht hervor, dass das Außenressort noch im Januar 2022 gezielten Angriffen ausgesetzt war. Ehemalige Geheimdienstoffiziere vermuteten hinter den Cyberattacken den KGB-Nachfolger FSB oder den russischen Militärgeheimdienst GRU. Letzterer soll auch hinter dem Bundestagshack stecken. Mehrere Quellen berichteten dem Portal, dass die über Administratorrechte verfügenden Hacker den ungarischen Behörden seit langem bekannt seien, da sie seit mindestens zehn Jahren kontinuierlich Regierungsnetzwerke angriffen.

Nach Angaben des Portals wurde das Außenministerium teils durch Spearphishing-Angriffe mit Malware infiziert, die sich dann im gesamten internen Netzwerk verbreitete. Betroffen sein sollen neben vernetzten Rechnern im Hauptgebäude mehr als 150 Einrichtungen von über 90 Auslandsvertretungen. Es sei unmöglich, genau zu sagen, an welchen Punkten und auf wie viele verschiedene Arten die Russen in die Systeme eingedrungen seien. Das reguläre interne Netzwerk des Ressorts sei weiterhin infiziert.

Der frühere Leiter der Cyber Defence Management Authority (CDMA), Ferenc Frész, räumte 2015 in einer Präsentation ein, dass ein Großteil ihrer Arbeit darin bestand, die teils entdeckten Schwachstellen zu schließen. Unter dem aktuellen, als besonders russlandfreundlich geltenden Außenminister Péter Szijjártó (Fidesz) wurde laut dem Artikel zunächst Ende 2014 der Chef der nationalen Sicherheitsbehörde gefeuert und die Institution dem Innenministerium unterstellt. Einige Monate später sei auch das Personal der CDMA im Zuge einer "Umstrukturierung" entlassen worden.

Auf Bitten um Stellungnahmen von Direkt36 reagierten beide Ministerien sowie das Kabinettsbüro des Premierministers nicht. Nachdem die Meldung Wellen geschlagen hatte, erklärte das Außenressort gegenüber anderen Medien: "Wir schenken den Lügen der Kampagne keine Beachtung." In Ungarn findet am Sonntag die Parlamentswahl statt. Die vereinte Opposition forderte aufgrund der Spionagevorwürfe den Rücktritt Szijjártós. Sie befürchtet, dass Russland mit der Aktion auch den Urnengang beeinflussen will.

(bme)