Berlin und Brüssel auf Datenjagd

Die Bundesregierung liebäugelt mit einer Initiative aus Brüssel, die Telcos und Provider jahrelang zur Vorhaltung sämtlicher bei der Telekommunikation anfallender Verkehrsdaten verpflichten will. Die Aussicht auf Entschädigung soll den Widerstand der Wirtschaft brechen. Doch die Branche und Datenschützer lehnen die Maßnahme nach wie vor strikt ab.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Es ist ein alter Traum der Strafverfolger: Statt in der Offline-Welt mühsam Indizien für die Verbrechensaufklärung zusammenzuklauben, wollen sie sich vom Computer am Schreibtisch aus online in die unendlichen Datenberge einklinken, die moderne Bürger am Telefon oder im Internet unweigerlich hinterlassen. Ihre Hoffnung ist es, anhand der Datenschatten und Profilvernetzungen möglichst „präventiv“ Straftaten zu erkennen. Doch schon die Kohl-Regierung sah das Begehren 1996 im Widerspruch mit den „Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit und Zweckbindung beim Erlass von Datenschutzvorschriften“ und erteilte ihm eine klare Absage.

Die rot-grüne Bundesregierung hielt bislang an diesem Diktum fest. Zuletzt im Rahmen der Debatte um die Novelle des Telekommunikationsgesetzes, bei der sie auf datenschutzrechtliche Probleme sowie wirtschaftliche Auswirkungen der kostspieligen Maßnahme verwiesen hatte. Aber im Lichte des formelhaft beschworenen Kampfs gegen den internationalen Terrorismus hat sich neben dem Bundesinnen- nun auch das Bundesjustizministerium für die heftig umstrittene Vorratsdatenspeicherung erwärmt. Damit könnte sich erneut die Strategie der Ermittlungsbehörden bezahlt machen, Verschärfungen im Bereich der inneren Sicherheit auf dem Umweg über Brüssel voranzutreiben.

Der erste Vorschlag im EU-Rat wurde unter der dänischen Präsidentschaft Mitte 2002 eingebracht. Damals sollten die betroffenen Firmen die in einem elektronischen Kommunikationsnetzwerk anfallenden Verkehrsdaten ein Jahr lang aufbewahren. Weit kam der Vorstoß nicht. Nach den Anschlägen von Madrid im März 2004 forcierten die Staatschefs im EU-Rat mit einer Anti-Terrordeklaration die Forderung nach der Einführung von Mindestspeicherfristen für TK-Daten. Frankreich, Großbritannien, Irland und Schweden reagierten noch im April mit einem zweiten Entwurf für einen Rahmenbeschluss, der eine Vorhaltungsspanne zwischen einem und drei Jahren ins Spiel brachte.

Da Länder wie Italien aber bereits noch längere Speicherregelungen verabschiedet haben, folgte nun Mitte Oktober der dritte Streich, dieses Mal von der niederländischen Ratspräsidentschaft. Er erlaubt Staaten, nach Belieben lange Aufbewahrungsfristen zu erlassen - solange es sich um eine „verhältnismäßige Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft“ handelt. Als allgemeine „Sollfrist“ nennt der Entwurf 12 Monate, zeigt sich aber überraschend liberal: Sollte ein Mitgliedsstaat die Vorgabe nach einem nationalen Abwägungsprozess „nicht akzeptabel“ finden, kann er kürzere Speicherperioden festlegen. Hier stellt sich die Frage, wieso überhaupt das Eingreifen Brüssels erforderlich ist, wenn die normal aus der EU-Gesetzgebung erwachsende Harmonisierung von Anfang an durchlöchert wird. Geradezu zurückhaltend wirkt der jüngste Vorschlag auch, wenn er die Mindestfristen nur im Rahmen einer „fortgesetzten“ Datenspeicherung für die Abrechnung sowie für kommerzielle oder andere „legitime“ Zwecke vorsieht.

Lang bleibt aber die Liste, auf die sich der Beschluss beziehen soll: Sie umfasst alle Daten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, Simsen, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen. Dabei würde es in der digitalen Telekommunikation zu einer problematischen Vermischung der angeblich allein anvisierten „rein technischen“ Verkehrsdaten mit den Inhalten kommen. Die URL einer Website etwa gibt Aufschluss über die betrachteten Informationen. Auch bei SMS-Botschaften, die über die Signalisierungsnetze im Mobilfunk gesendet werden, sind in den Verbindungsdaten automatisch die Inhalte enthalten. Das elektronische Leben der Bürger wäre damit weit gehend erfassbar.

Die Bundesregierung scheint damit kein Problem mehr zu haben. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag äußert sich Justizministerin Brigitte Zypries dahingehend, dass eine anhand bestimmter Kriterien „gezähmte“ Vorratsdatenspeicherung machbar sei. Um die Lagerhaltung schon für die Strafverfolger zweckmäßig zu gestalten, hängt die Durchführung „maßgeblich von den zu speichernden Datenarten, der Speicherungsdauer, der effizienten Nutzbarkeit des Datenmaterials und der näheren Ausgestaltung späterer Zugriffsmöglichkeiten der Ermittlungsbehörden auf diese Daten ab“, betont sie in dem Schreiben. Einen größeren Vertrauensverlust der Bürger in die Nutzung der Telekommunikations- und Netzmedien erwartet sie nicht. Es komme darauf an, die Abfrage der Daten durch die Ermittlungsbehörden allein „unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ zuzulassen.

Justizministerin Brigitte Zypries erwartet keinen Vertrauensverlust der Bürger durch die pauschale Speicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten auf Vorrat.

Auch ein Ausbremsen der wirtschaftlichen Dynamik des Telekommunikationssektors folgt laut Zypries nicht zwangsläufig aus der Maßnahme. Die Speicherungsdauer dürfe eben nicht „übermäßig lang“ sein und müsse für alle Anbieter und Betreiber gleich gelten. Zudem prüft die Regierung, inwieweit der Staat eine „angemessene Entschädigung“ für das Vorhalten der Datenberge durch die Wirtschaft zahlen kann.

SPD-Datenschutz- und Neue-Medien-Experte Jörg Tauss hält nichts von den Plänen seiner Parteikollegin Zypries bei der Vorratsdatenspeicherung: Die „sinnlose Anlage von Datenbergen“ werde es mit der rot-grünen Koalition nicht geben.

Mit ihrer Kehrtwende hat Zypries an einem Tabu gerührt. Dementsprechend heftig fallen die Reaktionen aus: „Zypries muss in dieser Frage zurückrudern“, fordert der SPD-Datenschutzexperte Jörg Tauss seine Parteikollegin unmissverständlich auf. Sonst werde sie mit ihrer Befürwortung einer Pauschalüberwachung der Nutzer genauso scheitern, „wie sie bereits im SPD-Fraktionsvorstand mit den Plänen für eine Neugestaltung des Großen Lauschangriffs gescheitert ist.“ Die „sinnlose Anlage von Datenbergen“ werde es mit der rot-grünen Koalition nicht geben. Tauss hält Zypries in Anbetracht deren vorheriger Karriere im Bundesinnenministerium vor: „Die Justizministerin muss sich endlich über eines klar werden: Sie ist nicht mehr Otto Schilys weisungsgebundene beamtete Staatssekretärin, sondern die Hüterin der Verfassung und der Bürgerrechte.“

Schwere Enttäuschung auch bei den Datenschützern: Angesichts der tiefen Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts „wäre die Maßnahme keinen Deut besser, wenn die Kosten getragen würden“, stellt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar klar. Der brandenburgische Datenschutzbeauftragte Alexander Dix erinnert Zypries daran, dass gemäß des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts „schon in jeder Erhebung von Daten ein Eingriff in Grundrechte liegt“. Ein solcher müsse klar begründet und verhältnismäßig sein, was bei der diskutierten „routinemäßigen Vorratsdatenspeicherung“ niemals der Fall sei. Da gute Vorsätze zur Zweckbindung der Daten etwa an die Terrorismusbekämpfung regelmäßig von Regierungen im Stile einer an die Geldwäsche erinnernden „Politikwäsche“ rasch wieder über Bord geworfen würden, sei „von vornherein die Schaffung solcher Datenbestände abzulehnen“.

Volker Kitz vom Branchenverband Bitkom stellt sich hinter die Datenschützer. „Es sind die Kosten und der Vertrauensverlust, der sich auf die TK-Anbieter wirtschaftlich auswirkt“, begründet er das weitere Nein der Wirtschaft zur Vorratsdatenspeicherung. Diese „schadet nur, nutzt keinem“. Das Argument der Strafverfolger, die Maßnahme diene der Terrorismusbekämpfung, lässt er nicht gelten: „Der internationale Terrorismus investiert 20 Cent, um an die Telefonzelle zu gehen, und hebelt damit die Vorkehrungen aus.“ Die Nutzer auf der anderen Seite würden sich breit überwacht fühlen und möglicherweise die neuen Medien weniger in Anspruch nehmen. Schwer zu schaffen macht der Branche zudem, dass Konzerne wie die Telekom die Anlaufkosten für die Archivierung der Verbindungsangaben allein bei der Sprachtelefonie auf einen dreistelligen Millionenbetrag schätzen.

Als Ausweg führen Wirtschaft und Datenschützer die Methode des „Quick Freeze“ an, bei dem TK-Firmen auf Zuruf der Beamten bestimmte Daten speichern und die Ermittler eine richterliche Bestätigung der Maßnahme nachreichen müssen. Dieses an sich auch noch nicht auf seine grundrechtsgefährdenden Haken erprobte Konzept ist Teil der Cybercrime-Konvention des Europarats. Doch auch zwei Jahre nach der Verabschiedung des Vertrags hat noch kein westeuropäischer oder amerikanischer Staat die Bestimmungen ratifiziert - obwohl die Strafverfolger es zunächst sehr eilig damit hatten. In ihrem Datenhunger scheinen sie sich jetzt mit der Teilkonservierung von Nutzerinformationen nicht mehr abgeben zu wollen. (jk) (jk)