Berliner Erklärung gegen den Hass im Netz

Ein "globaler Wertekonsens" soll Extremismus im Internet ächten und einen Mindeststandard für die Strafverfolgung setzen.

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Von
  • Florian Rötzer

Zwei Tage lang hatten Vertreter von Regierungen und Non Governmental Organisations, Techniker, Unternehmer aus der Netzwirtschaft sowie Strafverfolger über das Problem der zunehmenden Nutzung des Internet für die Verbreitung extremistischen Gedankenguts bis hin zu Mordaufrufen und Anleitungen zum Bombenbauen heftig diskutiert. In der Konferenz auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung, des Simon Wiesenthal Center sowie des Bundesjustizministeriums ging es dabei immer wieder um die Gratwanderung zwischen der Beschneidung von Grundrechten wie der freien Meinungsäußerung auf der einen und dem Durchsetzen nationaler Strafgesetze in einem globalen Medium auf der anderen Seite. Zahlreiche Brüche kamen ans Tageslicht, etwa zwischen den Beschreibungen der Netzprovider, was technisch machbar ist, und den Forderungen und Wünschen von Politikern, Verfassungsschützern, Staatsanwälten oder Polizisten zur Regulierung des Internet.

„Wir haben für viele Fragen noch keine richtigen Lösungen", gab Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin nach dem Sitzungsmarathon zu. Mit der "Berliner Erklärung", die den Höhepunkt der Konferenz markierte und ein Signal setzen will, "dass Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein globales Bündnis zur Bekämpfung der Verbreitung von Hass gegen Minderheiten bilden", hofft die SPD-Politikerin allerdings Vermittlungsansätze gefunden zu haben. In dem Dokument wird das Internet zunächst als Medium des 21. Jahrhunderts gefeiert. Jeder müsse das Recht haben, "seine Meinung auch im Internet frei zu äußern". Zensur dürfe nicht stattfinden. Diesem von der Verfassung garantierten Grundrecht, so führte Däubler-Gmelin aus, seien aber "in allen Staaten Grenzen gezogen", um Straftaten zu verhindern, Jugendschutz zu garantieren und das Schüren von Hass zu unterbinden. Sowohl die Meinungsfreiheit wie die festgesetzten Schranken seien "Ausdruck des Wertekonsenses einer Gesellschaft." Da aber unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Vorstellungen über Falsch und Richtig oder Gut und Böse haben, kann für die Ministerin die Parole nur lauten, dass"wir dem globalen Internet einen globalen Wertekonsens gegenüberstellen müssen".

Zwischenschritte seien bereits erreicht worden, freute sich Däubler-Gmelin. So sei man bei der Ächtung und Verfolgung von Kinderpornographie weltweit ein gutes Stück vorangekommen. Auch regionale Absprachen und Strafbestimmungen wie etwa im Rahmen der EU wiesen in die richtige Richtung. "Wenn wir in Europa anfangen, treten wir nicht mehr nur als Handelspartner in Erscheinung, sondern werden auch als Ernst zu nehmender Partner in Fragen der Entwicklung globaler Standards gesehen", glaubt die Ministerin. Auch die Entwicklung von Filtersystemen begrüßte sie. Einer generellen Überwachung und Filterung des gesamten Netzverkehrs erteilte Däubler-Gmelin allerdings eine Absage.

Wie schwer sich einige der Forderungen der "Berliner Erklärung" in die Tat umsetzen lassen werden, zeigten die zahlreichen Beschwerden von Strafverfolgern und Justizbeamten über die mangelnde Bereitschaft der US-Behörden bei der Gewährung von Rechtshilfe im Kampf gegen Auschwitz-Leugner und Rassenverächter. "Ein Großteil der Nazi-Websites ist in Amerika beheimatet", klagte auch Däubler-Gmelin, eine Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung käme aber in diesem Bereich kaum zustande. Däubler-Gmelin bedauerte daher, dass keine US-Politiker der Einladung gefolgt seien.

"Dürfen Sie, können Sie oder wollen Sie nicht helfen?", fragte Leo Schuster, Vizepräsident des Bundeskriminalamts, seinen Kollegen Mike Vatis, den stellvertretenden Direktor des FBI, daher direkt. Der entschuldigte die Polizei in den USA mit der Begründung, dass etwa neonazistische Äußerungen dort schlicht kein Verbrechen seien und die Strafverfolger daher nicht dagegen vorgehen dürften. Von einem"globalen Wertekonsens" ist die Netzgesellschaft also noch weit entfernt. (Stefan Krempl)

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