"Bis sie enden wie die Griechen"

Ein amerikanischer CEO und fast ganz Frankreich liefern sich einen Culture Clash

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Der Culture Clash zwischen Franzosen und Amerikanern hat, wie man beispielsweise in Filmen von Julie Delpy gut sehen kann, ein paar markante Fixpunkte, die sich gut für Komödien eignen: die übergroße Bedeutung, welche Franzosen aus Sicht der Amerikaner dem Essen und den Essenspausen beimessen. Die französische Geringschätzung der amerikanischen Auffassung von Professionalität. Und wiederum aus Sicht der Amerikaner: die nicht so genaue Abgrenzung der Franzosen von politischen Ideen, die in den USA unter Sozialismus laufen. Soweit das Klischeetheater, in dem die französischen Darsteller sich über die Amerikaner mokieren, weil die keine Ahnung vom guten Leben haben oder nur eine grobe; es fehlt ihnen an Esprit: "Die spinnen, die Amerikaner."

Im echten Leben hat ein amerikanischer Reifenfabrikant, der CEO von Titan International, Morry „The Grizz“ Taylor, dem französischen Industrieminister - um genau zu sein, dem Minster für die Sanierung des produktiven Sektors - einen Brief geschrieben. Worin er sich beklagt, dass die Mitarbeiter einer französischen Goodyear-Reifenfabrik in Amiens zwar gehobene Gehälter beziehen, aber nur drei Stunden arbeiten: "Sie haben eine Stunde für ihre Pausen und ihr Mittagessen, palavern aber während drei weiterer Stunden und arbeiten drei Stunden. Ich habe das den Gewerkschaftern ins Gesicht gesagt und sie haben mir geantwortet, das sei so in Frankreich."

Der Brief ist die Antwort auf eine Anfrage des Industrieministers Arnaud Montebourg, der gehofft hatte, dass Titan das französische Reifenwerk übernehmen würde und damit Arbeitsplätze retten. Titan hatte in der Vergangenheit Goodyear-Fabriken und Lizenzen übernommen und auch bis Ende November 2011 eine Option auf das Werk in Amiens gehabt. Die ließ man allerdings verfallen. Schon damals hatte Maurice Taylor keine netten Worte für Frankreich („screwed up“) übrig. Und schon vor gut zwei Jahren knurrte der Grizzly, dass die Arbeiter dank der Gewerkschaft für sieben Stunden Geld bekommen und nur drei Stunden arbeiten.

"Was aber hat die verrückte Gewerkschaft?"

"Für wie dumm halten Sie Titan", antwortete Taylor nun auf die Bitte von Montebourg, über eine Übernahme nachzudenken. "Titan hat das Geld und das Know-How für die Reifenherstellung. Was aber hat die crazy Gewerkschaft? Sie hat die französische Regierung." Man kaufe lieber Reifenfabriken woanders, in China oder in Indien. Dort zahle man weniger als einen Euro pro Stunde Lohn, weil der von der Regierung subventioniert werde, und könne dann alle Reifen nach Frankreich liefern, die man dort braucht. Der französische Bauer wolle keine teuren Reifen (Titan hat die Goodyearlizenz für Reifen, die in der Landwirtschaft benötigt werden).

Der Brief wurde am Dienstagabend in der Zeitung Les Echos veröffentlicht. Tags darauf kochten die Gemüter, "vif émoi", meldete die Zeitung, quer durch das ganze politische Spektrum, von links, Parti Communiste, bis ganz rechts, Front National. Der Vertreter der Gewerkschaft CGT, die in der Reifenfabrik in Amiens-Nord die Mehrheit hat, Monsieur Wamen, las aus dem Brief des amerikanischen Unternehmenschefs ein deutliches Signal heraus, wonach der Mann der Einlieferung in eine psychiatrische Heilanstalt nahe sei.

"Extrem und beleidigend"

Der französische Industrieminister verfasste seine Antwort schriftlich. In seinem Brief bezeichnet Montebourg die Worte des amerikanischen CEO als "extrem und beleidigend" und hält dem Bärenführer eine "totale Unkenntnis Frankreichs" vor. Nicht umsonst würden mehr als 20.000 ausländische Unternehmen, darunter 4.200 amerikanischen Filialen mit 500.000 Beschäftigten, in Frankreich operieren.

Warum?, fragt Montebourg, um zu antworten: Nicht nur wegen der Qualität der Infrastruktur und dem angenehmen Leben, der hoch energetischen Wettbewerbsfähigkeit, der innovativen Umgebung, sondern auch weil die französischen Arbeiter bekanntermaßen so viel Talent, Savoir-Faire und Engagement an den Tag legen - in Wirklichkeit also ganz weit entfernt von den "lächerlichen und unerfreulichen" Behauptungen. Diese umkurvt er in weiteren Exkurs dann noch, um sie mit ein paar erfreulichen geschichtlichen und politischen Großstationen ganz zu erledigen, mit dem Hinweis auf den französischen Helfer für Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien, Marquis de La Fayette, auf die amerikanische Invasion an der Normandie und auf Obama, der seine Sache gut mache.

Taylor reagierte auf diesen Brief mit der Erklärung, dass er die Franzosen nicht beleidigen wollte. La Fayette habe die Amerikaner gerettet, aber die Franzosen seien zu teuer, wegen der sozialen Vergünstigungen. Und wenn sie nicht mehr arbeiten wollten, sondern immer nur ihre Meinung äußern, dann, so Taylor in einem Interview sei es nur eine Frage der Zeit, bis sie "enden wie die Griechen".