Bit-Rauschen: Intels Chipfabrik in Magdeburg kommt Jahre später
Intel "pausiert" den Bau der Chipfabriken in Magdeburg und Wrocław. Elon Musk und Larry Ellison kraftmeiern mit KI-Supercomputern.
Der Intel-Vorstand forciert den Sparkurs und legt die geplanten europäischen Chipwerke in Magdeburg sowie im polnischen Wrocław (Breslau) auf Eis. "Ungefähr zwei Jahre lang je nach erwarteter Marktlage" werde der Bau "pausiert". Nur wenige Stunden nachdem Intel-Chef Pat Gelsinger die Entscheidung am späten Abend des 16. September verkündet hatte, wollte Finanzminister Christian Lindner die zugesicherten Subventionsmilliarden schon kassieren.
Intel wolle sich "stromlinienförmiger" aufstellen und schneidet weitere Zöpfe ab. Mit dem Entlassungsprogramm zum Abbau von 15.000 Stellen weltweit komme man gut voran und zahle dafür in einigen Fällen sehr hohe Abfindungen von mehreren Hunderttausend US-Dollar, berichten US-Medien. Damit züchtet sich Intel aber auch Konkurrenten heran. Denn einige der Entlassenen heuern bei Firmen wie Qualcomm an, andere machen eigene Firmen auf. Debbie Marr war Chefarchitektin der Advanced Architecture Development Group und gründete nach 33 Intel-Jahren nun mit drei weiteren Experten die Firma Ahead Computing für RISC-V-Technik. Auf Risiken und Nebenwirkungen des Spardiktats kann Gelsinger aber keine Rücksicht mehr nehmen, er kratzt an allen Ecken und Enden Geld zusammen. Dazu will er Teile der FPGA-Sparte Altera verkaufen sowie zwei Drittel aller Grundstücke.
Ein paar gute Nachrichten hatte Gelsinger auch: Für die Auftragsfertigung konnte man den weltgrößten Cloud-Dienstleister Amazon Web Services (AWS) gewinnen und von der US-Regierung gibts einen Entwicklungs- und Fertigungsauftrag über insgesamt rund 3 Milliarden US-Dollar. Die Regierung plant Chips mit sicheren Enklaven (Secure Enclaves) für Trusted Execution Environments (TEEs) zur Verarbeitung sensibler Daten. AWS will die Fertigungstechnik Intel 18A für einen KI-Netzwerkchip nutzen, bestellt aber auch kundenspezifische Xeon-6-Versionen und weitere Prozessoren.
KI mit Atomantrieb
Noch größer als das Vermögen von Elon Musk ist dessen Ego. Damit reiht sich Musk in eine lange Reihe superreicher Prahlhansel ein, zu denen auch Oracle-Gründer Larry Ellison gehörte. Der ist mittlerweile 80 Jahre alt, es wurde ruhiger um ihn – er wohnt auf seiner abgelegenen hawaiianischen Insel Lāna‘i. Jetzt aber haut Oracle mal wieder ordentlich auf die Pauke: 2025 will man den gigantischsten KI-Supercomputer der Welt betreiben. Als Sahnehäubchen obendrauf soll der Strom für Oracles Cloud Infrastructure (OCI) eines Tages aus kleinen Atomkraftwerken kommen, sogenannten Small Nuclear Reactors (SNRs). Dass bisher noch keiner davon läuft und der Bau möglicherweise viele Jahre lang dauert, ficht Oracle nicht an. Amazon AWS hat seit März immerhin schon Atomantrieb, da kaufte man ein Rechenzentrum in Pennsylvania unmittelbar neben dem 2,5-Gigawatt-AKW Susquehanna Steam Electric Station.
Wichtiger ist, dass der KI-Kraftprotz von OCI deutlich stärker wird als der eine Woche zuvor von Elon Musk persönlich angekündigte "Colossus" der Firma X. Der hat nämlich bloß 100.000 Nvidia-H100-Rechenbeschleuniger, der von OCI bekommt hingegen 131.072 Nvidia GB200 NVL72. Außer KI-Algorithmen, die mit (quantisierten) Daten wie Int8 oder FP4 hantieren, können die Nvidia-Chips im Prinzip auch High Performance Computing mit FP64-Werten. Dabei schafft der GB200-Gigant von OCI theoretisch bis zu 5,9 Exaflops, wäre also 3,4-mal so stark wie der aktuell schnellste Top500-Supercomputer Frontier (1,7 EFlops). Einen noch pomfortionöseren KI-Computer kann eigentlich nur noch James-Bond-Superschurke Ernst Stavro Blofeld bauen, indem er direkt die Sonne anzapft.
Ein bisschen aus dem KI-Rennen gegangen ist die Firma Aleph Alpha aus Heidelberg. Noch Anfang 2023 sollte das hauseigene und energetisch effizientere KI-Modell Luminous die europäische Antwort auf GPT und ChatGPT von OpenAI aus den USA werden. Man sonnte sich damals im Glanz von Spitzenpolitikern. Doch kürzlich bekannte Jonas Andrulis, der Gründer und Chef von Aleph Alpha, gegenüber Bloomberg: "nur ein europäisches Large Language Model (LLM) anzubieten, reicht als Geschäftsmodell nicht aus". Denn mit den exorbitanten Summen, die OpenAI ins Training riesiger KI-Modelle pumpt, kann bisher keine europäische Firma oder Institution mithalten. Generative KI-Modelle sollen noch weiter wachsen, daher auch die megalomanen Ankündigungen von Musk und OCI.
Der britische Schriftsteller Stephen Fry hält wenig von Musks libertären Ideen und ausschweifenden Plänen und bezeichnete ihn kürzlich in einer Vorlesung am Londoner King’s College als "NapolElon". Fry setzt sich schon seit rund vierzig Jahren mit KI auseinander und hofft auf Vernunft und Menschlichkeit.
Zum Bit-Rauschen gibt es regelmäßig auch einen Podcast.
(ciw)