"Breslau" – Biografie einer der ersten Akt-Fotografinnen Deutschlands

Mit über 90 hat Lilo Gwosdz ihr erstes Buch geschrieben. Letztes Jahr hatte sie ihre erste große Ausstellung – mit weiblichen Akten.

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Von
  • Sandra Trauner

Sie sieht nicht mehr gut, die elegante Dame mit dem weißen Pagenschnitt. Wenn sie Gäste in ihrer kleinen Wohnung im Frankfurter Westend empfängt, zieht sie den Besuch bei der Begrüßung nah zu sich heran und mustert die Gesichtszüge. Dafür hat sie einen Blick, auch wenn sie immer schemenhafter sieht. Ihr Leben lang hat sie als Modefotografin gearbeitet und nebenbei Frauen-Akte fotografiert. Erst mit 90 hat sie diese Arbeiten erstmals umfassend ausgestellt. Nun hat sie ein Buch geschrieben. "Breslau " heißt es, wie ihre Geburtsstadt.

Dort machte sie – nach Ballettschule und Schauspielunterricht – während des Zweiten Weltkriegs eine Lehre als Fotografin. Als Vertriebene lief sie – "zu Fuß!" – mit ihrer Mutter und ihrem späteren Mann über Bayern Richtung Norddeutschland. In Oldenburg bat sie bei einem geschlossenen Fotoatelier um Essen – und wurde als Laborantin eingestellt. In den 1950er Jahren wollte sie sich selbstständig machen und wählte dafür "eine Stadt, wo es sich lohnt": Frankfurt mit seiner damals boomenden Pelzindustrie.

Unzählige Titelblätter der Zeitschrift "Die Pelzwirtschaft" verwahrt sie bis heute in Kladden und Ordnern, dazu Fotos für "Brigitte", Bilder von Schuhen und Taschen für die Lederwarenmesse in Offenbach, Feature-Aufnahmen für die Deutsche Presse-Agentur. Eine der zentralen Geschichten im Buch handelt von einem ihrer Kunden, einem Pelzhändler, dessen Schicksal sie erst lange danach erfuhr.

Ein befreundetes Paar aus Breslau habe den jüdisch-stämmigen Mann vor den Nazis versteckt, erzählt sie in ihrem Buch, in einer Kammer neben der Küche. Lilo, die dort oft zu Besuch war, wusste von nichts. Aber die Nazis entdeckten das Versteck, der Retter wurde hingerichtet, doch dem Versteckten gelang die Flucht. Er gründete in Frankfurt ein Pelzgeschäft und wurde – ohne dass einer die Vergangenheit des anderen kannte – später Lilos bester Kunde.

Trotz der schrecklichen Kriegserlebnisse habe sie ein schönes Leben gehabt, sagt sie heute. "Ich habe das so verarbeitet, dass es für mich eine Festigung des Lebens war." Vor allem die Arbeit mit der Kamera habe sie erfüllt: "Mein Beruf hat mich sehr glücklich gemacht." Bis zu 70 Fotomodelle hatte sie zu ihren besten Zeiten in ihrer Mappe, um sie Kunden zur Auswahl zu präsentieren, "aber die meisten haben falsch gewählt: nach ihrem Geschmack, und nicht danach, wer zum Produkt passte."

Auch die Mädchen scheinen vor Jahrzehnten nicht weniger anstrengend gewesen zu sein wie heute bei Heidi Klum: "Ach, die waren schrecklich!", die Fotografin schüttelt sich noch heute, "die haben gedacht, sie sehen gut aus und sind sonstwas, aber wenn es dann ums Arbeiten ging... " Sie selbst hätte vor der Kamera auch eine gute Figur gemacht, wie alte Fotos beweisen. Das fand auch eine Malerin in Breslau und malte ein Porträt von der jungen Lilo. Auch davon handelt eine Geschichte in ihrem Buch.

Denn 20 Jahre später stöberte ihr Mann in Berlin bei einer Atelierauflösung herum, um Farben für seine Frau zu kaufen, und entdeckte dabei ein Bild, das ihm gefiel. Er kaufte es, weil es seiner Frau als junges Mädchen ähnelte, und schenkte es ihr – "ohne zu wissen, dass das wirklich ich war, ist das nicht unglaublich?"

Malerin war Lilo Gwosdz aber eher nebenbei. Einige Bilder zeigen ihren Künstlerfreund Ludwig Meidner, einen bekannten Expressionisten, der unter den Nazis als "entartet" galt. Er floh nach London und wohnte später in Marxheim bei Darmstadt. "In einem Schweinestall mit Plumpsklo, in dem er sehr glücklich war, bis die Stadt Darmstadt ihm eine "richtige" Wohnung gab, die er gehasst hat."

Auch nackte Frauen hängen in ihrer Wohnung, sowohl auf Fotopapier als auch auf Leinwand. Die Geschichte, wie Lilo Gwosdz auf die Idee kam, weibliche Akte zu fotografieren, steht nicht in ihrem Buch. "Das war ihr zu heikel", erklärt Co-Autor und Herausgeber Markus Elsner. Wer ein bisschen bohrt, erfährt Grausiges: Eine Freundin von ihr hatte einen Liebhaber, berichtet Lilo Gwosdz bei Kaffee und Kuchen. Dem wollte sie Nacktfotos schenken und bat ihre Fotografin-Freundin um Aktaufnahmen. Der Ehemann habe später die Bilder entdeckt und seine Frau erschossen.

Lilo Gwosdz: Breslau – Schmerzliches und Herzliches.
Erinnerungen und Erzählungen einer Schlesierin,
Laumann-Verlag, Dülmen 2012,
17,80 Euro
ISBN 978-3-89960386-6

(keh)