Britische Polizei räumt eklatante Schwächen der Videoüberwachung ein
Ein Spezialist der Vereinigung der Polizeichefs hat im Oberhaus zu Protokoll gegeben, dass Videoüberwachung Gewaltverbrechen und spontan begangene Straftaten nicht verhindert. Die Öffentlichkeit sei getäuscht worden über die Effizienz der Kameras.
Graeme Gerrard, bei der britischen Association of Chief Police Officers (ACPO) für Videoüberwachung zuständig, hat bei einer parlamentarischen Anhörung eingeräumt, dass die in Großbritannien schier jeden Meter in Innenstädten überwachenden Kameras Gewaltverbrechen und spontan begangene Straftaten nicht verhindern. Andere Länder seien zwar längst erstaunt, in welchem Ausmaß die Briten durch "Closed Circuit Television" (CCTV) bespitzelt würden, erklärte der Ermittler am Donnerstag im Verfassungsausschuss des House of Lords. Die Abschreckungswirkung sei aber sehr gering. Der Experte der Vereinigung der lokalen Polizeichefs gab zudem zu, dass die Öffentlichkeit über die Effizienz der elektronischen Augen "in die Irre geführt" worden sei.
Schätzungen zufolge haben die Briten in den vergangenen Jahren rund vier Millionen Überwachungskameras im ganzen Königsreich für viele hundert Millionen Pfund installiert. Großbritanniens Datenschutzbeauftragter Richard Thomas sprach deswegen vor über einem Jahr vom "Schlafwandeln" hinein in die Überwachungsgesellschaft. Doch vor allem bei spontan etwa im Trunkenheitszustand begangenen Verbrechen und der Abwehr antisozialen Verhaltens habe sich der technische Beschattungskomplex als nutzlos herausgestellt, erläuterte Gerrard. Wenn Leute in den Innenstädten nachts Ärger loswerden wollten, würden sie nicht an über ihnen aufgehängte Kameras achten. Deren Aufnahmen könnten dann allenfalls noch bei der späteren Strafverfolgung helfen.
Wirkungsvoller ist die Videoüberwachung Gerrard zufolge etwa bei Parkplätzen, wo es um die Verhinderung von Autodiebstahl gehe. Dort würden die potenziellen Täter "rational" denken und beim Sichten von CCTV-Anlagen eher von einem Wagenaufbruch absehen. Der Führungspolizist aus Cheshire forderte zudem eine Verpflichtung für die Betreiber von Überwachungskameras, diese auf gewisse technische Bildstandards zu bringen. Eine Studie des Innenministeriums hatte zuvor ergeben, dass 80 Prozent der Aufnahmen von überaus schlechter Qualität waren und so nicht als Beweismittel dienen konnten. Etwas anders als die mündliche Aussage des ACPO-Vertreters im Oberhaus liest sich freilich die schriftliche Eingabe der Polizeichefs. Demnach "sind die CCTV-Bilder eine große Hilfe bei der Verfolgung von Verbrechen und Unordnung".
Britische Regierungsmitglieder haben die Videoüberwachung immer wieder als Abschreckungsmittel gepriesen und so entsprechenden Druck auf die Bevölkerung ausgeübt, nach mehr Kamerainstallationen zu rufen. Die Opposition nahm die Erklärungen Gerrards daher dankbar auf. David Davis, der bei den Konservativen als potenzieller Innenminister gehandelt wird, monierte, dass die Labour-Regierung die Bürgerrechte ohne ersichtlichen Grund unterwandert habe. Für die Liberalen fügte deren innenpolitischer Sprecher, Chris Huhne, hinzu: "Wir müssen den blinden Enthusiasmus über Überwachung an jeder Straßenecke in diesem Land überdenken." (Stefan Krempl) / (jo)