Britisches Berufungsgericht stemmt sich gegen Softwarepatente

In einer richtungweisenden Entscheidung haben britische Richter den Schutzanspruch eines Australiers auf ein System zur computergesteuerten Erstellung rechtskonformer Unternehmensdokumente zurückgewiesen.

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In einer richtungweisenden Entscheidung haben britische Richter am Freitag den Schutzanspruch eines Australiers auf ein Verfahren zur computergesteuerten Erstellung rechtskonformer Unternehmensdokumente zurückgewiesen. Die am Berufungsgericht in London tätigen Rechtsexperten sahen es als erwiesen an, dass sich das gewünschte Patent sowohl direkt auf eine Geschäftsmethode als auch ein Computerprogramm bezog. Gemäß dem Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) sei die Idee daher nicht patentierbar. Die Richter forderten zudem das Europäische Patentamt (EPA) auf, seinen Kurs bei der Vergabe von Monopolansprüchen klarzustellen. Der Präsident der Münchner Behörde sollte ihrer Ansicht nach eine spezielle Oberbeschwerdekammer einberufen, um die Auslegung des EPÜ wieder auf eine solide Grundlage zu stellen.

Der australische Erfinder Neal William Macrossan hatte das Berufungsgericht angerufen, nachdem ihm sowohl das britische Patentamt als auch eine niedere Gerichtsinstanz ein gewerbliches Schutzrecht auf sein interaktives System absprachen. Dieses übernimmt seinen Angaben nach die Arbeit eines Anwalts oder Justiziars, indem es anhand vorgefertigter Fragen Schritt für Schritt einen rechtliche Vorgaben einhaltenden Antwortsatz für spezielle Geschäftsschreiben verfasst. Diese Methode beziehe sich auf reine Geschäftsabläufe, urteilten die Richter. Ein gesonderter technischer Beitrag sei nicht vorhanden, da das Programm ­- vermutlich in Form einer interaktiven Webseite ­- schlicht auf einem Standard-PC laufe und keine gesonderte Hardware eingesetzt werde. Damit falle Macrossans Einfall eindeutig unter die Ausschlussklauseln des EPÜ.

Artikel 52 des Patentübereinkommens besagt, dass etwa geschäftliche Tätigkeiten und Datenverarbeitungsprogramme "als solche" nicht patentierbar sind. Richter Sir Robin Jacob schreibt dazu im Namen seiner Mitstreiter in dem Beschluss: "Wir denken, dass die Verfasser des EPÜ tatsächlich Computerprogramme in einer praktischen und operablen Form ausschließen wollten. Sie wollten echte Computerprogramme außen vor halten, nicht nur abstrakte Instruktionsreihen". Klare Unterscheidungen müssten daher getroffen werden, da es im Patentgeschäft um "Milliarden" gehe. Jacob hielt gleichzeitig fest, dass sich Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA widersprechen. Dies sei keine Kritik, aber die Zeit und Notwendigkeit für eine einheitliche Auslegung sei gekommen. Dabei müssten Kriterien wie der allgemeine Beitrag einer Erfindung zum Stand des Wissens, die Technizität des Beitrags sowie der Einbezug von Hardware berücksichtigt und näher erläutert werden.

Der Berufungsrichter räumt in der Urteilsbegründung ein, dass es Druck auf die Patentämter von Möchtegern-Patenthaltern gibt. Immer mehr Antragsteller würden in beträchtlichem Ausmaß Rechtsschutz auf Geschäftsmethoden und Software beantragen. Dies erkläre sich teilweise durch die Tatsache, dass in den USA entsprechende Patente ausgehändigt würden. Daher sähen es die Unternehmen als geschäftliche Notwendigkeit an, überall solche Anträge auf gewerblichen Rechtsschutz zu stellen. Jacob warnt an diesem Punkt: "Ein Rüstungswettlauf hat begonnen, in dem Patente die Waffen sind".

Es gebe aber keine "harten empirischen Daten, wonach die liberale Patentlinie in den USA zu mehr Innovation oder Investitionen in den ausgeschlossenen Kategorien geführt hat", konstatiert der Richter. Deutlich sei vielmehr anhand der "Masse an Rechtsstreitigkeiten" in diesen Bereichen in den USA, dass viel Unsicherheit produziert worden sei. Man könnte so nur in dem Fall dafür plädieren, die Ausschlussklauseln auch in Europa aufzuheben, wenn die Ermunterung zum Patentieren und zum Führen von Patentstreitigkeiten Zweck des Patentsystems an sich wäre. Jacob hatte Anfang des Jahres bereits die Erteilung von Patenten auf Software hinterfragt und die USA für ihre Praxis scharf kritisiert.

In der Entscheidung erklärte das Berufungsgericht andererseits ein Patent der Firma Aerotel für gültig, das ein System zur Abrechnung von Telekommunikationsdienstleistungen im Prepaid-Verfahren umschreibt. Da in diesem Fall eine gesonderte Hardware zum Tragen komme, werde eine neue Netzwerkinfrastruktur begründet. Generell sei das System in seiner Natur als "technisch" zu bezeichnen. Das Berufungsgericht hatte sich mit dem Schutzanspruch auseinanderzusetzen, da Aerotel den Konkurrenten Telco wegen Patentverletzung verklagt und dieser mit einer Gegenklage reagiert hatte. Die beiden Parteien hatten sich allerdings bereits vor der Entscheidung der Berufungsrichter in einem außergerichtlichen Vergleich geeinigt.

Ein Sprecher des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) begrüßt das Urteil prinzipiell: "Es wäre ein Desaster gewesen, wenn Macrossan sich durchgesetzt hätte". Dann wären in Europa endgültig die viel beschworenen "amerikanischen Verhältnisse" angebrochen, in denen "alles, was unter der Sonne existiert", patentierbar ist. Der FFII hatte sich im Vorfeld der Entscheidung besorgt gezeigt. Ihm zufolge neigt die EPA-Rechtsinterpretation dazu, allem, was auf einem Computer läuft, "technischen Charakter" zuzuschreiben und vom Patentschutz nicht auszunehmen. Das Berufungsgericht habe das anders gesehen. Die Vergabepraxis des EPA gilt als weitgehend, da sie Schutzansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" mit einschließt und die Hürde des technischen Effekts niedrig hält. Das EU-Parlament monierte jüngst, dass so viele "unerwünschte Patente" gewährt würden.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (axv)