Bürgerrechtler: Medienfreiheit und -vielfalt in der EU nehmen ständig weiter ab

Die Civil Liberties Union For Europe beklagt politischen Druck, hohe Eigentumskonzentration, Verleumdungen und missbräuchliche Klagen gegen Journalisten.

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(Bild: wk1003mike/Shutterstock.com)

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Ein besorgniserregendes Bild der Medienlandschaft in der EU zeichnet der erste Jahresbericht der Civil Liberties Union For Europe ("Liberties") zur Medienfreiheit 2022. 2021 war demnach von einem "ständigen Rückgang der Medienfreiheit und des Medienpluralismus" in der Gemeinschaft geprägt. Einige Regierungen der Mitgliedsstaaten hätten sogar zu einem Handbuch gegriffen, das dem Modell des russischen Präsidenten Wladmir Putin folge, erklärte die Bürgerrechtsorganisation in einer Mitteilung.

Die Autoren des am Montag veröffentlichten Berichts beklagen einen wachsenden politischen Druck auf Medienschaffende, eine hohe Eigentumskonzentration bei Verlagen und im Rundfunk sowie Verleumdungen und missbräuchliche Klagen gegen Journalisten. Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sender verweisen sie auf eine "fehlende Aufsicht".

Liberties hat die Analyse zusammen mit Mitglieds- und Partnerorganisationen in 15 EU-Ländern erstellt. Dazu zählen etwa Belgien, Bulgarien, Frankreich, Irland, Italien, die Niederlande, Polen, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. Für Deutschland war die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) beteiligt.

"Die Bürger verlassen sich auf unabhängige Journalisten, um sich zu informieren und sich eine Meinung zu den wichtigen Themen des Tages zu bilden", heißt es in dem Bericht. "Medienfreiheit bedeutet, dass die Medien unabhängig von staatlicher Einmischung oder Einflussnahme über aktuelle Themen berichten können." Um sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit verschiedene Meinungen hören kann, sei es wichtig, dass nicht nur eine Handvoll Eigentümer die Mehrheit der Verlage und Sender kontrolliere. Viele EU-Länder hätten aber "mit einer hohen Konzentration von Medienbesitz" oder mit repressiven Regierungen zu kämpfen.

"In Ungarn haben regierungsfreundliche Geschäftsleute große Teile des Medienmarktes aufgekauft", lautet ein Beispiel. Zudem habe die Regierung Viktor Orbáns die Spionagesoftware Pegasus der israelischen NSO Group missbraucht, um Journalisten auszuspähen. Selbst in stabileren Demokratien gebe es Probleme mit der Medienvielfalt: In Italien etwa beherrschten nur zwei Medienunternehmen den Markt, eines davon ist Silvio Berlusconis Imperium Mediaset.

"In ganz Europa spüren Medienhäuser – insbesondere aufgrund der Covid-19-Pandemie – wirtschaftlichen Druck beispielsweise durch geringere Werbeeinnahmen", ist der Untersuchung zu entnehmen. Dies betreffe Verlage aller Größenordnungen, vor allem aber kleine und lokale Nachrichtenunternehmen.

In den meisten behandelten Ländern gestalte sich das Umfeld für Journalisten zunehmend unsicher, moniert Liberties. "Dies reicht von Schikanen bis hin zu körperlichen Angriffen." Beobachter aus elf Nationen berichteten über besorgniserregende Fälle von Belästigung und Angriffen auf Journalisten. In den Niederlanden habe die Gewalt im Juli 2021 einen tragischen Höhepunkt erreichte, als der Kriminalreporter Peter de Vries in Amsterdam erschossen worden sei.

Die Attacken beschränkten sich nicht nur auf reale Begegnungen, sondern fänden auch virtuell statt, schreiben die Verfasser. Die meisten Schikanen, denen sich deutsche Journalisten ausgesetzt sähen, fänden online statt. Zusammen mit tätlichen Angriffen etwa im Umfeld von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen habe dies dazu geführt, dass einige Berichterstatter Selbstzensur ausübten und brisante Themen wie Migration mieden.

In Frankreich erschwert es laut dem Bericht das neue Gesetz "über die Wahrung der Grundsätze der Republik" der Presse, über Polizeigewalt zu berichten und diese aufzudecken. Die slowenische Regierung habe versucht, Vorschriften für die Kriminalisierung von Beleidigungen einzuführen, die auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens einschließen. Auch der eingeschränkte Zugang zu Informationen bleibe ein Problem. Polen etwa habe Journalisten den Zugang zur Grenze mit Belarus verweigert.

Als Zeichen der Hoffnung wertet es Liberties, dass die EU-Kommission an einem "Media Freedom Act" arbeite. Schwerpunkte dabei müssten auf der "Unterstützung der redaktionellen Unabhängigkeit von jeder Form öffentlicher oder privater Einmischung" und dem Schutz journalistischer Quellen liegen.

"Die EU sollte gegen das Geschäftsmodell vorgehen, das Anreize für die Verbreitung von Desinformationen schafft", fordern die Bürgerrechtler. Zugleich sollte der Gesetzgeber "das Informations-Ökosystem reinigen, indem er die schädlichen Auswirkungen gezielter Werbung einschränkt". Die Kommission müsse Druck auf die Mitgliedstaaten ausüben, um Gesetze gegen Verleumdung, üble Nachrede und Beleidigung "mit den internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang" zu bringen. Zu klären sei, wie nationale Behörden die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Situationen auslegen sollten, in denen Journalisten im öffentlichen Interesse berichten.

(olb)