Bundesforschungsministerin: ICANN-Wahl kein Musterbeispiel für Demokratie

Ein Interview mit Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn zum aktuellen Stand und den Aussichten bei der Online-Wahl zur Internet-Verwaltung ICANN.

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Fast 150.000 Internet-Nutzer haben bislang ihren Mitgliedsantrag bei der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) eingereicht. Damit haben sie die Anforderungen erfüllt, um bei der ersten "globalen" Wahl zur Bestimmung von fünf Mitglieder der sich um die Verwaltung der Netzadressen-Infrastruktur kümmernden Unternehmung im Oktober dabei sein zu können. Weitere Eintragungen sind nur noch bis zum Montag möglich.

Japan führt nach wie vor in der von vielen Surfern wie die Musik-Charts verfolgten Mitglieder-Liste. Überraschend auf dem zweiten Platz gelandet ist momentan China mit auch schon fast 30.000 Surfern, die sich anscheinend von den Japanern in ihrer Lust aufs "Netzregieren" anstecken haben lassen. "Abgeschlagen" folgen die USA mit etwas über 18.000 Stimmberechtigten. Deutschland hat nur noch knapp 500 Zähler Rückstand zum Geburtsland des Internet und holt ständig auf.

Angesichts der oft geschätzten 200 bis 300 Millionen Menschen auf der Welt, die momentan Zugang zum Internet haben, erscheint die Zahl zwar noch sehr klein. Aber ICANN macht schließlich keine Werbung für die Wahl; und ein Verzeichnis aller Netznutzer, die man mit einer kleinen E-Mail auf das Ereignis aufmerksam machen könnte, gibt es auch nicht.

Kürlauf

Dafür formiert sich – zumindest in Deutschland – langsam eine bunte Kandidatenrunde. Gerüchte über die Auswahl des Spiegel kursieren bereits seit Anfang der Woche. Einen eigenen Kandidaten hat zudem die deutsche Abteilung der Internet Society mit Hans Peter Dittler, Geschäftsführer der Firma Braintec Netzwerk Consulting aus Karlsruhe.

Einen eigenen Kandidaten will heute auch noch die Initiative D21 aufs Podest hieven. Die Lobbyvereinigung von zahlreichen Konzernen aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie setzt auf Jörg Menno Harms, den ehemaligen Chef von Hewlett-Packard Deutschland und langjährigen Leiter des IT-Fachverbands im VDMA/ZVEI. Dem könnte die Werbeagentur Scholz & Friends Berlin, seit kurzem Mitglied bei D21, dann auch gleich eine passende (Netz-) Kampagne auf den Leib schneidern, damit der bisher reichlich dröge "Wahlkampf" noch etwas mehr Farbe bekäme. Chancen auf einen Platz im Direktorium hat nur der Kandidat, der mindestens zwei Prozent der Stimmen aus seiner Wahlregion – hierzulande also Europa – auf sich vereinen kann. Selbstnominierungen für die Kandidatur sind noch bis 14. August möglich.

D21 kam auf die Idee zur Aufstellung eines Kandidaten erst Ende vergangener Woche, als die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn sich eine größere Beteiligung des deutschen Techniker-, Forschungs- und Wirtschaftslagers am ICANN-Wahlprozess wünschte. Dass sich das Bundesforschungsministerium nun mit einiger Verspätung der Sache angenommen hat, liegt daran, dass das eigentlich sich mit ICANN befassende Bundeswirtschaftministerium bisher keine Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich für nötig hielt.

Mehr Transparenz

Stefan Krempl sprach nun für [ heise online] mit Edelgard Bulmahn über ihre Hoffnungen rund um die "Netzverwaltung" und die Wahl der neuen Direktoriumsmitglieder.

Sie haben sich vergangene Woche mit einem Aufruf an die IT-Community hierzulande gewandt, einen deutschen Kandidaten für die ICANN-Wahl zu nominieren. Haben Sie selbst jemand im Auge oder welche Anforderungen müsste ein auch vom Bundesforschungsministerium unterstützter Kandidat erfüllen?

Edelgard Bulmahn: Die Anforderungen sind ja allgemein von ICANN vorgegeben worden. Es muss jemand sein mit "Reputation", der "hart zu arbeiten" bereit ist, der die Architektur des Internet und seine Geschichte versteht, bereits Erfahrungen mit dem Domain Name System hat, international verhandeln kann und genügend Zeit und Energie für die Aufgabe mitbringt. Ich habe jetzt niemand als Person im Auge, der sich nominieren sollte. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Mir ist es wichtig, dass sich möglichst viele an der Wahl beteiligen und deswegen habe ich den Aufruf gestartet, sich noch bis zum Monatsende bei ICANN als Mitglied registrieren zu lassen, um dann auch wählen zu können.

Durch Medienkampagnen oder von Lobbygruppen sind ja bereits einige Namen von potentiellen Kandidaten genannt worden. Sehen Sie darunter schon jemanden, der mit ihrem Segen zu den ICANN-Treffen fahren könnte?

Bulmahn: Ich werde mich nicht auf einzelne Kandidaten öffentlich festlegen. Mein wichtigste Anliegen ist momentan wirklich, dass sich ein möglichst großer Zahl der User an der Wahl beteiligt. Wir stehen in Deutschland da gar nicht so schlecht da und liegen hinter Japan, China und den USA an vierter Stelle der Registrierungen.

Wie wichtig erscheint Ihnen die ICANN-Wahl? In der letzten Zeit war ja viel in diesem Zusammenhang zu hören von einem Test auf die elektronische Demokratie oder von einem Modellversuch fürs transnationale Regieren. Kritiker sehen das ganze dagegen als Farce, weil beispielsweise in Afrika die Voraussetzungen zum Wählen noch kaum gegeben sind.

Bulmahn: Meines Erachtens nach wird hier ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Es ist wichtig, dass mit dieser Wahl die Möglichkeit gegeben wird, dass jeweils ein Vertreter von einem Kontinent dann auch in Zukunft im Direktorium vertreten ist. Diese Wahl muss man auch als Reaktion auf Kritik an dem bisherigen Direktorium und seiner Zusammensetzung, also an der Art und Weise, wie der Verwaltungsrat zunächst bestellt werden sollte, interpretieren. Daher wünsche ich mir, dass die Chance ein Verfahren zu starten, durch das zumindest ein Teil des Direktoriums durch Wahl bestellt wird, auch von möglichst vielen genutzt wird.

Ist ICANN von ihrer Struktur her überhaupt dafür geschaffen, all die in die Unternehmung gestellten Hoffnungen auf ein neues "Regieren ohne Regieren" zu erfüllen?

Bulmahn: Die Untergremien von ICANN haben sich ja alle bereits konstituiert. Das, was jetzt durchgeführt wird, ist sicherlich auch eine Korrektur. Ich sehe darin eine Verbesserung, weil mit der Wahl der Repräsentanten der verschiedenen Kontinente auch ein Stück weit mehr Transparenz hergestellt wird. Transparenz darin, wie überhaupt Entscheidungen bei ICANN getroffen werden. Das lässt alles hoffen, ist aber sicherlich nicht ein Musterbeispiel für eine demokratische Vertretung der Internet-Nutzer.

ICANN ist ja eine Art Zwitterwesen: einerseits wurde die Gesellschaft von der US-Regierung eingesetzt als ein unabhängiges, nicht-kommerzielles Unternehmen mit Sitz in Los Angeles - andererseits gibt es auch einen Regierungsbeirat. Wie groß ist der Einfluss der Regierungsvertreter?

Bulmahn: ICANN ist eine Organisation, die zunächst nicht von einer Regierung bzw. von Regierungen allgemein bestimmt wird. Zum einen werden in ihr in Zukunft die Kontinente vertreten sein, zum anderen werden ihre Unterorganisationen, die sich mit den IP-Adressen, dem Domain Name System sowie generell mit Internet-Protokollen beschäftigen, jeweils drei Vertreter in das Direktorium entsenden. Von daher ist es eine Mischung von unterschiedlichsten Interessenvertretern.

Welchen Einfluss hat der Regierungsbeirat von ICANN?

Bulmahn: Der Beratungsauschuss der Regierungen hat zur Zeit 54 Mitglieder. Er steht allen Regierungen offen und hat eine rein beratende Funktion. In der Praxis ist der ICANN-Vorstand allerdings bisher auf die Vorschläge des Ausschusses eingegangen. Zu größeren Meinungsverschiedenheiten kam es bisher nicht. Dem Komitee gehören derzeit auch eine begrenzte Anzahl internationaler Organisationen an, die ein unmittelbares Interesse an der Politik von ICANN haben, also unter anderem die ITU, die WIPO und die OECD.

ICANN erscheint heute noch als sehr technisch orientiert und auch größtenteils von kommerziellen Interessen dominiert. Wie könnte man dieses Gebilde noch attraktiver machen für den Otto-Normal-Surfer, so dass auch er sich für die Politik von ICANN interessiert?

Bulmahn: Es wird sicherlich noch eine längere Debatte darüber geben, wie man ICANN weiterentwickeln kann. Mir ist nur wichtig, dass man diese Debatte jetzt nicht zum Anlass nimmt, sich gegen die Wahl zu entscheiden. Das fände ich bedauerlich. (Stefan Krempl) / (jk)