Bundesregierung forciert "Revolution in den Amtsstuben"

Was auf den ersten Blick recht lapidar wirkt, könnte in den kommenden Jahren zu einem der größten IT-Projekte in Deutschland avancieren: Die Einführung der bundesweit einheitlichen Behördenrufnummer 115.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Was auf den ersten Blick recht lapidar wirkt, könnte in den kommenden Jahren zu einem der größten IT-Projekte in Deutschland avancieren: Die Einführung einer bundesweit einheitlichen Behördenrufnummer. Geboren wurde die Idee im vergangenen Dezember auf dem "ersten nationalen IT-Gipfel". Ziel des Projekts D115 (PDF-Datei) ist der Aufbau einer komplexen, IP-basierten Call-Center- und Vernetzungsstruktur, die es Bürgern, Unternehmen und Institutionen künftig ermöglichen soll, alle Ämter des Landes unter einer zentralen Einwahlnummer zu erreichen. Einfache Anliegen sollen nach den Vorstellungen der IT-Strategen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene von den Call-Center-Mitarbeitern sofort im Erstkontakt erledigt, komplexere Fragen in einem Verbund aus Service-Centern der verschiedenen Verwaltungsebenen an die zuständigen Stellen elektronisch oder per Telefon zur Beantwortung weitergeleitet werden.

Bei der Bundesnetzagentur hat das Innenministerium (BMI) bereits die Aufnahme der Rufnummer 115 in den Nationalen Nummernplan sowie die Zuteilung an das Ministerium beantragt. Der Termin für eine öffentliche Anhörung zur Vergabe der 115 als behördeneinheitliche Rufnummer wurde von der Bundesnetzagentur auf den 11. September festgesetzt. Federführend bei dem Projekt sind der frühere Präsident des Statistischen Bundesamtes und heutige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Johann Hahlen, sowie der hessische Staatssekretär und CIO (Chief Information Officer) der Landesregierung, Harald Lemke. Das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme (Fokus) wurde damit beauftragt, eine Plattform zu entwickeln, mit der sich die ehrgeizigen Pläne der Politik umsetzen lassen.

Den Auftrag erhielt Fokus vom Frankfurter ISPRAT-Institut (Interdisziplinäre Studien zu Politik, Recht, Administration und Technologie), das sich die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik auf die Fahnen geschrieben hat. Vorstandsvorsitzender des Instituts, dem neben Politikern und Wissenschaftlern auch zahlreiche Firmen angehören, ist der CDU-Politiker Lemke. Großunternehmen, die als sogenannte korporative Mitglieder dem Institut angehören wollen, müssen ein Eintrittsgeld von 100.000 Euro entrichten, für mittelständische Firmen werden 25.000 Euro fällig. Die ISPRAT-Mitgliederliste liest sich wie das "Who is Who" der internationalen IT-Branche: Accenture, Cisco, die Deutsche Telekom, Fujitsu-Siemens-Computer, Hewlett-Packard, IBM oder auch Microsoft sind bei ISPRAT vertreten.

Alle diese Konzerne rechnen sich offenbar gute Chancen aus, ein Stück vom großen Behördenrufnummer-Kuchen abzubekommen. Denn zur Umsetzung des D115-Projekts muss ein riesiger IT-Apparat aufgebaut werden: Über unterschiedliche mediale Zugangskanäle und in verschiedenen Sprachen hereinkommende Anfragen sollen in Backoffice-Systeme weitergeleitet, sämtliche Informationen zu Vorgängen, Zuständigkeiten und Backoffice-Prozessen in lokalen Knowledge-Zentren organisiert, und diese Zentren dann wiederum logisch miteinander verknüpft werden, sodass ein übergeordnetes und flächendeckendes "Wissenszentrum" entsteht. Damit die laut Lemke "größte Revolution in den Amtsstuben seit Einführung des Computers" greift, müssen lokale und zentrale IT-Komponenten installiert, Vernetzungsstrukturen geschaffen, Steuerungs- und Anwendungsprogramme entwickelt und Behördenmitarbeiter geschult werden.

Vorbild ist der vom New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg eingeführte Bürgerservice "Dial 311": Über die Rufnummer 311 können Bürger, Unternehmen und Touristen seit drei Jahren rund 2700 unterschiedliche Dienstleistungen und Informationsangebote von öffentlichen Einrichtungen der Stadt rund um die Uhr und auch am Wochenende in Anspruch nehmen. Das Bürger-Service-Center der New Yorker Stadtverwaltung beschäftigt zu diesem Zweck zirka 800 Agenten in zwei Call Centern, die jeden Anruf innerhalb von 20 Sekunden beantworten müssen und jährlich mehr als 16 Millionen Anfragen bearbeiten. Ist beim First-Level-Support mit Wissensdatenbank und Customer-Relationship-Managementsystem keine abschließende Bearbeitung möglich, werden die Anfragen an Fachbehörden (Second Level) weitergeleitet. Sämtliche 311-Auskünfte, -Meldungen und -Hinweise werden ausgewertet und in Berichtform dem Stadt-Management zur Verfügung gestellt.

Der Zeitplan in Deutschland sieht vor, dass bis Ende 2007 zunächst "die Grundzüge eines Konzeptes zur Erprobung und Einführung der einheitlichen Behördenrufnummer" erarbeitet werden. Danach sollen "die notwendigen zentralen Komponenten entwickelt und verschiedene Pilotprojekte in ländlichen und städtischen Regionen sowie Ballungszentren erprobt werden". Das BMI sucht derzeit unter anderem in Nordrhein-Westfalen "kurzfristig Kommunen, die daran interessiert sind, Modellregion für die geplante einheitliche Behördentelefonnummer 115 zu werden". Neben schon existierenden oder geplanten telefonischen Servicecentern auf Landes- oder kommunaler Ebene wird für eine Teilnahme die "Bereitschaft zu notwendigen Investitionen in den eigenen Bürgerservice" sowie ein "klares politisches Bekenntnis der kommunalen und Landesebene zur Mitwirkung am D115 Pilotbetrieb" gefordert. (pmz)