Bundeswehr-Drohne "Heron" über Afghanistan – keine Hilfe im Gefecht

Das unbemannte Flugzeug kann beobachten, aber nicht schießen. Die Soldaten werfen die Frage auf, ob es nicht "ein Gebot der Moral" wäre, die Drohne zu bewaffnen.

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Von
  • Can Merey
  • dpa

Der Bundeswehr-Pilot fliegt heute im Auftrag der afghanischen Armee. Aus der Luft klärt er eine Straße auf, die Taliban sollen Brücken zerstört haben. Das Flugzeug dreht Kreise über der kargen Landschaft – allerdings 280 Kilometer von seiner Crew entfernt. Die Besatzung besteht aus dem Piloten und einem sogenannten Sensorbediener. Ihr Cockpit ist in einem Container im Feldlager Masar-i-Scharif untergebracht, von dem aus die Drohne des Typs "Heron" via Satellit gesteuert wird. Bewaffnet ist das unbemannte Flugzeug nicht. Der amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière würde das gerne ändern – und Kampfdrohnen anschaffen.

Die Drohne Heron rollte an den Start.

(Bild: Luftwaffe)

Die beiden Soldaten – der Pilot im Fliegeroverall rechts, der Sensorbediener links – sitzen viel entspannter in ihrem fensterlosen Container-Cockpit, als das in einem Kampfjet der Fall wäre. Hier wirken keine Fliehkräfte, sondern nur eine effektive Klimaanlage. Konzentriert blicken sie auf die fünf Bildschirme vor ihnen, auf die die "Heron" (englisch für Reiher) ihr Video in Echtzeit überträgt. Deutlich ist zu erkennen, dass die Brücken intakt sind. Die Bilder zeichnet ein Festplattenrekorder auf, wie er auch am heimischen Fernseher stehen könnte. Zwischen den beiden Arbeitsplätzen steht ein schwarzes Telefon mit einer abhörsicheren Leitung.

Dass der Pilot – im Fachjargon: Der "Arial Vehicle Operator" (AVO) – die Drohne per Joystick steuert, ist zumindest bei der "Heron" ein Mythos. Er lenkt sie mit der Computertastatur vor ihm, und eigentlich kann die "Heron" das meiste sowieso alleine – theoretisch sogar selbstständig zum Heimatflughafen fliegen und landen, auch wenn die Piloten das dann doch lieber selber erledigen.

Einen Joystick hat nur der Sensorbediener, der damit die Kamera ausrichtet, die auch Wärmebildaufnahmen machen kann. Leicht anachronistisch wirkt die manuelle Fernbedienung, mit der die Drohne bei Sichtkontakt auch geflogen werden kann – und die aussieht, als hätte sie jemand aus dem Hobby-Laden für ferngesteuerte Modellflugzeuge mitgebracht.

Die "Heron" selber sieht aus wie ein überdimensioniertes Modellflugzeug. Knapp 17 Meter Spannweite hat die graue Drohne, an der vorderen Oberseite erhebt sich ein Cockpit-ähnlicher Buckel, der aber nicht verglast ist und keinem Piloten Platz bietet. Unten ist die Kamera angebracht. Am Heck sorgt ein Propeller für die 150 Stundenkilometer Reisegeschwindigkeit. Das Fluggerät hat zwei Seitenruder, falls eines ausfallen sollte, auch die Höhenruder sind doppelt. Unterhalb der Cockpit-Attrappe prangt ein schwarzes Kreuz mit weißer Umrandung, das Hoheitszeichen der Bundeswehr.

Die "AVO" sind alle Piloten auch im herkömmlichen Sinn und fliegen bemannte Flugzeuge oder Hubschrauber bei der Bundeswehr. Für die "Heron" wurden sie zusätzlich in Israel ausgebildet. Drei "Heron" aus israelischer Produktion hat Deutschland geleast, insgesamt 480 Stunden Flugzeit über Nordafghanistan stehen der Truppe im Monat zur Verfügung. Die Firma, die die "Heron" bereitstellt und wartet, hat dafür 20 Mitarbeiter an den Hindukusch entsandt. Nur 29 Soldaten – darunter acht Piloten – aus dem schleswig-holsteinischen Fliegerhorst Jagel werden in Masar-i-Scharif für den "Heron"-Einsatz benötigt.

Oberstleutnant Ralf E., der in Afghanistan früher im Cockpit eines Aufklärungs-Tornados ("Recce-Tornado") der Luftwaffe saß, ist einer der Drohnen-Piloten. Die "Heron" hat aus seiner Sicht viele Vorteile – und eher weniger spielt dabei die Gefährdung der Crew in einem bemannten Flugzeug eine Rolle. "Ob ich nun bemannt oder unbemannt fliege, macht hier keinen Unterschied, weil die Aufständischen einfach nicht die Waffen haben, um uns runterzuholen."

Ausschlaggebend sei die Dauer, die die Drohne in der Luft verbringen kann, sagt der Offizier. "Ich bin ja nun hier in Afghanistan auch mit dem Recce-Tornado geflogen, und da habe ich halt eine Stehzeit von 30 Minuten über dem Einsatzgebiet. Jetzt habe ich eine Stehzeit von 27 Stunden." In sechs Kilometern Höhe kann die "Heron" dabei vom Boden aus weder gesehen noch gehört werden – während sie selbst ungestört ihren Video-Stream senden kann.

Aus den Bildern der "Heron" können die Soldaten viel lesen. Im besten Fall sogar, wo ein, zwei Tage vorher die Erde umgegraben und eine Sprengfalle gelegt wurde. "Schöner ist natürlich, wenn man die Leute tatsächlich beim Buddeln erwischt", sagt der Oberstleutnant. Die Koordinaten würden an Kampfmittelbeseitiger weitergegeben, die den Sprengsatz unschädlich machten. Beim Abzug der Bundeswehr aus Kundus sicherte die "Heron" die Fahrzeuge aus der Luft. "Wir fliegen auch Konvoischutz. Wir begleiten Patrouillen, wenn sie am Boden sind, teilweise auch deutsche Soldaten im Gefecht."

Im Gefecht zeigt sich, was die "Heron" in der von der Bundeswehr geleasten Version nicht kann: Bedrängten Soldaten am Boden mit Waffen beistehen. Seit Monaten dreht sich in Deutschland die Debatte darum, ob die Bundeswehr bewaffnete Drohnen braucht. Gegner wenden unter anderem ein, die Hemmschwelle für militärische Einsätze sinke, wenn man keine Soldaten, sondern nur noch Drohnen schicken müsse. Der ferngesteuerte Beschuss per Knopfdruck – ähnlich wie bei einem Computerspiel – mache das Töten zu einfach.

Bewaffnete Drohnen haben ihr schlechtes Image den USA zu verdanken. Deren Geheimdienst CIA setzt etwa den Typ "Predator" seit Jahren im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan ein, um mit gezieltem Raketenbeschuss Extremisten zu töten. Die Opfer werden ohne Gerichtsurteil aus der Luft hingerichtet, immer wieder sterben dabei auch Zivilisten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert: "Die USA haben beim Einsatz bewaffneter Drohnen in Pakistan immer wieder Völkerrecht gebrochen. Bei einigen Angriffen kann es sich sogar um Kriegsverbrechen handeln."

Oberstleutnant E. sieht keine Parallelen zu einem möglichen Kampfdrohnen-Einsatz durch die Bundeswehr. "Die Diskussion ist sehr behaftet durch unsere amerikanischen Freunde, die anscheinend gerne mal nach Pakistan fliegen und dort – so schreibt zumindest die Presse – irgendwelche teilweise auch illegitimen Ziele bombardieren sollen", sagt er. "Ich glaube nicht, dass wir eine Nation sind, die erst schießt und dann fragt." Im Afghanistan-Einsatz gälten ohnehin für bemannte und unbemannte Flugzeuge dieselben strengen Regeln, bevor aus der Luft angegriffen werden dürfe. "Man muss fünf Prüfschleifen durchlaufen, bis es dazu kommt, dass man eine Waffe auslösen kann."

Im deutschen Einsatzgebiet in Nordafghanistan setzen nur die USA bewaffnete Drohnen ein. Die "Warrior Alpha" ist baugleich mit der "Predator" der US-Luftwaffe, wird aber vom amerikanischen Heer verwendet. Außer dem Namen gibt es noch einen Unterschied: Während die Drohnen-Piloten der Air Force in der Heimat sitzen, von dort aus Ziele angreifen und nach der Schicht nach Hause fahren, sind die der Army – wie die der Bundeswehr – im Einsatzgebiet stationiert.

Für Ralf E. ist es nicht das gleiche, ob er die Drohne von Jagel oder von Masar-i-Scharif aus fliegt. Im Einsatzgebiet sei er näher am jeweiligen Auftraggeber dran, der das Fluggerät anfordere. "Teilweise muss ich mit dem Mann auch wirklich physikalisch mal reden und Absprachen treffen", sagt er. "Das ganze Drumherum (am Einsatzort) gehört natürlich mit dazu." Unterschiedlich sei schließlich "die Mentalität, mit der man an die Mission rangeht".

Die "Warrior Alpha" steht ebenfalls im Feldlager Masar-i-Scharif, im selben Hangar wie die "Heron". Auf den ersten Blick ähneln sich die grauen Flugzeuge zumindest entfernt, der wichtigste Unterschied: Die US-Drohne hat unten an den Flügeln Halterungen für Raketen.

Dass die Bundeswehr keine Kampf-Drohnen hat, heißt nicht, dass nicht trotzdem auf deutschen Befehl aus der Luft heraus getötet wird. Etwa im Fall des Luftschlags von Kundus im September 2009, als US-Kampfjets auf Anforderung von Bundeswehr-Oberst Georg Klein gekaperte Tanklastzüge angriffen. Damals wurden neben Aufständischen auch zahlreiche Zivilisten getötet. Oberst Klein soll später angegeben haben, damals unter Zeitdruck entschieden zu haben – weil er nicht habe absehen können, wie lange die US-Kampfbomber für den Einsatz zur Verfügung standen.

Mit einer bewaffneten Drohne könne man vor einem Angriff "eine viel fundiertere Entscheidung treffen" als aus einem Kampfjet heraus, sagt der Oberstleutnant. "Ich kann diese Leute natürlich über Stunden beobachten." Bei einem bemannten Flugzeug mit seiner begrenzten Einsatzzeit "muss die Entscheidung beispielsweise innerhalb von 15 Minuten fallen". Das sei besonders heikel, wenn der Unterschied zwischen Freund und Feind – wie in Afghanistan, wo nicht nur Aufständische Waffen tragen – schwer auszumachen sei.

"In dem Moment, wo wir sehen, die schießen auf die afghanische Armee, auf alliierte Partner oder auf unsere eigenen Kräfte, erst dann kann ich mir sicher sein, das ist ein Böser", sagt Ralf E.. "Ist es dann nicht ein Gebot der Moral, in diesem Moment helfen zu können?" Mit der unbewaffneten Drohne sei das nicht immer möglich. "Wir gucken dann teilweise nur in die Röhre. Wir können natürlich sicherlich einwirken über Funk und sagen, Vorsicht, aus der Richtung kommt das Feuer zurück, und man hat dann seine Möglichkeiten. Das funktioniert auch meistens. Aber halt nicht immer."

Im Notfall muss dann Luftunterstützung durch Kampfhubschrauber, Jets oder eben bewaffnete US-Drohnen angefordert werden – wobei wertvolle Zeit verloren geht. "Mit der unbewaffneten Drohne stehen Sie in dem Dilemma, dass dann, wenn etwas passiert, wenn die Soldaten beschossen werden, Sie zunächst mal am Bildschirm sitzen und das mit ansehen müssen", sagt der Kommandeur der internationalen Truppen in Nordafghanistan, Bundeswehr-Generalmajor Jörg Vollmer. "Mit der bewaffneten Drohne können wir zeitgerecht reagieren."

Bei der bewaffneten Drohne müsse es nicht darum gehen, den Gegner zu töten, sagt Ralf E. – "wir hatten oftmals den Fall, dass es zu Hinterhalt-Situationen gekommen ist, wo man sich eine Bewaffnung gewünscht hätte. Und wir reden jetzt nicht von den 500- oder 2000-Pfund-Bomben, sondern wirklich über sehr kleine, feine Wirkmittel, mit einer Wirkladung vielleicht zwischen drei und fünf Kilo. Und man muss das ja nicht immer auf den Menschen werfen. In vielen Situationen wäre es durchaus auch denkbar, dass man deeskalierend einfach den berühmten Warnschuss abgibt – und wenn sich das Ganze beruhigt, dann hat man ja auch sein Ziel erreicht." (anw)