Bundeswehr richtet sich auf "Network Centric Warfare" aus

Experten meinen, Network Centric Warfare sei eine wichtige Grundorientierung in der "Neuausrichtung der Bundeswehr als interoperable, multinationale Joint Force".

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Ein Stichwort geistert seit einigen Jahren durch die Militär-Community: Netzwerkzentrierte Kriegsführung -- oder auch "Network Centric Warfare". Oberst Ralph Thiele, Kommandeur des Zentrums für Analysen und Studien in Waldbröl, dem Think Tank der Bundeswehr, strich auf der der Tagung "Network Centric Capabilities und der Transformationsprozess" der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik heraus, dass Network Centric Warfare eine wichtige Grundorientierung in der "Neuausrichtung der Bundeswehr als interoperable, multinationale Joint Force" sei. Es gehe darum, "moderne, preiswerte und leistungsfähige IT-Technologie mit Wissen mit Blick auf Relevanz und Fähigkeiten zu verbinden". Dabei sei es wie in der Formel 1: "Wer schneller fährt, setzt den Standard."

Die USA widmen sich, so Thiele, "mit großer Energie" dem Thema und setzen so neue Standards in der Software, Hardware und Organisation. In der Tat hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf seiner Prioritätenliste für das Jahr 2004 zwei Punkte ganz nach oben gesetzt: erstens den erfolgreichen weltweiten Krieg gegen den Terror und zweitens die Kampfkraft im Verbund zu stärken.

Wie Brigadier General Vonley J. Warner, Direktor für Strategie und Analysen beim U.S. Joint Forces Command, sagte, sei die neue Doktrin jedoch nicht das Ergebnis weiser Einsicht, sondern von Versagen: Erst das militärische Debakel in Südwest-Asien habe dem Militär die Augen geöffnet. Navy- und Airforce-Piloten konnten nicht miteinander kommunizieren, es hatte keine gemeinsamen Verfahren und Konzepte gegeben. Der Kongress forderte deshalb mehr "Jointness", mehr Zusammenarbeit im Verbund, und mehr Interoperabilität. Das gute Budget und die gute personelle Ausstattung befähige das Militär jetzt zu schnellen Fortschritten, konstatierte Warner zufrieden.

Als Vorbild für netzwerkzentrierte Kriegsführung gilt der Fischschwarm, in dem einzelne Fische gleichzeitig auf Umweltveränderungen reagieren. Voraussetzung dafür ist, dass "jeder einzelne, jedes Team die optimale Information zur Erfüllung seiner Aufgabe hat", so Warner. Angesichts der Informationsfülle räumte er aber ein: "Das ist sehr schwer zu erreichen." Er gab zu, dass die Industrie noch nicht in der Lage sei, ein Produkt zu liefern, das aus einer großen Menge von Einzelinformationen die richtigen Informationen für den Einsatz in Echtzeit herausfiltern könne.

Oberst i.G. Gerhard Schulz vom Führungsstab im Bundesverteidigungsministerium schilderte erste Erfahrungen der Bundeswehr mit dem neuen Konzept seit 2001. Man habe erkannt, dass "Network Centric Warfare" nicht als "Nebenaufgabe" zu lösen sei. Auch, so ergänzte Warner, gehe es nicht nur um einen technikzentrierten Wandel, sondern um einen Kulturwandel.

Erfahrungen konnten die USA gemeinsam mit ihren Deutschland, Großbritannien, Kanada, Australien und Frankreich bereits im Mai 2003 sammeln, als sie im Seminarstil das Kriegsspiel "Pinnacle Impact 03" durchführten. Darin erprobten die Teilnehmer neue Einsatzkonzepte für Operationen, bei denen alle Teilstreitkräfte engagiert sind. Ein Problem für die Partner seien jedoch der unterschiedliche Umgang mit eingestufter Information gewesen: Geben die USA Informationen nur ausnahmsweise heraus, halten die Partner die Informationen nur ausnahmsweise zurück. Der funktionierende Informationsaustausch sei bei Koalitionsoperationen "elementar bedeutsam", folgerte die Bundeswehr.

Umdenken sei auch bei der Beschaffung nötig, betonte Schulz. Ein schnelles Prototyping auf Basis eines systematischen Analyseprozesses in einem dauerhaften experimentalen Umfeld sei besser als riesige Hardware-Ausgaben, die dann bis zu zwanzig Jahren im Inventar geführt würden, aber nicht zu den aktuellen Aufgaben passten. Dafür sei beim Prototyping eine "gewisse Risikotoleranz" nötig. In den USA habe sich bereits die Einsicht durchgesetzt, dass eine schnelle 80-Prozent-Lösung besser sei als eine späte 100-Prozent-Lösung.

Das Bundesverteidigungsministerium hat laut Schulz inzwischen ein nationales Konzept für Concept Development & Experimentation "im Konsens gezeichnet", das bald der Öffentlichkeit vorgestellt werde. Es begründe, warum die Bundeswehr Teil einer Aufbauorganisation sein müsse. Sowohl ein Entwicklungs-, als auch ein Experimentallabor sollen für eine raschere Entwicklung sorgen. Schulz forderte, dass Bundeswehr und Industrie nach US-Vorbild enger zusammenarbeiten sollten. In den USA säße die "Creme de la Creme der US-Industrie an einem Tisch mit dem Militär", um in einem engen Dialog schnell auf die Bedürfnisse das Militärs reagieren zu können. Schulz forderte, die Bundeswehr müsse hier "legalistische Bedenken abbauen". (Christiane Schulzki-Haddouti) / (wst)