Charta zum Schutz der Wissensallmende verabschiedet

Eine internationale Initiative prominenter Forscher, Künstler und Experten stemmt sich im Interesse der Innovationskraft gegen die permanente Ausweitung des Systems geistigen Eigentums.

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Eine internationale Initiative prominenter Forscher, Künstler und Experten stemmt sich im Interesse der Innovationskraft gegen die permanente Ausweitung des Systems geistigen Eigentums. Mit der so genannten Adelphi-Charta wollen die Fachleute der Politik einen Kriterienkatalog an die Hand geben, um einen weiteren Raubbau an der Wissensallmende beziehungsweise der Public Domain zu verhindern. Ohne die menschliche Fähigkeit, Ideen und Wissen zu generieren, "stagnieren Individuen und Gesellschaften", heißt es in dem Grundsatzpapier. Imagination und Kreativität würden aber auf dem freien Zugang zu und Nutzungsrecht an Informationen beruhen. Entgegen ihrer ursprünglichen Intention hätten sich die Rechte rund ums geistige Eigentum aber zu einer Blockade des Wissensaustauschs entwickelt, was ein Gegensteuern erfordere.

Die Charta ist das Ergebnis der Beratung einer Kommission, die bei der traditionsreichen, 1754 gegründeten britischen Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures & Commerce (RSA) angesiedelt ist. Der Kommission gehören Bürgerrechtler wie Cory Doctorow von Electronic Frontier Foundation (EFF) genauso an wie der Nobelpreisträger und Genomforscher Sir John Sulston oder die US-amerikanischen Rechtsprofessoren James Boyle und Lawrence Lessig, die sich seit langem für einen geistigen Umweltschutz sowie alternative Urheberrechtsschutzsysteme wie Creative Commons stark machen. Mitglied der Kommission ist auch der brasilianische Kultusminister und Musiker Gilberto Gil, der mit für die Open-Source-Strategie seines Landes verantwortlich zeichnet.

"Die Expansion in der Weite, Tiefe und im Zeitraum des Rechts hat über die vergangenen 30 Jahre in ein Regime geistigen Eigentums gemündet, das sich radikal von modernen technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Trends abgesondert hat", warnen die Experten in ihrem Dokument. "Das gefährdet die Kette an Kreativität und Innovation, von der wir und künftige Generationen abhängen." Tatsächlich scheint etwa mit der Verlängerung des Copyrights von 28 Jahren vor zwei Jahrhunderten auf inzwischen mehr als das Doppelte oder beispielsweise der Patentierung von Geschäftsmethoden und Ideen oder zahlreicher den Menschen betreffender, biotechnologischer Erfindungen die theoretisch angestrebte Balance im System geistiger und gewerblicher Schutzrechte längst verloren gegangen zu sein.

Gemäß der Adelphi-Charta hilft nur noch rasches Gegensteuern. So fordern die Spezialisten etwa ein Verbot der Ausweitung des geistigen Eigentums auf "abstrakte Ideen, Fakten oder Daten", obwohl die EU in diesem Bereich schon lange vorgeprescht ist mit ihrer Richtlinie zum Schutz von Datenbanken. Verhindern will die Kommission zudem den patentrechtlichen Monopolschutz für "mathematische Modelle, wissenschaftliche Theorien, Computercode, Lehrmethoden, Geschäftsprozesse sowie Methoden der medizinischen Diagnose, Therapie und Chirurgie". Auch Softwarepatente gehören allerdings in den USA bereits zum Alltag, sind aber heftig umstritten und stehen im Fokus einer geplanten Rechtsreform. In Europa werden Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" vergeben, auch wenn eine "Harmonisierung" des Systems über eine Richtlinie zunächst gescheitert ist.

Die Autoren des Papiers machen sich ferner stark für "verhältnismäßige" Schutzfristen im Urheber- und Patentrecht sowie für die gleichzeitige Förderung von zusätzlichen Innovationsanreizen mithilfe von Open-Source-Softwarelizenzen und "Open Access"-Initiativen für eine freie Nutzung wissenschaftlicher Literatur. In Entwicklungsländern müssten zudem die dortigen sozialen und ökonomischen Strukturen beim gewerblichen Rechtsschutz berücksichtigt werden. Regierungen legen die Advokaten des Allgemeinguts nahe, nicht länger in der Stärkung des geistigen Eigentums automatisch einen Gewinn zu sehen. Jede weitere Verschärfung in diesem Bereich bedürfe einer rigorosen Analyse und müsse öffentlich breit und transparent diskutiert werden. (Stefan Krempl) / (jk)