Chef von Microsoft AI hält Inhalte im Internet für "Freeware"

Laut Mustafa Suleyman gibt es einen sozialen Vertrag, der die Nutzung von Inhalten im Netz erlaubt – auch für KI-Training. Dazu erntet er viel Widerspruch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 36 Kommentare lesen

Mustafa Suleyman auf dem Aspen Ideas Festival

(Bild: NBC / YouTube)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nico Ernst

Seit März 2024 ist Mustafa Suleyman CEO der eigenständigen Firma Microsoft AI. Vor wenigen Tagen hatte der Mitbegründer von Google DeepMind seinen ersten großen Auftritt auf der Konferenz "Aspen Ideas Festival" in Colorado. Dort sorgte er im Rahmen eines langen Interviews für einen großen Nachhall bei US-Medien.

Befragt von CNBC-Moderator Ross Sorkin sparte Suleyman nicht mit steilen Thesen zum gegenwärtigen Stand der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Vor allem seine radikalen Äußerungen zur Rechtmäßigkeit der Erfassung aller öffentlich verfügbaren Inhalte des Internets sorgen für Aufsehen. "Für Inhalte, die schon im offenen Web stehen, gab es seit den 1990er Jahren den sozialen Vertrag, dass 'Fair Use' gilt. Jeder kann es kopieren, daraus Neues machen, es reproduzieren - wenn man so will, war das Freeware, das war das Verständnis."

Suleyman machte nur eine Einschränkung: "Es gab eine davon abgetrennte Kategorie, bei der eine Webseite, ein Verleger, oder ein Medienunternehmen ausdrücklich sagte, durchsuchen und sammeln sie bei uns nicht, außer für den Zweck, einen Index zu erstellen, sodass andere diese Inhalte finden können. Das ist eine Grauzone." Auf die Nachfrage, was mit dieser von Suleyman behaupteten Grauzone gemeint sei, antwortete der Manager: "Bisher haben einige Leute diese Daten genommen, ich wüsste nicht, wer das nicht getan hätte, und das wird jetzt gerichtlich geklärt." Moderator Sorkin hakte nicht nach, wie dieser von Suleyman vorgebrachte "soziale Vertrag" aussehen sollte. Weitere Fragen etwa von Urheber- und Persönlichkeitsrechten wurden im Kontext der Behauptung, das Internet bestehe aus "Freeware" nicht angesprochen. Die Äußerungen von Suleyman finden sich in einem YouTube-Video von NBC ab Minute 14:30.

Welches Konzept genau hinter dem hier verwendeten "Fair Use"-Begriff steht, wird in dem Interview nicht thematisiert. Im US-Vervielfältigungsrecht ("Copyright") ist "Fair Use" eine Erlaubnis zur Nutzung fremder Inhalte für ganz bestimmte, etwa bibliographische oder künstlerische Zwecke. Das US-Medium The Verge weist darauf hin, dass Fair Use aber nicht durch einen sozialen, also ungeschriebenen, Vertrag, sondern Gerichten gewährt wird, wenn Nutzer sich darauf berufen möchten. Wer "Fair Use" geltend machen möchte, muss genau definieren, wann eine sonst strafbare Urheberrechtsverletzung erlaubt sein soll.

Hinter Suleymans Behauptungen stecken der von der Branche auch zugegebene enorme Datenhunger der großen KI-Unternehmen sowie mehrere Rechtsstreitigkeiten. So hatte unter anderem die New York Times gegen OpenAI geklagt, weil ChatGPT mit bestimmten Prompts auch Artikel der Zeitung, die sich hinter der Paywall befinden, nahezu identisch wiedergibt. Andere Medienunternehmen, etwa die Agentur Reuters, lizenzieren inzwischen ihre Inhalte für KI-Training. Selbst frei verfügbare Inhalte sind inzwischen so weit abgegrast, dass OpenAI mittels der Transkriptionssoftware "Whisper" Tausende Stunden YouTube-Videos in Text verwandelt haben soll, um mehr Trainingsdaten zu erhalten.

(nie)