China-Comeback: Aktien von Alibaba, Baidu, Tencent & Co. gehen durch die Decke

Alibaba, Baidu, Tencent & Co. galten jahrelang wegen staatlicher Regulierung als uninvestierbar. Jetzt erleben die Aktien ein enormes Comeback.

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Finanzmarkt

(Bild: katjen/Shutterstock.com)

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Es gibt Dinge, die ereignen sich alle paar Jahre einmal an den Kapitalmärkten – oder vielleicht nur einmal im Jahrzehnt. Ein solches singuläres, höchst ungewöhnliches Ereignis spielt sich seit gut einer Woche im Reich der Mitte ab. Die chinesischen Aktienmärkte – und damit auch die einstigen Vorzeigekonzerne Alibaba, Baidu, Tencent & Co. – haussieren, als wäre es wieder 2020.

Allein innerhalb von einer Woche legten die Superstars der chinesischen Internet- und Techindustrie allesamt zweistellig zu. Der maßgebliche CSI 300 Index konnte in den fünf Handelstagen bis Montag mehr als 20 Prozent an Wert gewinnen. Dank des enormen Kursschubs haben sich China-Aktien in der Performance der letzten Tage sogar vor die Pendants aus der Wall Street geschoben.

Der maßgebliche Index der Hongkonger Börse Hangseng notierte per 30.9. bereits um 25 Prozent höher als zu Jahresbeginn und konnte damit die amerikanischen Leitindizes Nasdaq Composite und S&P 500, die vor allem von den "Magnificent 7"-Aktien angetrieben werden, sogar hinter sich lassen. Seit Jahresbeginn haben die wertvollsten Internet- und Technologiekonzerne aus China wie folgt zugelegt (Stand: Schlusskurse per 30.9.): Meituan: + 116 Prozent, JDcom +52 Prozent, Tencent: + 50 Prozent, Alibaba: + 47 Prozent, Xiaomi: 45 Prozent.

Zum Vergleich: An der Wall Street können nur Nvidia (+ 152 Prozent) und Meta (+65 Prozent) seit Jahresbeginn ähnlich spektakuläre Kurszuwächse verbuchen.

Wie ist der plötzliche Aufschwung nach jahrelanger bleierner Underperformance zu erklären? Kurzfristig mit einer 180-Grad-Wende der chinesischen Regierung, die Anfang der vergangenen Woche zunächst ein beachtliches Stimulus-Paket in Höhe von 140 Milliarden US-Dollar schnürte, um den seit Jahren schwächelnden Immobiliensektor zu stützen. Nur zwei Tage später legte auch die People’s Bank of China mit einer Zinssenkung nach. Die Botschaft scheint klar: "Whatever it takes" — was auch immer nötig ist, um das nach Indien zweitbevölkerungsreichste Land der Welt konjunkturell wieder anzuschieben, dürfte von der Regierung in Peking getan werden, um nachhaltiges Wachstum sicherzustellen.

Das schließlich hat China zu einer in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Aufholjagd verholfen. Nachdem sich auch das Reich über weite Strecken des 20. Jahrhunderts der kommunistischen Führung und Lehre verschrieben hatte, startete ab den späten 70er-Jahren die schrittweise Öffnung für Kapitalismus bei weiterhin strenger staatlicher Kontrolle. Unter diesem Sonderweg eines Staatskapitalismus unter kommunistischer Führung gelang China "die gewaltigste Wachstumsstory der Welt" titelte das Manager Magazin – nämlich in den späten 90er- und Nullerjahren –, die zwar ohne jede Frage maßgeblich die Weltwirtschaft verändert hat, an der einheimischen Börse indes weitgehend vorbeigegangen ist.

Profitiert haben im BRIC-Zeitalter an der Börse jedoch oft auch die anderen – etwa die Rohstoff-Exporteure, die in den Schwellenländern einen Jahrhundert-Boom erlebten. Und natürlich auch der Westen, der neue Absatzmärkte erschlossen hatte, die Technologie-Superstars wie Apple und Tesla Hyperwachstum bescherten.

Aus der Finanzkrise 2009 indes ging China als eine andere Nation hervor. Das Wirtschaftswunder in der originären Form schien sich nicht zu wiederholen. Deutliches Wachstum ja, aber die Magie der früheren Jahre ging verloren. Indien wurde eines Tages zum neuen China – und das Wachstum zog weiter.

Dass China als notorischer Underperformer in der Geldanlage komplett abgeschrieben schien, war zuletzt fast täglich in immer größeren Bewertungsabschlägen der hiesigen Techkonzerne zu den Lieblingen der Wall Street zu besichtigen. Wie lange kann ein solches Missverhältnis anhalten? Michael Burry, seit dem Bestseller und der Hollywood-Verfilmung von "The Big Short" weltweit bekannter Hedgefondsmanager mit Contrarian-Ansatz, hatte seine Anti-Wette bereits im zweiten Quartal platziert. Er hat fast die Hälfte seines Portfolios mit chinesischen Internetaktien ausgestattet – Alibaba, Baidu, JD.com und andere.

Die Wette hat sich eindrucksvoll bezahlt gemacht – zumal inzwischen auch andere Wall-Street-Größen im ganz großen Stil auf den asiatischen Riesen setzen. Der amerikanische Hedgefondsmanager David Tepper etwa ist äußerst optimistisch. Er erklärte Ende vergangener Woche gegenüber CNBC, er kaufe so ziemlich "alles", was im China-Tech-Kontext stehe, Aktien, EWTFs, "alles". "Wir haben noch mehr China-Aktien gekauft", sagte Tepper am Freitag.

Und die jüngste Performance gibt den Wall-Street-Ikonen recht. Allein: Ist das Comeback wirklich real und nachhaltig? Glaubt man dem Investment-Research-Dienst Gavekal Dragonomics, könnte die massive Rally der vergangenen Handelstage der Auftakt einer größeren Aufwärtsbewegung sein.

"In den letzten beiden Jahrzehnten gab es in China fünf große Aktienrallies, von denen drei durch Konjunkturimpulse angeheizt wurden. Wir könnten am Anfang einer vierten Konjunkturrally stehen, die Gewinne von 50-100 Prozent erwarten lässt", rechnet der in China ansässige Analyst Thomas Gatley vor. Chinesische Anleger seien bekannt für ihre "Alles oder Nichts"-Mentalität: Chinas Börsen seien bekanntermaßen ein "Fest- oder Hungersnot"-Aktienmarkt erklärt Gatley mit Blick auf fünf Megarallies, die sich seit 2005 ergeben hätten. Vier davon wären in einem Zeitraum von acht bis 13 Monaten verlaufen.

Entsprechend groß ist die Hoffnung bei Anlegern auf eine Fortsetzung der Kurszuwächse der chinesischen Tech- und Internetwerte. "Die Kombination aus monetärer, fiskalischer und direkter Marktunterstützung ist, sofern sie tatsächlich umgesetzt wird, so ziemlich eine Garantie dafür, dass der Anstieg der Aktien anhält", lehnt sich der Analyst gegenüber dem Finanzportal Marketwatch recht weit aus dem Fenster. Die kommenden Monate werden es zeigen.

(emw)