Chiphersteller global betroffen: 3M-Chemieschleuder in Belgien teils geschlossen

Das 3M-Chemiewerk bei Antwerpen hat die Umwelt jahrzehntelang mit PFAS verseucht. Die Folgen verursachen Hunderte Millionen Euro Kosten.

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(Bild: c't/Christof Windeck)

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Der US-Konzern 3M darf sein belgisches Chemiewerk in Zwijndrecht bei Antwerpen auf unbestimmte Zeit nicht weiterbetreiben. Grund ist die jahrzehntelange Freisetzung von per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), da 3M bis dato keine ausreichende Wasseraufbereitung hat und entsprechende Chemikalien in die Luft verdunsteten. Der Produktionsstopp betrifft offenbar insbesondere Chipfertiger.

Das Verbot beruht auf dem härteren Vorgehen der EU gegen PFAS – eine Gruppe tausender Chemikalien, die aufgrund ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden, feuerhemmenden, extrem stabilen und damit sehr widerstandsfähigen Eigenschaften kaum abbaubar sind.

Sie reichern sich im Blut und in den Organen von Menschen an und stehen im Verdacht, das Immunsystem zu schwächen und Krebs hervorzurufen. In erster Linie schädigen sie Leber und Schilddrüse, zudem wurden in Studien auffällig hohe Sterberaten bei Nachkommen mit hoher Belastung beobachtet.

Das 3M-Logo findet man längst nicht nur an Kühlflüssigkeiten. Von der Firma stammt unter anderem der Markenname Post-it für die kleinen gelben Klebezettelchen.

(Bild: 3M)

Schon im Herbst 2021 gab es ein temporäres Produktionsverbot einzelner Fertigungslinien im belgischen 3M-Chemiewerk. Seit Anfang März 2022 stehen alle PFAS-bezogenen Fertigungsprozesse auf unbestimmte Zeit komplett still, da in der ganzen flämischen Region zu hohe PFAS-Werte gemessen wurden. Das geht aus einem ersten Zwischenbericht einer eigens gegründeten flämischen PFAS-Kommission hervor. Flandern umfasst komplett Nordbelgien bis nahe der deutschen Grenze mit einer Fläche von gut 13.624 km².

3M arbeitet laut eigenen Ansagen daran, die betroffenen Produktionslinien wieder in Gang zu bringen. Andere Bereiche ohne PFAS-Chemikalien sind derweil nicht betroffenen.

Die PFAS-Belastungen schlugen sich laut ersten Untersuchungen (PDF) insbesondere in den Eiern von Freilandhühnern nieder: Unter anderem wurden bis zu 1,89 Mikrogramm pro Kilogramm Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) aus der PFAS-Gruppe gemessen. Schon der Verzehr von einem Ei pro Woche würde die EU-Empfehlung von maximal 4,4 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Woche sprengen. Anwohner in einem Radius von 5 km um das 3M-Werk sollen daher keine Eier aus eigener Haltung essen. In Gemüse ist die Konzentration deutlich geringer.

Das Problem reicht in der Region so weit, dass die Regierung eine eigene Webseite zur PFAS-Verseuchung eingerichtet hat. Nach ersten Blutproben können inzwischen alle Anwohner die Belastung im eigenen Blut ermitteln lassen.

Laut einem Bericht von Business Korea soll das 3M-Werk in Belgien etwa 80 Prozent der Kühlflüssigkeit herstellen, die die Halbleiterindustrie weltweit benötigt. 3M hätte unter anderem Samsung, TSMC, Intel und SK Hynix Mitte März 2022 über den Produktionsstopp informiert. Die Lagerbestände bei den Chipherstellern sollen für einen bis drei Monate genügen, bevor es zu erheblichen Engpässen kommen könnte.

3M führt die zwei Produktlinien Fluorinert und Novec mit fluorhaltigen Kühlflüssigkeiten. Sie sind elektrisch nicht leitende Wärmeträger und kommen bei Zwei-Phasen-Kühlungen zum Einsatz, bei denen die zu kühlenden Komponenten direkten Kontakt zur Flüssigkeit haben. Mit Siedetemperaturen ab 34 Grad Celsius – bei Novec-Gas sogar ab -4,7 Grad Celsius – entweichen sie bei ungenügender Abdichtung allerdings schnell in die Luft. Zu den weiteren Herstellern solcher Kühlflüssigkeiten gehören etwa F2 Chemicals und Engineered Fluids.

In einer ersten Phase zur Bekämpfung der Umweltschäden steuert 3M derweil 275 Millionen Euro bei und unterstützt lokale Landwirte mit einem Geldtopf von 10 Millionen Euro. Bei diesen Kosten wird es allerdings nicht bleiben – die USA etwa investieren derzeit Milliarden von US-Dollar in ähnliche Säuberungsprojekte.

Fraglich ist, wie hoch die wirtschaftliche Motivation bei 3M ist, das Chemiewerk in Zwijndrecht zu modernisieren. Vergangenes Jahr setzte die Firma mit diesem Werk rund 321 Millionen Euro um – nur ein kleines Stück vom 35,4 Milliarden US-Dollar großen Kuchen des Gesamtkonzerns.

[Update, 05.04.22, 16:20 Uhr:] Korrektur eingearbeitet, dass nur die PFAS-bezogene Fertigung von der Stilllegung betroffen ist.

(mma)