Comdex: Wolfram zeichnet den Programmablaufplan des Universums

Alles auf der Welt, von primitivsten Strukturen bis zu komplexen Systemen und hochentwickelten Lebewesen, ist nach relativ simplen Regeln aufgebaut, die sich immer wiederholen, sagt der Physiker Stephen Wolfram.

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Von
  • Erich Bonnert

Alles auf der Welt, von primitivsten Strukturen bis zu komplexen Systemen und hochentwickelten Lebewesen, ist nach relativ simplen Regeln aufgebaut, die sich immer wiederholen, sagt der Physiker Stephen Wolfram. Deshalb lassen sich selbst menschliche Organismen in nicht allzu ferner Zukunft wohl algorithmisch definieren -- und somit kopieren. Der britische Physiker und Mathematica-Autor konfrontierte das Comdex-Publikum im Rahmen seiner Keynote mit recht ungewöhnlichen Ideen, die ausführlich in seinem vor wenigen Monaten erschienenen Buch "A New Kind of Science" nachzulesen sind.

Nach dem Erfolg seiner Softwarefirma hatte Wolfram in den vergangenen zehn Jahren untersucht, in wie weit Computerwissenschaften und Programmiermethoden für andere Wissenschaften relevant sind. Die Erkenntnisse hat weitreichende Diskussionen in allen Wissenschaften ausgelöst.

Mit seiner komplexen Theorie der "Computational Equivalence" wirft Wolfram jahrhunderte alte methodische Ansätze der Mathematik und Physik über den Haufen. Während alle exakten Wissenschaften Systeme und Zusammenhänge stets vollständig in Form von Gleichungssystemen zu beschreiben suchen, baut Wolfram sein Erklärungsmodell aus viel simpleren allgemeinen Regeln auf. Diese können in Programme eingebettet und so angewandt werden, dass bei genügend langem Ablauf Muster und Systeme von höchster Komplexität entstehen. Entscheidend sei außerdem, dass alle möglichen Entwicklungsrichtungen der Programme ausgeschöpft werden müssten -- anstatt wie bisher nur bestimmte Theorien auf Plausibilität zu überprüfen.

Die verschiedenen Ausprägungen aller biologischen Formen folgen beispielsweise solchen selbstähnlichen Prozessen, erklärte Wolfram in seiner Keynote. Viele davon erklärt er unter anderem in seinem Buch mit Hilfe der zellulären Automaten -- simple Ablaufmuster, die sich, unendlich oft wiederholt, zu anspruchsvollen Systemen entwickeln. Sein Eigenprodukt Mathematica, eine Algorithmen- und Formel-Software hat ihm dabei erlaubt, neue Dinge in vermeintlich bereits bekannten Zusammenhängen zu entdecken, berichtete der Software-Unternehmer dem Comdex-Publikum.

Auch für die Informatik selbst können diese mit Hilfe von Computer-Programmiermethoden gewonnenen Theorien einen völlig neuen Antrieb bedeuten, glaubt Wolfram. So sei etwa die künstliche Intelligenz keineswegs auf CMOS-Substrate und NAND-Gatter angewiesen. Die Natur nämlich verfüge über ganz andere und weitreichendere Formen der Intelligenz als etwa das menschliche Gehirn. Gewöhnlicher Stein beispielsweise kann nach seiner Theorie nur durch eine extrem verschachtelte Struktur von sehr einfachen Regeln oder Algorithmen entstanden sein. "Wir müssen so viel wie möglich von den simpelsten Programmen verstehen", sagte der Physiker. Damit werde auch das Konzept eines Molekularcomputers sehr realistisch, denn die Natur liefert bereits die passenden Vorbilder für die Informationstechnologie: "Wir brauchen nur die allereinfachsten Moleküle zu imitieren und daraus einen Computer zu bauen."

Wolfram hofft, seine Arbeit werde wertvolle Beiträge zur Wissenschaftserziehung in der Schule liefern. "Ich sehe die Anwendung von Algorithmen als Ergänzung zur Mathematik." Dabei helfen soll unter anderem die soeben veröffentlichte Software New Kind of Science Explorer. Das Programm ist ein Experimentierwerkzeug, um rechnerische Untersuchungen in allen möglichen Variationen durchzuführen. Die Software ist von Wolfram Research und einigen Distributoren für Windows und Mac zum Preis von 65 Dollar zu haben.

Trotzdem ist der Wissenschaftler überzeugt, dass seine Theorie irgendwann als überholt gelten wird. "Alle Wissenschaften konzentrieren sich meist zur gleichen Zeit auf ein bestimmtes Thema, bis jemand ausbricht und den Blick woanders hin richtet." So habe schon Galilei die Planeten vor allem deshalb erforscht, weil er genau zu diesem Zweck erstmals ein Teleskop erbaut hatte. Wolframs persönliche Arbeit der letzten Jahre habe vor allem mit der Anwendung seiner zuvor entwickelten Mathematica-Software zu tun. "Aber die wird irgendwann mal jemanden nicht mehr genügen." (Erich Bonnert) / (wst)