Content, Streaming oder Konnektivität - was treibt die Entwicklung der Kommunikationsnetze?

Auf der European Conference on Optical Communications diskutieren Fachleute die Zukunft der Datenhighways.

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Von
  • Richard Sietmann

Content, Streaming oder Konnektivität – was treibt die Entwicklung der Kommunikationsnetze? Zum Auftakt der European Conference on Optical Communications (ECOC 2007) versuchte der Amerikaner Andrew Odlyzko am heutigen Montag die mehr als tausend Teilnehmer aus Industrie und Forschung zu provozieren, indem er einige gängige Denkmuster der Telekommunikationsindustrie in Frage stellte. "Content is King" sei zum Beispiel solch ein "Mythos, der seit Jahren in der Branche herumgeistert", erklärte in seinem Eröffnungsvortrag, "aber worauf es der Gesellschaft wirklich ankommt, ist Konnektivität." Als Beleg führte der Mathematiker, der 26 Jahre bei den Bell Labs und späteren AT&T Labs forschte und seit sechs Jahren an der University of Minnesota das Zentrum für Digitale Technologien leitet, das Beispiel der SMS-Nachrichten im Mobilfunk an, ein Dienst, der ursprünglich gar nicht für die Endteilnehmer konzipiert war, sich aber zu einer lukrativen Einnahmequelle für die Netzbetreiber entwickelt habe. Das Entstehen von Social-Networking-Plattformen wie YouTube sei ebenfalls kein Zufall gewesen: "Kommunikation für die Massen" sei das Geschäftsmodell, erinnerte er die Gemeinde.

Ein irreführender Mythos sei es auch zu glauben, dass der Wert eines Dienstes proportional mit der benötigten Bandbreite steige. So sei die Sprachtelefonie noch lange nicht am Ende, sondern werde ein Kerngeschäft bleiben. Zwar sage ein Bild mehr als tausend Worte, "aber nur, wenn man tausend Worte hat, um es zu erläutern", spottete Odlyzko. Er riet, einen Teil der Bandbreite im Mobilfunk zur Verbesserung der Sprachqualität zu nutzen. Als weiteren Irrweg sieht der Amerikaner die Konzentration vieler Netzbetreiber auf das Echtzeit-Streaming an. Wirklich nötig sei die Echtzeit-Übertragung lediglich für die Sprachkommunikation, "für praktisch alle anderen Anwendungen braucht man keine Echtzeit-Anforderungen". Der Verzicht auf die Ressourcen-Reservierung würde die Netzarchitektur jedoch erheblich vereinfachen und durch höhere Bandbreite, schnellere Downloads und ausreichend Pufferkapazität in den Endgeräten sei das Spielfilmerlebnis ebenso gewährleisten. "Es gibt viele Argumente für das Streaming, aber kein einziges gutes", ereiferte sich Odlyzko. "Was die Entwicklung der Netze treibt, ist die Ungeduld der Nutzer, und darin liegt der eigentliche Grund, weshalb sie immer schnellere Verbindungen ins Haus wollen."

Dagegen brach Thomas Bertram, Vice President im Technologiezentrum der Deutschen Telekom in Darmstadt, eine Lanze für die Streaming-Dienste. Er bekräftigte die Strategie seines Hauses, das IPTV-Streaming im Dreierpack mit Internetanschluss und Telefon als Zugpferd des Netzausbaus einzusetzen. In diesem Jahr sei die Abdeckung fast verdreifacht worden und bis zum Jahresende werde es 17 Millionen anschlussfähige Haushalte geben. "Es gibt eine deutliche Nachfrage nach höheren Geschwindigkeiten", erklärte Bertram. Die gewählte Architektur – Glasfaser bis zum Verteilerkasten und VDSL2/ADSL2+ auf Kupferleitungen bis zum Teilnehmer – sei die wirtschaftlichste Lösung, dem Rechnung zu tragen. "Die Kosten für Fiber-to-the-Home wären in Deutschland siebenmal höher gewesen". Die Architektur sei auch zukunftssicher. "Der nächste logische Schritt ist Fiber-to-the Building". Die Steigerung der Anschlussgeschwindigkeiten werde sich unmittelbar auf den Backbone auswirken, und mit einer neuen Netzarchitektur – "Next Generation Factory" genannt – bereite sich die Telekom auf die Zukunft vor, berichtete Bertram in seiner Keynote. Statt bisher vier Netzebenen – IP, ATM, SDH, DWDM – werde es künftig nur drei Ebenen geben, nämlich IP, Ethernet und das optische Transportnetz (OTN).

Die alljährlich an wechselnden Orten stattfindende ECOC ist eine Großveranstaltung mit rund 1200 Kongressteilnehmern aus 60 Ländern, knapp 300 Fachvorträgen und 140 Poster-Präsentationen. Von den Netzarchitekturen wie 'Radio over Fibre' und 'Fibre to the Home' über optische Modulationsverfahren und kohärente Übertragungstechniken auf der Glasfaser bis zur Festkörperphysik mit Quantenpunkt-Lasern und der Photonik in Silizium umfasst sie die gesamte Spannbreite aller mit der optischen Kommunikationstechnik zusammenhängenden Forschungsgebiete. Die von der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE organisierte Konferenz und Ausstellung dauert noch bis Donnerstag. In Berlin fand die ECOC das letzte Mal vor 15 Jahren statt.

Zur European Conference on Optical Communications (ECOC 2007) siehe auch:

(Richard Sietmann) / (jk)