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Continental-Chef von Auto-Kaufprämie enttäuscht, fordert "Defibrillator"

Andreas Wilkens
Continental-Chef von Auto-Kaufprämie enttäuscht, fordert

Die Geschichte des Unternehmens – ursprünglich hauptsächlich Gummireifenhersteller – von ihm selbst in einem Bild zusammengefasst.

(Bild: Continental)

Elmar Degenhart meint, die Politik müsse nachlegen, um der Autoindustrie wirklich zu helfen. "Die Chance wurde verpasst", meint der Continental-Chef.

Continental-Chef Elmar Degenhart erwartet für den Fall eines anhaltenden Nachfrageeinbruchs wegen der Corona-Krise drastische Folgen für die gesamte Autobranche. Die Politik müsse daher gegensteuern. Degenhart sagte im dpa-Interview, schon der schwierige Strukturwandel aus Digitalisierung, E-Mobilität und Assistenzsystemen sei für viele kleine Firmen kaum zu schaffen. "Obendrauf kommt eine Marktkrise, die so seit 1930 nicht mehr da war. Wenn sich im Sommer keine deutliche Belebung des Marktes in Europa abzeichnet, befürchten wir trotz aller Stützungsmaßnahmen eine Reihe von Konkursen."

Die Marktforscher von EY würden Degenhart wohl Recht geben. Sie erwarten, dass es mit der Autobranche nicht nur in Folge der Coronakrise weiter bergab gehen wird [1], zumal sich die Schwierigkeiten schon länger abgezeichnet hätten.

Bei Continental selbst war in einer internen Videokonferenz jüngst von einer möglichen Verschärfung des Sparkurses die Rede. "Auch bei Continental ist eine Garantie für den Fortbestand mancher Jobs nicht mehr möglich", sagte Degenhart. "Es dürfte dazu kommen, dass wir über Kündigungen verhandeln müssen." Er sorge sich aber auch um andere.

"Viele Unternehmen haben im Vergleich zum gesunkenen Umsatz jetzt zu hohe Kosten. Bei einer nur langsamen Erholung können wir das mit Maßnahmen wie Kurzarbeit nicht aussitzen." Sein Unternehmen tue alles, um Ausgaben "intelligent" zu senken und Stellenstreichungen zu minimieren. Hätte das keinen Erfolg, könnten zahlreiche Jobs wegfallen – "in Deutschland und Europa sowie in Hochlohnländern rund um die Welt".

Der deutschen Schlüsselbranche machen ausbleibende Autokäufe und Probleme in den Lieferketten zu schaffen. Bei Herstellern stauen sich die Fahrzeuge in den Lagern, bei Zulieferern gehen die Bestellungen in den Keller. "Das zweite Quartal wird wohl wirtschaftlich das schwierigste der Nachkriegszeit werden", meinte Degenhart mit Blick auf große Lieferanten ganzer Ausstattungssysteme wie Conti. Auch gesamtwirtschaftlich sei die Lage dramatisch: "Das Ausmaß der Krise ist ungleich höher als das, was wir 2009 durchlebt haben. Das zeigen die Arbeitslosenzahlen in Amerika sowie die Kurzarbeit in Europa."

Das bisherige Konjunkturpaket [2] des Bundes sieht der Manager mit gemischten Gefühlen. "Dieses 130-Milliarden-Paket beinhaltet eine Vielzahl positiver Elemente für die Gesamtwirtschaft." Die Absenkung der Mehrwertsteuer bis zum Jahresende werde zwar "einen gewissen Effekt" haben. Aber dass moderne Verbrenner nicht gefördert werden, sei für ihn enttäuschend: "Man muss sich vergegenwärtigen, dass E- und Hybridautos in Deutschland einen Marktanteil von 8 Prozent haben. Das zeigt, dass die Wirkung begrenzt bleiben wird." Sehr gut seien dagegen die aufgestockte Förderung der Ladeinfrastruktur sowie der Ausbau von Forschung und Entwicklung.

"Unsere Branche hat in Europa einen Herzstillstand erlitten", betonte Degehart. "Ein solcher lässt sich nicht mit einer hohen Dosis Vitamin C beheben – es bedarf vielmehr eines Defibrillators." Es hätte kräftigerer Konjunkturimpulse bedurft. "Diese Chance wurde verpasst." Wichtig sei Unterstützung aus der Politik nun vor allem beim Thema Energiekosten: "Sie bleiben in Deutschland mit am höchsten, die EEG-Umlage könnte 2021 einen erheblichen Sprung machen." Das Finanzierungskonzept der Energiewende müsse auf den Prüfstand.

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Einen kompletten Wechsel von Verbrennern auf alternative Antriebe hält Degenhart in der Autoindustrie erst bis 2040 für möglich. Die Geschwindigkeit des US-Elektroauto-Pioniers Tesla sei mit deutschen Anbietern nur schwer vergleichbar. "Das Unternehmen hat nicht dieselbe Produktbasis wie ein traditioneller Hersteller mit einem Volumen von fünf bis zehn Millionen Fahrzeugen pro Jahr, die transformiert werden müssen. Der Ansatz war der einer Neugründung auf der grünen Wiese und Nischenproduktion." Besonders wertvoll sei Tesla wegen seiner Kompetenz bei Elektronik, Programmierung und Vernetzung.

Das Hannoversche Unternehmen Continental wurde 1871 gegründet und bot zunächst hauptsächlich Gummiprodukte für Verkehrsmittel an. Ab 1995 baute der Konzern den Bereich Automotive Systems auf. 2001 erweiterte Continental sein Geschäft im Markt für Fahrzeugelektronik, indem es Temic erwarb. 2006 kaufte der Konzern von Motorla das Automobilelektronik-Geschäft und 2007 Siemens VDO. 2012 nahm Continental Testfahrten mit autonomen Autos in Nevada auf. Ende 2019 arbeiteten für Continental weltweit 240.000 Menschen. (mit Material der dpa) /

(anw [4])


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[1] https://www.heise.de/news/EY-Autokonzerne-werden-tief-in-die-roten-Zahlen-rutschen-4780791.html
[2] https://www.heise.de/news/130-Milliarden-Konjunkturpaket-Keine-Kaufpraemie-fuer-Autos-mit-Verbrennermotor-4773678.html
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[4] mailto:anw@heise.de