zurück zum Artikel

Coronavirus-Fallzahlen und der Amtsschimmel

Andreas Stiller
Corona-Fallzahlen, deutscher Amtsschimmel und ein kleiner Silberstreif am Horizont

(Bild: Ausschnitt aus dem Corona-Monitor der Berliner Morgenpost)

Vom langen Weg der Falldaten bis zum Robert-Koch-Institut - und ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Die Situation mit der Coronavirus-Pandemie und der Interpretation der sie charakterisierenden Fallzahlen ändert sich mittlerweile nahezu stündlich. Südkorea meldet immerhin einen Rückgang der Neuinfektionsquote auf unter 100 Neuinfektionen pro Tag. Auf dem Höhepunkt der Welle lag diese Quote bei über 500. Südkorea hat aber auch sehr frühzeitig weitreichende soziale Distanzierungen beschlossen, Schulen und Universitäten geschlossen, GPS-Trackingdaten der Infizierten veröffentlicht und sehr viele Tests durchgeführt.

Mit viel Optimismus und guten Willen ließe sich aus den vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Zahlen [1] der vergangenen vier Tage für Deutschland zumindest ein leichtes Abflauen der Steigerungsrate herauslesen. Allerdings überschritt die Quote am gestrigen Sonntag erstmals die 1000er Marke, was bei den inoffiziellen Zahlen der Berliner Morgenpost [2] bereits am Freitag der Fall war.

Das RKI veröffentlich validierte Zahlen  -- hier die Neuinfektionen --  mit Termin 15:00 (ab dem 6.3), die Berliner Morgenpost aus diversen Quellen laufend  (hier Termin Tagesende)

Das RKI veröffentlich validierte Zahlen -- hier die Neuinfektionen -- mit Termin 15:00 (ab dem 6.3), die Berliner Morgenpost aus diversen Quellen laufend (hier Termin Tagesende)

Durch die jetzt beschlossene weitere soziale Distanzierung – das Schließen der Schulen, von Stadien, Sporteinrichtungen; verstärkt in Städten auch die Schließung von Clubs, Kneipen und Kinos; etwa in Bayern ab Mittwoch auch das Zusperren von Geschäften; und so weiter – sinkt auch das Risiko, dass sich größere lokale Krisenherde spontan neu entwickeln und es so vielleicht demnächst zu einer konstanten Rate kommt, so wie es auch in China in dieser Phase der Fall war. Dort (außerhalb von Hubei) blieben die Fallzahlen bei etwa 800 eine Woche lang stehen, bevor sie wieder fielen. Vielleicht bleiben uns hierzulande gar Ausgangssperren wie in Italien, Spanien und nun auch Österreich erspart.

WHO China Joint Mission

Der Verlauf von Neuinfektionen in China (außerhalb von Hubei). Viellleicht nähert sich Deutschland auch schon dem Plateau

(Bild: WHO China Joint Mission)

Das Auswerten der RKI-Daten [3] für aktuelle Zeiträume ist in unserer föderalen Struktur allerdings etwas problematisch, weil sie über den Deutschen Amtsschimmel nach § 11 des Infektionsschutzgesetz (IfSG) laufen:

Übermittlung an die zuständige Landesbehörde und an das Robert Koch-Institut:

(1) Die verarbeiteten Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und Nachweisen von Krankheitserregern werden anhand der Falldefinitionen nach Absatz 2 bewertet und spätestens am folgenden Arbeitstag durch das nach Absatz 3 zuständige Gesundheitsamt der zuständigen Landesbehörde sowie von dort spätestens am folgenden Arbeitstag dem Robert Koch-Institut mit folgenden Angaben übermittelt:

Die Gesundheitsämter der Kommunen und Regionen sammeln also die Daten und schicken sie dann, gegebenenfalls nach Büroschluss, irgendwann am nächsten Arbeitstag an die zuständige Landesbehörde. Die macht das gleiche, sammelt erst und schickt die Daten gegebenenfalls nach Büroschluss irgendwann am nächsten Arbeitstag an das RKI. Das sammelt die Daten und veröffentlicht diejenigen mit Stichzeitpunkt 15 Uhr (ab dem 6. März, vorher 11 Uhr) zum Glück nicht erst am nächsten Arbeitstag, sondern gegen Abend auf ihrer Website.

Da spricht man von Digitalisierung in Deutschland und findet hier noch Meldestrukturen aus der Steinzeit vor. Eine gemeinsame Datenbank oder, zumindest wie von der Community oft eingesetzt, Google-Speadsheets oder vergleichbares – offenbar Fehlanzeige.

Auch die Hotlines haben ähnliche Qualität; wer außerhalb der Bürozeiten anruft, hat keine Chance, von 7/24 keine Spur:

So lange wollte das RKI daher bei den zum Teil offenbar recht verschlafenen Landesbehörden bislang nicht warten und hat vorab manuell Daten von den kommunalen Gesundheitsämtern eingesammelt und eingepflegt.

[update]

In der heutigen Pressekonferenz sprach RKI-Vizepräsident Lars Schaade davon, dass die Landesbehörden zum Teil die Daten per Fax an das RKI geschickt hatten. Datenexperten sprechen in solchen Fällen von "Datenbruch": digital vorliegende Daten werden analog verschickt und dann wieder von Hand digitalisiert.

[\update]

Das wird dem RKI jetzt aber auch zu bunt. Seit dem 10. März stellt das RKI die Landesbehörden quasi an den Pranger und veröffentlicht von jedem Land, wie viele Datensätze elektronisch übermittelt wurden und wie viele das RKI selbst mühsam abgeklappert oder eingetippt hat. Die Stadtstaaten haben es da mit nur einer Instanz ein bisschen einfacher und kommen seit dem 15. März alle auf 100 Prozent der elektronischen Übertragungsquote.

Das am meisten von Corona betroffene Bundesland Nordrhein-Westfalen erreicht beispielhaft inzwischen ebenfalls 100 Prozent, ebenso Rheinland-Pfalz. Baden-Württemberg indes ist das Schusslicht mit 63,4 Prozent (RKI-Zahlen vom 15.3.2020).

Zahlen vom RKI vom 15.3.2020

Ab Dienstag dem 17.3. 2020 wird das RKI nur noch elektronisch übermittelte Daten veröffentlichen, höchste Zeit, dass auch die verschlafenden Landesbehörden auf 100 Prozent kommen.

(Bild: Zahlen vom RKI vom 14.3.2020)

Ab dem morgigen Dienstag, also ab dem 17. März, will das RKI nur noch die elektronisch übermittelten Daten veröffentlichen Höchste Zeit also, dass die Landesbehörden ihren Workflow optimieren, damit keine Dateninkonsistenz zwischen den Veröffentlichungen stattfindet, die jede Statistik erschwert. Immerhin scheint es am Wochenende einen freiwilligen Notdienst zu geben, sonst hätte das RKI am Samstag und Sonntag kaum neue Daten bekommen.

Laufend aktuelle Daten gibt es indes von fleißigen Leuten, die unermüdlich alle verfügbaren Quellen auswerten. Für Deutschland ist das vor allem die Redaktion der Berliner Morgenpost, die am nächsten am Puls der Zeit ist. International kümmert sich die private Johns Hopkins University [4] in Baltimore/Maryland darum, die aus Deutschland meist zwischenzeitliche Werte der Mopo veröffentlicht.

Der Fallmonitor der WHO [5] beruht auf den offiziell übermittelten Daten, hinkt also ebenfalls ziemlich hinterher.

Die Berliner Morgenpost ist somit die aktuelle Quelle. [6]

[update]

Eine landkreisgenaue, aktuelle Fallkarte bietet auch das chinesisch-deutsche Institut für Wirtschaft. [7]

[\update]

Vom gestrigen Sonntag finden sich in der Mopo die Schlusswerte (von 19 Uhr) mit 5813 Fällen. Das sind 1228 mehr als am Tag zuvor. Leider waren vier (inzwischen fünf) neue Todesfälle in Deutschland dabei. Bereits um 15 Uhr lag die Mopo bei 5426 – rund 600 Fälle mehr als das RKI später für diesen Stichtermin bekanntgab: 4838 Fälle (+1043). Der doch sehr große Unterschied zu den RKI-Zahlen wirft Fragen auf. Bleibt zu hoffen, dass ab Dienstag mit vollständiger elektronischer Übertragung der Daten von den Landesbehörden zum RKI deren Werte aktueller und die Diskrepanzen geringer werden. (as [8])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4683120

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html
[2] https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit/
[3] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html
[4] https://www.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6
[5] https://experience.arcgis.com/experience/685d0ace521648f8a5beeeee1b9125cd
[6] https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit/
[7] https://gcber.org/corona/?scene=126&clicktime=1582908487&from=singlemessage&isappinstalled=0
[8] mailto:as@ct.de