DLR-Mission Mascot: Asteroid Ryugu könnte Erde gefährlich werden

Mascot erkundet die Oberfläche von Ryugu – auch, weil der Asteroid der Erde gefährlich werden könnte. Die Forscher nehmen schon das nächste Ziel ins Auge.

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DLR-Mission Mascot: Asteroid Ryugu könnte Erde gefährlich werde

So könnte Mascot auf Ryugu aussehen.

(Bild: DLR, CC BY 3.0 DE)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Die letzten 50 Meter seiner Reise legte Mascot im Schleichtempo zurück. Mit weniger als zwanzig Zentimetern pro Sekunde näherte sich der Lander der Oberfläche des Asteroiden Ryugu, nachdem er sich von der Muttersonde Hayabusa2 gelöst hatte. Wäre er schneller gewesen, hätte er abprallen und im All verschwinden können. Auf einem Himmelskörper, der nur etwa ein Achtzigtausendstel der Erdschwerkraft ausübt, muss man sich sehr vorsichtig bewegen.

Der Blick auf die Landestelle

(Bild: DLR)

Die Konstrukteure und Programmierer von Mascot waren offensichtlich vorsichtig genug. So konnte die Vorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Pascale Ehrenfreund, auf dem International Astronautical Congress (IAC) in Bremen freudestrahlend verkünden, dass der gemeinsam mit der französischen Weltraumagentur CNES gebaute Lander kurz vor sechs Uhr erfolgreich gelandet sei. Während des Landeanflugs habe Mascot aus etwa 40 Metern Höhe bereits ein erstes Bild der Landestelle übermittelt, die vom Forschungsteam "Alice in Wonderland" getauft worden sei.

Am Stand des DLR lässt sich an diesem Modell des Landers Mascot (Originalgröße) nachvollziehen, wie die Sensoren und die Sprungtechnik arbeiten. Auf dem Modell von Ryugu ist mit einem schwarzen Kreis das Landegebiet markiert.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske/heise online)

Das Wunderland dürfte der Roboter inzwischen aber schon wieder verlassen haben. "Um 9:21 Uhr ist ihm von der Bodenkontrolle das Kommando übermittelt worden, einen Sprung durchzuführen", sagte Alin Albu-Schäffer, Leiter des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik. Dieser Sprung werde ihn nur um ein paar Meter versetzen, dennoch könne es eine Stunde dauern, bis er wieder zur Ruhe gekommen ist und sich in die richtige Position gebracht hat, um Messungen durchzuführen. "Wir konnten das Verhalten in so geringer Schwerkraft auf der Erde nicht testen", so Albu-Schäffer. "Selbst die Mikrogravitation, die wir bei Parabelflügen erzeugen können, liegt noch um den Faktor hundert höher." So seien sie auf Computersimulationen angewiesen gewesen.

Diese Simulationen hätten gezeigt, erläutert Mascot-Projektleiterin Tra-Mi Ho, "dass bei weiten Hüpfsprüngen, das heißt, wenn wir mehr als zehn Meter hüpfen, sehr viel Zeit durch die Aufprallphase verloren gehen würde, bis Mascot wieder zur Ruhe kommt. Wir müssen auch bedenken, dass Mascot seine Daten auch noch zur Hayabusa2-Sonde hochladen muss." Zudem hätten die bisherigen Beobachtungen der Muttersonde Hayabusa2 bereits gezeigt, dass die Zusammensetzung von Ryugu über die Asteroidenoberfläche hinweg offenbar nicht so unterschiedlich sei. "Wir benötigen gar nicht die großen Sprünge, um an einer weit entfernten Messstelle etwas noch interessanteres zu finden – die Hüpfweite wird also einen bis mehrere Meter betragen."

Bilder vom zweiten Landeanflug von Hayabusa2 (56 Bilder)

Das erste Bild  wurde um 3:38 Uhr MESZ gemacht, die nächsten dann im Halbstundenrhythmus.
(Bild: JAXA)

Ausgelöst werden die Sprünge wie auch das Aufrichten nach so einem Sprung durch die Beschleunigung einer exzentrisch gelagerten Schwungmasse aus 150 Gramm Wolfram im Innern des Landers. Bis zu 70 Meter könnte Mascot mit einem Sprung zurücklegen, also mit gerade einmal rund 40 Sprüngen den gesamten Asteroiden einmal umrunden. Doch an solchen sportlichen Leistungen sind die DLR-Forscher weniger interessiert, sondern wollen während der auf 16 Stunden begrenzten Lebensdauer der Batterien möglichst viele Daten sammeln. Und da lässt sich mit kleinen Sprüngen mehr erreichen.

Mascot sei für die Hayabusa2-Mission ungeheuer wertvoll, betonte Hiroshi Yamakawa, Chef der japanischen Weltraumagentur JAXA. Der Lander liefere auch wichtige Informationen für das Einsammeln von Bodenproben durch die Muttersonde, die danach zur Erde transportiert werden sollen. Hayabusa2 fliegt dafür so nah an Ryugu heran, dass sie mithilfe projektilbildender Ladungen, die sonst vom Militär als panzerbrechende Munition eingesetzt werden, Brocken aus der Oberfläche des Asteroiden heraus schlagen und mit einem Trichter einsammeln kann. Ein zwei Kilogramm schweres Stück reines Kupfer, das mit einer Geschwindigkeit von 2 Kilometern pro Sekunde auf Ryugu abgefeuert wird, soll außerdem einen kleinen Krater erzeugen und dadurch tiefer gelegenes Material freilegen.

Minerva II: Fotos von der Oberfläche Ryugus (9 Bilder)

Der Schatten der eigenen Antenne
(Bild: JAXA)

Diese Körper werden ja alle nicht nur von der Strahlung, sondern auch von Partikeln des Sonnenwindes und interplantarem Staub getroffen, was mikroskopische Zerstörung auf der Oberfläche hervorruft", erklärt Ralf Jaumann, wissenschaftlicher Leiter von Mascot. "Nach einer gewissen Zeit tritt daher ein Veränderungsprozess ein, der dem, was wir auf der Erde Verwitterung nennen, gleicht." In frisch aufgeworfenem Material mögen sich dagegen flüchtige Stoffe wie Wasser oder organische Materie nachweisen lassen.

Es geht dabei nicht nur um Grundlagenforschung. Ryugu zählt zu den potenziell gefährlichen, erdnahen Objekten, die die Bahn der Erde kreuzen und mit ihr kollidieren können. Auf seinem gegenwärtigen Orbit kann er sich uns bis auf 95.400 Kilometer nähern, gut ein Viertel der Entfernung zum Mond. Ein Einschlag dieser Größenordnung könnte ein Land wie Deutschland komplett verwüsten. Das 20 Kilometer durchmessende Nördlinger Ries ist auf solche Weise vor 14,5 Millionen Jahren entstanden.

"Man will natürlich wissen", so Jaumann, "wie die Zusammensetzung solcher Körper ist, falls es notwendig wird, – wenn so ein Asteroid der Erde nahe kommt – Gegenmaßnahmen ergreifen zu müssen." Die könnten darin bestehen, ihn anzuschieben, abzulenken oder seine Rotation zu verändern. "Dafür muss man aber wissen, wie die der Asteroid aufgebaut ist, wie porös oder wie wie fest er ist, wie das Gestein der Oberfläche Wärme aufnimmt. Alles Faktoren, die wir mit der Hayabusa2-Mission und Mascot messen."

Ein Modell des Rovers, der auf Phobos und Deimos abgesetzt werden soll. Ob er am Ende wirklich mit Rädern ausgestattet, wie Mascot über die Oberfläche hüpfen oder zwischen Fahren und Laufen wechseln wird, ist derzeit noch offen.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske/heise online)

Bislang hat Mascot 19 Bilder zur Erde übermittelt. Bis die kompletten Daten in der Bodenstation angekommen sind, wird es einige Tage dauern. Aber schon jetzt sind die beteiligten Raumfahrtagenturen von dem Ergebnis ihrer Zusammenarbeit so angetan, dass sie auf dem IAC die Vereinbarung für eine neue Mission unterzeichneten. Diesmal soll es in Richtung Mars gehen, aber nicht zum roten Planeten selbst, sondern zu seinen beiden Monden Phobos und Deimos: MMX (Martian Moon Explorer) lautet der Name der Mission, die im Jahr 2024 starten und nach fünf Jahren mit Bodenproben zur Erde zurückkehren soll.

Bei der Pressekonferenz war auch bereits das Modell eines Rovers zu sehen, der auf MMX mitfliegen soll. Im Unterschied zu Mascot hat der allerdings vier Räder. Nun sind die unregelmäßig geformten Marsmonde mit Durchmessern von 10 bis 27 Kilometern zwar deutlich größer als der knapp einen Kilometer durchmessende Ryugu. Aber ob die Schwerkraft tatsächlich groß genug ist, um sicher über die Oberfläche fahren zu können? Das sei noch nicht endgültig entschieden, sagte ein DLR-Mitarbeiter. Denkbar sei auch eine hybride Lösung, bei der die Räder nach Bedarf fixiert werden, um den Roboter über unebenes Gelände laufen zu lassen. Die Erfahrungen mit Mascot auf Ryugu werden zweifellos in das Design des MMX-Rovers einfließen. (mho)