DVD-Prozess: MPAA erzeugt DVD-Raubkopie als Beweismaterial

Im Prozess gegen die Hacker-Site 2600.com haben die klagenden Hollywood-Studio einen Zeugen dazu veranlasst, eine DVD raubzukopieren.

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Von
  • Gerald Himmelein

Die Hauptverhandlung im Prozess von acht Hollywood-Studios gegen den Betreiber der Hacker-Website www.2600.com zeigt kuriose Blüten. Es geht dabei um die Verbreitung des Windows-Tools DeCSS, das kopiergeschützte DVD-Videos entschlüsselt und auf die Festplatte schreibt. Die Anklage argumentiert, DeCSS und die Weitergabe des Programms verstießen gegen das digitale Copyright-Recht der USA, den Digital Millennium Copyright Act (DMCA).

Der Betreiber von 2600.com hat das umstrittene Tool – wie viele andere Websites auch – auf seinen Seiten zum Download angeboten und Links zu anderen Download-Sites veröffentlicht. Der Kern von DeCSS besteht aus Code, der per Reverse Engineering gewonnen wurde – dies verbietet der DMCA bis auf wenige Ausnahmen.

Für die Anwälte der klagenden Studios (Columbia, Disney, Fox, MGM, Paramount, Time Warner, Tristar und Universal) steht nichts weniger auf dem Spiel als die Zukunft der Filmindustrie. Im Juni erklärte Disney-Chef Michael Eisner vor einem Untersuchungsausschuss des US-Kongresses nicht ohne Pathos, der Konzern werde Filme wie "Schneewittchen" möglicherweise nicht auf DVD veröffentlichen, da der Konzern das Werk damit "auf ewig" verlieren würde.

Zur Untermauerung ihrer Argumentation schreckte die Motion Picture Association of America (MPAA) nicht davor zurück, einen Dozenten an der amerikanischen Carnegie Mellon University dazu anzustiften, eine DVD raubzukopieren und über das Internet auszutauschen: den Columbia-Film "Schlaflos in Seattle". Die Schlussfolgerung des Dozenten: Die digitale Verbreitung von Filmen bei VHS-ähnlicher Qualität sei eine Frage von Minuten – jedoch über Leitungen mit einer Geschwindigkeit von einem Gigabit pro Sekunde. Allerdings benötigte der Zeuge über 30 Stunden, um die Raubkopie eines einzigen Films zu erzeugen.

Die Verteidigung nimmt den Standpunkt ein, der Vertrieb und die Anwendung von DeCSS falle unter das garantierte Recht des Käufers auf Kopien zum privaten Gebrauch ("Fair use"). Zudem höhle die Reglementierung des DMCA gegen Reverse Engineering das Recht auf Kopien zum privaten Gebrauch aus. Die Klage gegen Links auf externe Sites verstoße zusätzlich gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.

In Hackerkreisen kursieren mittlerweile mehrere weitere Programme, die denselben Zweck wie DeCSS erfüllen, aber teilweise deutlich komfortabler arbeiten – einige sogar über eine kryptographische Analyse der Quelldaten. Der Umstand, dass die Filmindustrie sich auf DeCSS konzentriert, legt nahe, dass es der MPAA weniger um die Verhinderung von Raubkopien geht als darum, gegen DeCSS ein Exempel zu statuieren.

Zu den geladenen Zeugen gehören Frank Stevenson, der den CSS-Algoritmus kryptografisch analysierte, ebenso wie der 15-jährige Norweger Jon Johansen, der zusammen mit zwei anonymen Hackern für DeCSS verantwortlich zeigt. (ghi)