Das Internet -- ideales Medium für Selbsthilfegruppen

Patienten-Selbsthilfegruppen haben längst das Internet für sich entdeckt: Ihre Zahl ist unübersichtlich groß, die Themenvielfalt auch.

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Von
  • Miriam Tang
  • dpa

Patienten-Selbsthilfegruppen haben längst das Internet für sich entdeckt: Ihre Zahl ist unübersichtlich groß, die Themenvielfalt auch. Das weltweite Netz scheint das ideale Medium zu sein, die oft sehr speziellen Kenntnisse möglichst vielen Betroffenen zugänglich zu machen. Chats und Foren unterstützen den Informationsaustausch zu gesundheitlichen Problemen weit über die Möglichkeiten eines wöchentlichen Treffens hinaus.

Von A wie Adipositas (Fettleibigkeit) bis Z wie Zwangserkrankungen listet allein Yahoo Deutschland zahlreiche Selbsthilfegruppen auf. Das Gesundheitsportal Netdoktor.de bietet eine Datenbank mit rund 500 Selbsthilfegruppen an. Oft ist ein Hinweis zu der gruppeneigenen Webseite dabei. Darüber hinaus bündeln landesweite Projekte wie Selbsthilfenetz.de in Nordrhein-Westfalen oder Selbsthilfe-info.de in Baden-Württemberg regionale Initiativen.

Wie beliebt das Internet mittlerweile bei Gesundheitsfragen ist, zeigt eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München. 42 Prozent der psychiatrischen Patienten der Uniklinik gaben an, das Internet zu nutzen. Kritisch sieht Professor Ulrich Hegerl von der Psychiatrischen Klinik der Universität jedoch so genannte Selbstmordforen: "Für einige Menschen können Suizidforen gefährlich werden. Manchmal bedarf es nur eines Anstoßes, dass sich Menschen in der depressiven Phase etwas antun." Außerdem bestehe die Gefahr, dass Betroffene sich selbst diagnostizieren und therapieren wollen, sich selbst Medikamente besorgen und nicht mehr zum Arzt gehen. Hegerl gewinnt dem Internet jedoch auch Positives ab: Psychisch kranke Patienten könnten sich vorab informieren. "Gerade für sie ist die Anonymität im Internet wichtig." Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums betreibt er ein Online-Diskussionsforum zum Thema Depression.

Sowohl Chancen als auch Risiken sieht auch Wolfgang Thiel von der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) in Berlin. Rund 100.000 Besucher klickten im vergangenen Jahr auf die Internetseite der Initiative. Die Nutzer riefen unter anderem Publikationen des Vereins ab oder suchten nach einer Selbsthilfegruppe in ihrer Umgebung. "Mit unserem Personal wären diese Anfragen gar nicht alle zu bewältigen gewesen", sagt Thiel. Er schätzt das Internet als ein kostengünstiges Medium, das Hilfesuchenden orts- und zeitunabhängig eine grundlegende Orientierung geben kann. Schwierig werde es jedoch, wenn die Seriosität und Aktualität der Informationen nicht zu bewerten ist. "Oft sind widersprüchliche Informationen zu finden, die die Nutzer desorientieren können", sagt Thiel.

Den Gedankenaustausch in Chats oder Foren bewertet Thiel unter zwei Gesichtspunkten: "Das ist eine gute Möglichkeit für Menschen, die noch nicht in einer Selbsthilfegruppe sind." Der Austausch über das Medium könne aber eine Arbeit von Angesicht zu Angesicht im Sinn einer lebensbegleitenden Stabilisierung des Patienten nicht ersetzen. "Das sind Entwicklungsprozesse, die eine Reifung brauchen."

Auch diesen Prozess kann das Internet allerdings unterstützen. Vom Geben und Nehmen im Netz profitiert beispielsweise Elisabeth Martin, die bei einem Forum für Menschen mit Milchzuckerunverträglichkeit mitarbeitet. Als Betroffene berät sie in ihrem Heimatort andere Menschen in der Praxis einer Ärztin. Darüber hinaus gibt sie im Forum ihren Erfahrungsschatz weiter -- und erfährt im Gegenzug ständig Neues: "Ich habe im Forum viel gelernt", sagt sie. Die Schilderungen der Forumsteilnehmer hätten ihre Beobachtungen teilweise bestätigt und ihr neue Lösungsansätze gezeigt. (Miriam Tang, dpa) / (jk)